Mit der Zahnbürste zum Prozess

Erstveröffentlicht: 
20.04.2016

Vor dem Amtsgericht feiern Pegida-Anhänger ihren Anführer Lutz Bachmann. Der nutzt den Tag für eine Show in eigener Sache.

20.04.2016 Von Ulrich Wolf, Alexander Schneider und Tobias Wolf

 

Wenn ein Gesicht Bände sprechen kann, dann seines: Als Sachsens Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann am Dienstag zum Dienst im Dresdner Justizzentrum antritt, muss er sich durch eine Menschenmenge zwängen. Vor dem Haupteingang stehen rund 100 Pegida-Anhänger, die ihrem angeklagten Anführer Lutz Bachmann huldigen. Fleischmann ist das ganz offensichtlich zuwider. Als ob er nicht schon genug Stress hätte wegen der Razzia von Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt in Freital an diesem Morgen. Gut, dass die Pegida-Sympathisanten sein Gesicht nicht kennen, denn sie skandieren laut: „Widerstand! Widerstand!“

 

Bachmann selbst, in Jeansjacke und abgetragener orangefarbener Jeans, steht lässig rauchend in der Menschentraube. Der 43-Jährige trägt eine Zensur-Balkenbrille, ebenso wie seine Frau Vicky und Pegida-Aktivist Marco Höber, in der Szene nur „Bambi“ genannt. Die Balkenbrillen gibt’s im Internet für gut zwei Euro plus vier Euro Versandkosten. Doch ein weiteres Detail sorgt für Heiterkeit. Aus der linken Brusttasche von Bachmanns Jacke ragt eine Zahnbürste heraus. Rechnet Bachmann tatsächlich damit, dass er schon heute in den Knast muss? Die Idee stammt von Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling. Am 21. Dezember 2015 erklärte sie auf der Pegida-Kundgebung in Dresden, die Bürste sei seit 1989 ein Erkennungszeichen, um bereit zu sein für seinen Widerstand abends nicht zu Hause anzukommen, sondern notfalls auch im Gefängnis zu landen.

 

Bachmanns Richter Hans Hlavka hatte auch ein Zahnbürsten-Erlebnis. Im vergangenen Jahr begrüßte er einen Angeklagten mit den Worten: „Guten Morgen, na, haben Sie Ihre Zahnbürste dabei?“. Daraufhin stellte der Verteidiger einen Befangenheitsantrag gegen Hlavka, der jedoch folgenlos bleiben sollte.

Bachmanns Stellvertreter Siegfried Däbritz läuft vor dem Justizgebäude in einem weiten Mantel auf und ab. Er ist Sicherheitsmann und beobachtet wie immer genau, was um ihn herum geschieht. Heute ist er der Bodyguard seines Kumpels Lutz. Er sieht auf der Freitreppe des majestätisch-trutzig thronenden Landgerichts am Sachsenplatz gut 40 Fotografen, Kamerateams und Medienleute stehen, als warteten sie auf ein Staatsoberhaupt. Dabei gilt ihr Augenmerk lediglich einem Kleinkriminellen, der aus dem Nichts zum Anführer einer regional begrenzten, fremdenfeindlichen Bewegung „besorgter Bürger“ aufgestiegen ist. Bachmann und seine Jünger genießen die Aufmerksamkeit.

 

Eine ältere Dame zeigt ein Plakat, auf dem sie fordert, nicht den Pegida-Chef, sondern die Bundeskanzlerin vor Gericht zu stellen. Andere halten Transparente, auf denen steht: „Freispruch für Lutz Bachmann.“ „Danke, Lutz“, brüllen sie, und: „Wir sind das Volk!“ Ein paar Gegendemonstranten skandieren: „Bachmann in den Knast“ – sie sind kaum zu hören.

 

Es sind überwiegend Rentner und Arbeitslose, die da für Bachmann ihre Stimme erheben. Verführte, von Staat und Gesellschaft vergessene Menschen. In mühevoller Arbeit haben sie ein großes Transparent gebastelt. Umrahmt von den Deutschland-Farben findet sich darauf ein Zitat des Dresdner Dichters und Freiheitskämpfers Theodor Körner: „Noch sitzt ihr da, ihr feigen Gestalten, vom Feinde bezahlt und dem Volke zum Spott. Doch einst wird wieder Gerechtigkeit walten, dann richtet das Volk und es gnade euch Gott.“

 

Gott sei Dank, mag Bachmann denken, ist meine Anwältin pünktlich. Um halb zehn fährt sie vor. Katja Reichel, eine große Blondine, trägt auch eine Sonnenbrille, eine etwas teurere. Als die 47-Jährige auftaucht, brandet Applaus auf. Für sie ist der Prozess gegen ihren Mandanten „politisch motiviert“. Sie will einen Freispruch erreichen. Reichelt hat Erfahrungen mit speziellen Klienten. 2013 verteidigte sie einen der Anführer der „Hooligans Elbflorenz“, 2006 einen der Drahtzieher im aufsehenerregenden Betrugsprozess um den Sächsischen Wirtschaftsdienst und immer wieder Drogendealer.

 

Der bei Pegida überaus beliebte Edwin Wagensveld, den bei Pegida alle nur „Ed, den Holländer“ nennen, ein in der Hooligan-Szene gut vernetzter Mann, lässt aus seinem Megafon einen Luftangriff-Alarmton aufheulen. Dann brüllt er hinein: „Wir sind das Volk!“, „Schämt euch!“, „Widerstand“ – aber das hatten wir ja schon. Die wenigen Gegendemonstranten von der Satire-Partei „Die Partei“ stehen 50 Meter weiter an einer Ecke und sind nur in Schrei-Pausen zu verstehen. Ihr Motto: „Lutz Bachmann – Opfer seiner Sozialisation.“ Sie bezeichnen den mehrfach vorbestraften Bachmann als „Lügen-Lutz!“.

 

Weiter um die Ecke haben sich ein paar Aktivisten der Antifa an einem Mercedes-Transporter versammelt: Ganz in Schwarz gekleidet, vermummt, Sonnenbrillen. Mit „Feuer und Flamme“ wollen sie „sächsische Verhältnisse angreifen“ – steht zumindest auf einem Transparent. Am Zugang zum Amtsgericht machen zwei Wachtmeister eine Raucherpause. Einer schüttelt den Kopf und sagt zu seinem Kollegen: „Nur noch Bekloppte hier!“

 

Wer in Saal N1.05/1.06 will, muss sich akribisch durchsuchen lassen. Das Gericht will sichergehen, dass während des Prozesses nicht nach draußen gesendet wird. Handys und Kameras, Computer und große Taschen sind verboten. Bachmann geht in den Saal, immer noch die schwarze Balkenbrille auf der Nase und die Zahnbürste griffbereit. Unklar ist, ob Richter Hlavka die Zahnbürste gesehen hat. Kurz nach 10 Uhr betritt er den Saal, wartet das Blitzlichtgewitter der Fotografen ab. Wachtmeister vergeben die letzten frei gebliebenen Presse-Plätze an Zuschauer. Viele hatten schon seit Stunden vor dem Saal gewartet, um noch hineinzukommen.

 

Ungewöhnlich ist der Prozess nicht nur wegen der Demonstrationen und klatschenden Zuschauern, die von Mathias Landerer, dem Sicherheitschef des Justizzentrums, ermahnt werden müssen, die Würde des Gerichts zu respektieren oder andernfalls des Saals verwiesen zu werden. Ungewöhnlich ist zudem, dass auch Bachmanns Ehefrau neben ihm auf der Anklagebank sitzt. Die Strafprozessordnung macht es möglich. Lebenspartner dürfen als Beistand neben dem Angeklagten sitzen, müssen auf sein Verlangen sogar gehört werden. „In meiner langjährigen Tätigkeit habe ich das noch nie in einer Sitzung erlebt“, sagt Staatsanwaltschaftssprecher Lorenz Haase. Was Bachmanns damit bezwecken wollen, ist unklar. Auch Personenschützer Däbritz nimmt auf der Anklagebank in einigem Abstand zu den Eheleuten Platz. Offensichtlich ein weiteres Zugeständnis von Richter Hlavka.

 

Als der Richter kommt, nehmen Bachmanns immerhin ihre Balkenbrillen ab. Hlavka stellt die Prozessbeteiligten vor und klärt die Personalien des Angeklagten, der heute in Wilsdruff lebt. „Geboren am 26. Januar 1973 in Dresden, gelernter Koch, selbstständig, stimmt’s?“ Bachmann bejaht. Angeklagter und Richter kennen sich. Hlavka ist seit gut 20 Jahren Richter am Amtsgericht. Er bewegt sich zumeist in den Niederungen der Kleinkriminalität: Prozesse gegen Mieter mit Hanfplantagen, alkoholisierte Pöbler, kleine Drogendealer, renitente Rentner, Betrüger, Asylbewerber. Meist spricht Hlavka Bewährungs- oder Geldstrafen aus.

 

Im Februar 2010 hatte Hlavkas Schöffengericht Bachmann wegen Handels mit mehr als 90 Gramm Kokain zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Diese alte Bewährungsauflage, die wegen einiger weiterer Verurteilungen Bachmanns mehrfach verlängert wurde, könnte ihn nun tatsächlich hinter Gitter bringen. Als der 43-Jährige seine umstrittenen Facebook-Äußerungen abgegeben haben soll, stand er noch unter Bewährung.

 

Hlavka gilt nicht als zimperlich. Szenebekannt, zumindest in der linken, wurde er durch sein Urteil gegen einen Antifa-Aktivisten, der im Februar 2011 Krawall machte. Hlavka verurteilte ihn im Januar 2013 wegen schweren Landfriedensbruchs zu 22 Monaten Haft, das Urteil ist noch immer nicht rechtskräftig.. Bei unklarer Beweislage sprach Hlavka Autonome jedoch auch frei, ein Verfahren gegen einen linken Blockierer stellte er wegen langer Verfahrensdauer nach dreieinhalb Jahren ein.

 

Die Fotografen und Fernsehleute sind längst aus dem Saal, als Staatsanwalt Tobias Uhlemann die Anklage verliest. Er wirft Bachmann vor, im September 2014 – da gab es Pegida noch nicht – auf Facebook volksverhetzende Äußerungen über Flüchtlinge gemacht zu haben. Bachmanns Facebook-Bekannte Susanne K. hatte einen Zeitungsbericht über menschenunwürdige Zustände in einer Asylbewerberunterkunft im fränkischen Zirndorf gepostet, um auf die schwierige Lage von Kriegsflüchtlingen hinzuweisen. Daraufhin habe Bachmann sich in mehreren Kommentaren abfällig über Flüchtlinge geäußert. „Ach, du glaubst der Presse, wenn sie um Mitleid für das Gelumpe heuchelt? Solltest mal mit Leuten reden auf dem Sozialamt, wie sich dieses Dreckspack benimmt“, habe er etwa geschrieben. Neben „Gelumpe“ und „Dreckspack“ habe er auch den Begriff „Viehzeug“ verwandt. Laut Uhlemann habe Bachmann in Kauf genommen, den öffentlichen Frieden zu stören. Er habe die Menschenwürde von Flüchtlingen angegriffen, sie böswillig verächtlich gemacht und so zum Hass gegen sie aufgestachelt. „Das ist strafbar als Volksverhetzung.“

 

Der Facebook-Post der 38-jährigen K. ist bis heute öffentlich zugänglich, auch ihre Antworten an Bachmann, etwa (Originalschreibweise): „du bekommst es nicht in dein kleines rechtes hirn mein lieber lutz diese menschen dürfen sich nicht frei bewegen in unserem land müssen in ihren lagern verweilen da es keine asylbewerber sind ...“. Allerdings fehlen Bachmanns Kommentare. Sie seien kurz nach Bekanntwerden der Vorwürfe im Januar 2015 gelöscht worden, sagt die Zeugin vor Gericht. Sie habe sich damals geärgert, als Bachmann in einer Pressekonferenz versucht habe, seine Bewegung in einem guten Licht darzustellen. Daher habe sie in Absprache mit ihrer Mutter das Posting vom September 2014 auf der Facebook-Seite der Dresdner Morgenpost veröffentlicht. Ihre Mutter habe die Kommentare ausgedruckt und der Mopo übergeben: „Ich habe mich empört über diese Äußerungen“, sagt auch die 60-jährige Annelies K. als Zeugin.

 

Noch bevor das Gericht die beiden Frauen als Zeuginnen befragt, kritisiert Verteidigerin Reichel das Verfahren. Sie sagt, die Äußerungen stammten nicht von Bachmann und fordert eine Einstellung des Verfahrens, da ihr Mandant keine Chance auf einen fairen Prozess habe. Das begründet sie unter anderem mit mangelhaften Ermittlungen zur Frage, ob diese Kommentare überhaupt von dem 43-Jährigen stammen. Reichel will daher einen Techniker von Facebook Deutschland als Zeugen hören. Zudem fordert sie ein unabhängiges Rechtsgutachten zur Frage, ob die Äußerungen überhaupt strafbar seien. Uhlemann entgegnet, ein Facebook-Zeuge sei nicht nötig, es gebe genug andere Beweise und Indizien. Der Richter stellt die Anträge der Verteidigung zurück.

 

Viel mehr ist am ersten Prozesstag nicht passiert. Während Bachmanns Ehefrau mit den Augen rollt oder die Brauen hochzieht, um die Aussagen der Zeuginnen zu kommentieren, sagt Bachmann selbst so gut wie nichts. Hatte er sich nicht vergangenes Jahr mehrfach für „seine“ Äußerungen öffentlich entschuldigt? Nur einmal, als Uhlemann bittet, die Pressemitteilung von Pegida zu verlesen, in der Bachmann seinen Rücktritt von allen Ämtern erklärt hatte, sagt er nur, die habe nicht er, sondern Kathrin Oertel unterzeichnet, die damalige Pressesprecherin.

 

Als Reue wird man das später nicht werten können. Hlavka verzichtet auf die Verlesung; möglicherweise muss nun auch Oertel als Zeugin aussagen. Hlavka wird den Prozess am 3. Mai fortsetzen, wieder an einem Dienstag. Pegida will auch dann wieder vor dem Gebäude demonstrieren – und Bachmann wird dann wohl weiter auf freiem Fuß sein. Seine Zahnbürste kann er zu Hause lassen.