Hochschwarzwald wirbt mit Handgranaten um Touristen

Mal was anderes: martialische Uhr auf Tourismusprospekt
Erstveröffentlicht: 
12.03.2010

Totenkopf, Knochenkreuz, Handgranaten und Sturmgewehre: Die neue Broschüre der Hochschwarzwald Tourismus Gesellschaft wirbt mit einer waffenstarrenden Kuckucksuhr. An der martialischen Aufmachung scheiden sich die Geister.


Der Mann gilt als ruhig und besonnen. Er bekleidet beruflich und privat öffentlichkeitswirksame Funktionen in Titisee-Neustadt. Wie er da in die Redaktion und direkt ins Büro stürmt, gleich die Tür hinter sich zuzieht und uns etwas auf den Tisch wirft, ahnt man also gleich: Da muss etwas passiert sein.

Der Grund für die Aufregung klärt sich mit Blicken. "Das", sagt er und spießt mit dem Finger die neue Broschüre der Hochschwarzwald Tourismus Gesellschaft förmlich auf, "das geht gar nicht!" Woran er sich stößt, ist die Titelseite des Hefts, das eine Übersicht über die kulturellen Ereignisse des Jahres 2010 im Hochschwarzwald gibt.

Strumbel-Werke werden für bis zu 25.000 Euro gehandelt

Bei genauerem Hinschauen ist die Kuckucksuhr, das Symbol schlechthin für heile Schwarzwald-Welt, zweimal zu erkennen. Einmal zu dem Logo verfeinert, mit dem die HTG weltweit für Urlaub im Hochschwarzwald wirbt. Viel größer aber und beherrschend in einer sehr speziellen Variante: Oben prangt der Totenkopf vor dem Knochenkreuz und mit einem christlichen Kreuz obenauf, an der Unterseite stehen zwei Handgranaten ab, über dem Zifferblatt laufen zwei Sturmgewehre gegeneinander. Hinter dem Uhrengehäuse steht, wie dem Ganzen Halt gebend, nochmals das Knochenkreuz, groß und metallisch glänzend. Darüber sind Schwingen zu erkennen, die beim Reichsadler nicht anders aussehen.


"Da brauchen wir uns über nichts mehr zu wundern."

Das soll das Bild des Hochschwarzwalds sein, fragt der Besucher empört. Eltern wie er versuchten ihren Kindern Gewaltfreiheit zu vermitteln, und die Tragödie von Winnenden bringe gerade unter großer Aufmerksamkeit den ersten Jahrestag hinter sich – da wisse man hier nichts Besseres, als mit Waffen zu posieren. Einerseits versuche man Neonazis etwas entgegenzusetzen, andererseits setze man deren Symbole ein. "Da brauchen wir uns über nichts mehr zu wundern, da haben wir schon verloren", schüttelt der Mann den Kopf über die Aufmachung, die von dem Schriftzug "hochkultur" geziert wird.

Was, fragt er, müssen denn die Menschen denken, wenn sie diese Darstellung als Sinnbild für den Hochschwarzwald sehen? Angesichts der Bemühungen um Ansehen "ein Schlag unter die Gürtellinie". Als Bürger, als Vater und als ehrenamtlich tätiges Vereinsmitglied "distanziere ich mich". Das ist aus seiner Sicht nämlich ein weiteres Problem: Die Vereine sollen sich für die HTG engagieren – dafür müssten sie sich mit diesem Titel identifizieren. "Das geht nicht, wir haben doch Verantwortung".

Freiheit der Kunst

Der Neustädter weiß um andere Bürger, die verschreckt sind. Offenbar gibt es inzwischen die Aufforderung an die Adresse der HTG, das Thema im Aufsichtsrat zu diskutieren. Doch der Empörte vermutet, dass sich die Verantwortlichen auf die Freiheit der Kunst berufen werden.

Tatsächlich stammt die Kuckucksuhr von Stefan Strumbel. Der Offenburger Künstler, Jahrgang 1979, hat als Graffito-Spray angefangen, bemalte Wände und Züge und verbirgt in seinem Lebenslauf nicht, dass er sich dafür 1996 vor Gericht verantworten musste. Dann tat er sich hervor, indem er die Symbole seiner Heimat, des Schwarzwalds, neu installierte und verfremdete, mal mit Totenkopf und Gewehren, mal mit leuchtenden Farben. Er malte eine Bollenhutträgerin mit Palästinensertuch und (Luft)-Gewehr und der Frage "Who killed Bambi". Oder band einem Schweinsfuß eine Armbanduhr um und verknüpfte damit die Aussage "Fuck Heimat".

Schrill, schriller – Strumbel

Strumbel ist gut im Geschäft – angeblich werden seine Werke für bis zu 25.000 Euro gehandelt. Er beschäftigt außerdem die Autoren der Szene, hat international für Furore gesorgt, hat seine Arbeiten aus der so genannten Street Art zur Marke gemacht. Die Verfremdung ist Prinzip, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Der Südwestrundfunk schrieb vom "schrillen Comeback der Kuckucksuhr".

Thorsten Rudolph, Geschäftsführer der HTG und zuständig für Kunst und Kultur, reagiert überrascht. Der Katalog sei seit gut zwei Monaten auf dem Markt, mit bis zu 50 000 Exemplaren, und er sei von Anfang an sehr gut abgegriffen worden.

Das sei die Absicht gewesen und der Grund für die Auswahl: Einen Hingucker zu bieten, "mal was anderes" als Symbol dafür, dass man im Hochschwarzwald Neues anpackt und den Aufbruch wagt. Wie auch Strumbel traditionelle Werte anpacke und neu und frischer präsentiere. Rudolph betont den internationalen Bekanntheitsgrad des Künstlers aus dem Schwarzwald und hebt als Gradmesser das Interesse der New York Times hervor. Für das Werk eines solch namhaften Künstlers, sagt er, "brauchen wir uns ja wohl nicht zu genieren!".

Harmonisch statt schrill

Rudolph findet es interessant, dass das Motiv jetzt auffällt. Denn aus dem Aufsichtsrat habe nur ein Mitglied gefragt, "muss das sein". Ansonsten habe er keine negativen Äußerungen dazu gehört. "Also", meint er, "kann’s ja nicht so schlimm sein. Hoffentlich haben wir keine anderen Sorgen." Ihm gehe es nicht um Provokation, sondern um die Anregung zur Diskussion. Er findet diese Kuckucksuhr harmonisch und nicht so schrill wie andere Strumbel-Werke. Bei aller Verwunderung über die plötzlich aufkeimende Kritik zeigt er sich froh darüber, "dass man bei uns über Kunst und Kultur offen diskutieren kann".