Der im März aus der Haft entlassene baskische Politiker Arnaldo Otegi – General-Sekretär der linken Partei SORTU und designierter Kandidat der Koalition EH Bildu für den Posten des baskischen Ministerpräsidenten – macht weiter von sich hören. Nach einer „Familien-Auszeit“ widmet er sich wieder der Politik, dabei bleibt kein Schritt unbeachtet.
Insbesondere seine letzte Reise nach Irland, England und Brüssel erhitzte die baskischen, vor allem aber die spanischen Gemüter. Im Baskenland wurde versucht, Otegis Geschichte vor 35 Jahren wieder ans Licht zu zerren, dabei war es nie ein Geheimnis, dass er in jener Zeit mit einem ETA-Kommando an einer Entführung teilgenommen hatte und dafür 6 Jahre im Knast verbrachte.
Dass der in Spanien nach wie vor ohne Umschweife als „Terrorist“ bezeichnete linke Politiker auf den Inseln hochrangig empfangen wurde, hat ein paar Tage lang die Schlagzeilen beherrscht. In Irland wurde er zum Parteitag von Sinn Fein von Gerry Adams und in London vom ehemaligen Blair-Minister Jonathan Powell empfangen wurde, was südlich des Ebro Unverständnis und Ohnmacht auslöste. Powell war bereits bei der friedens-stiftenden Aiete-Konferenz in Donostia im Jahr 2011 einer der politischen Schwergewichte, die einen baskischen Normalisierungs-Prozess unterstützten.
Richtig polemisch wurde es allerdings, als Otegi nach den Inselbesuchen noch in Brüssel auftauchte, von der internationalen Gruppe von Links-Parteien im EU-Parlament wurde er zu einer Konferenz eingeladen. Die europäischen Christdemokraten auf Drängen der spanischen PP und weitere spanische Elemente empfanden das als Beleidigung für die Opfer von ETA – von Opfern von Polizeigewalt ist in jenen Kreisen nie die Rede. So war das Parlament einen Tag lang geprägt von zwei gegensätzlichen Konferenzen: zum einen die aus verschiedenen Ländern stammenden linken Fraktionen (zu denen auch Die Linke und EH Bildu zählen), auf der anderen die gedemütigten Unerbittlichen. In allen Fällen konnte Otegi mit seinen intelligenten Diskursen Punkte sammeln, das mussten sogar einige Gegner eingestehen.
In seiner Rede vor der linken EU-Gruppe forderte Otegi, die EU solle sich entgegen der Blockadehaltung der spanischen Regierung in den Prozess einmischen und zur Lösung des spanisch-baskischen Konflikts beitragen.
Er sprach von der paradoxen Situation, in der die spanische Regierung von ETA erst die Waffenabgabe fordert, dies dann aber zurückweist, wenn ETA ihre Bereitschaft erklärt – um dann hinterher zu klagen, ETA sei nicht bereit zu Entwaffnung. Otegi räumte ein, die baskische Linke habe eine Verantwortung für das Leiden auf allen Seiten, das über Jahrzehnte verursacht wurde. Er verteidigte, dass alle Gefangenen entlassen werden müssten, es sei schwer vorstellbar, über ein Friedens-Szenarium zu sprechen, wenn gleichzeitig noch hunderte von Gefangenen einsitzen ohne Aussicht auf Entlassung über Jahrzehnte hinweg. Der Beitrag der Gefangenen sei fundamental für den Prozess, bisher hätten sich alle Entlassenen aktiv in den Prozess eingeklinkt. Gleichzeitig deutete Otegi neue Schritte der baskischen Linken an (über die die Parteibasis sicher noch nicht informiert ist).
Nach Otegis Rückkehr ins Baskenland war der Medienrummel jedoch noch lange nicht vorbei, ein Interview jagte das nächste. Bei der populären Interview-Serie „Salvados“ beim privaten Sender La Sexta wurde er erneut mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Doch genau das zeichnet Otegi aus: dass er sich diesen Situationen aussetzt und vernünftige Antworten gibt, die den Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen.
Wer die Diskurse von Otegi seit seiner Entlassung aus dem Knast Revue passieren lässt, wird feststellen, dass er so viel Neues eigentlich gar nicht erzählt. Das Besondere ist seine Rhetorik, selten benutzt er flache oder nichtssagende Begriffe. Weil er nicht nur Phrasen in die Runde wirft, sondern alles mit Argumenten untermauert, erzielt er einen Grad von Glaubwürdigkeit, die der großen Mehrheit der politischen Klasse im Baskenland abgeht. Dazu kommt seine Begeisterungsfähigkeit, die nichts von billigem Populismus hat. Wenn er von politischen Fehlern der baskischen Linken spricht (was alle Medien gerne täglich hören), wirkt das seriös und nicht einfach aus Verlegenheit dahin gesagt. Das wenige Neue an seinen Diskursen bezieht sich insofern auf die Selbstkritik, persönlich und in Bezug auf die Organisationen, in denen er aktiv war.
Auf das kritische Salvados-Interview folgten weitere im baskischen Fernsehen, erst im Fernsehen, dann per Radio, dort konnte er seinen eigentlichen Diskurs besser entfalten. Krönender Abschluss war die live über Internet übertragene Konferenz aus Donostia, die die linke Tageszeitung GARA organisierte. Vor ausverkauftem Haus (Kursaal) stellte sich Otegi den Fragen verschiedener Journalist/innen und anderen Promis – ein absolutes Heimspiel, bei dem er von Lenin über Truman seine philosophischen Kenntnisse offenbarte und bei dem er seine Fans begeisterte.
Damit wäre die Gefahr benannt: Otegi begeistert, der Rest ist lieber still, ein Mann – eine Bewegung, es muss nicht weiter erklärt werden, wie fatal eine solche Abhängigkeit sein kann, vor allem für eine Bewegung, die sich emanzipatorisch und feministisch nennt. Momentan zieht Otegi den Karren allein. (Red.Baskinfo)