„Smart Cities“ im Terrain der Kämpfe - Der Trommler und Tänzer Benito Santiago ist das Kind philippinischer Einwanderer in die Vereinigten Staaten, wo er in San Francisco aufwuchs. 2013 erhielt er den Räumungsbefehl eines Spekulanten nach dem „Ellis-Gesetz“ (gesetzliche Kündigungs-,besser: Vertreibungsmöglichkeit bei Umwandlung eines Mietwohnungshauses in Eigentumswohnungen).
Nach einem Jahr von direkten Aktionen in Zusammenarbeit mit verschiedenen Gruppen wie „vertreibungsfreies San Francisco“ erreichte Benito sein Bleiberecht. Claudia Tirado kam im Alter von 11 Jahren von Tijuana in die Vereinigten Staaten. Seit kurzem sieht auch sie sich dem Angriff einer solchen „Ellis-Vertreibung“ ausgesetzt und kämpft noch immer um ihr Bleiberecht. Sie sagt: „Da ist doch nichts Verkehrtes daran, Hausmeister*in zu sein. Oder Lehrer*in. Oder Busfahrer*in. Oder Taxifahrer*in oder Dienstmädchen. Verkehrt ist der Mangel an Menschlichkeit oder Respekt, den wir kriegen.“ Benito und Claudia sind zwei von zig Tausenden Opfern der Vertreibungsangriffe der letzten Jahre in San Francisco.
Über 12 000 sind vertrieben worden. Viele von ihnen gehören zu den 7000 Obdachlosen, die den öffentlichen Raum bevölkern, Gehsteige, Parks, Hauseingänge, in Zelten und kleinen Zeltsiedlungen. Die Verachtung, der sie tagtäglich von Seiten ihrer Vertreiber, zumeist im Techsektor beschäftigt, ausgesetzt sind, erreichte im Februar einen widerlichen Höhepunkt. In einem offenen Brief an die Stadt schäumte ein Tech-Reicher gegen „das Gesindel“, das San Francisco zum Slum mache. „ Ich weiß. Die Leute sind über die Gentrifizierung in der Stadt frustriert...Aber die Wirklichkeit ist, dass wir in einer freien Marktgesellschaft leben. Die reichen arbeitenden Leute haben ihr Recht verdient, in der Stadt zu leben. Sie sind rausgegangen, haben eine Ausbildung gemacht,. arbeiten hart und haben es verdient. Ich sollte mich nicht sorgen müssen, angepöbelt zu werden. Ich sollte das Leiden, die Mühsal und die Verzweiflung der Obdachlosen nicht auf meinem Weg zur Arbeit jeden Tag ansehen müssen.“ Die öffentliche Empörung über diesen Brief hat sicher dazu beigetragen, dass Zeltbewohner ihre Weigerung gegen die städtische Order zur Auflösung ihrer Siedlung bekräftigt haben und die Stadt erst mal zurückgesteckt hat.
Viele wehren sich, schließen sich mit anderen zusammen, leisten Widerstand in den verschiedensten
Formen. Eine von ihnen ist das 2013 gegründete „Antivertreibungs-Stadtplan-Projekt“. In ihm sind die Orte
und ihre Geschichten eingetragen. Es sind Gentrifizierungs-Stadtpläne mit Audioberichten, die man sich
runterladen kann -ein anschwellender „Antivertreibungsblues“, so nennen die Aktivisten ihre
Öffentlichkeitsarbeit.. Er begleitet die zugespitzten sozialen Auseinandersetzungen an der zentralen und
wohl heißesten Front, an der Menschen sich im Widerstand gegen die gewalttätigste Zusammenballung
oder im Kapitalistensprech „Cluster“ der Welt, „Silicon Valley“, zusammenfinden, behaupten und neu
erfinden.
Der „Antivertreibungsblues“ ist nur eine Facette aus einem komplexen Aufruhr. Er ist eingewoben in ein
komplexes Auseinandersetzungsgeschehen, in dem die niedrig entlohnten Servicearbeiter*innen aus
denselben sozialen Zusammenhängen zunehmend aufrührerisch werden. Das sind die Hausmeister*innen,
Servierer*innen, Gärtner*innen etc. Von der Zusammensetzung her sind sie in der Mehrzahl weiblich und
zu 78 % Latino. Im Gegensatz zu den Mitarbeiter*innen bei „Intel“, wo gerade eine Demonstration
stattfand. Dort sind 75,9 % der Beschäftigten männlich und nur 8,3 % Latino (ähnliche Zahlen auch in
anderen IT-Unternehmen). Sie allerdings verdienen viel Geld, zum Teil Spitzengehälter und tragen im
Unternehmen blaue Identitätsplaketten. Die Blauen verdienen auf ihrem „Intel“-Campus nicht nur dickes
Geld, sie werden dort mit Tischtennis-Tischen, Bädern, Fitness-Abteilungen mit persönlichen Trainern, und
freiem Kaffee bedient. Der wird ihnen von Service-Arbeiter*innen serviert. Die trugen bei der Demo grüne
Plaketten. Einer von ihnen sagte: „Die Art, wie sie uns „Grünbuttons“ behandeln, ist, als ob wir Bürger
zweiter Klasse sind“, „mit unseren miesen Bezahlungen können wir so nicht leben“. In der Tat sie können
sie sich die Wohnungen, Kneipen, ja sogar den Einkauf in der Nähe ihrer Arbeitsplätze nicht leisten.
Hier trifft zu, was der weit nach links renommierte Historiker des Taylorismus Charles Maier über den
neuen sozialräumlichen Ausdruck des technologischen Angriffs gesagt hat. Er stellte den Abbruch
fordistischer hierarchischer sozialer Pyramiden fest. Er charakterisierte die transformierten sozialen, auch
sozialräumlichen Verhältnisse plastisch so: „Heute sehen wir Elite und Masse in konzentrischen Kreisen
arrangiert, nicht mehr in zugespitzten Pyramiden. Wir gebrauchen die Sprache von Zentrum und Peripherie:
die neue Elite im Zentrum erntet die Früchte für ihre Fertigkeiten in transnationaler Kontrolle von
Information und Symbolen. Das neue Proletariat verrichtet niedere Dienste: es reinigt
Krankenhauskorridore oder Straßen, es kümmert sich um unsere Häuser und Kinder.“ Neue Herren und
neue Leibeigene, wenn man die bei uns dargestellte Entwicklung auf dem Cash-Sektor hinzuzieht. Die
Herren allerdings sind durchaus beeindruckt und nicht dumm: Sie favorisieren Gespräche, die sie mit den
Vertretern neuer gewerkschaftlicher Ansätze (Unite Here) führen. Gewerkschaftliche Systemstabilisierung
auf dem Wege antagonistischer Kooperation auf neuem Niveau.
Entwertung, soziale Zerstörung und Vertreibung, wie sie sich hier in einem konkreten Punkt der sozialen
Auseinandersetzung ausdrücken, stellten beabsichtigte Auswirkungen des epochalen „technologischen
Angriffs“ dar. Betrieben wurde er von der höchsten Ebene des Weltkapitalismus, der amerikanischen
Zentralbank (Federal Reserve Board, kurz “Fed“). Dieser Angriff diente der Zertrümmerung des sozialen
Ortes und Geflechts der alten Mittelschichten (im Schwerpunkt aus Industriearbeit und Bürokratie der
fordistischen Ära). Entrechtet, entwertet, verarmt sollten sie das Reservoir der neuen Servicesklaven
bilden. 1 Diese Entwertung war beabsichtigt und nun kommt nach einem langen time-lag nicht nur die
Gegenwehr gegen Lohndrückerei (die gab es schon vorher), sondern die Gegenwehr gegen das
Strukturkonzept als solches. Eine völlig neue Qualität.
Das geschilderte Kampfgeschehen um Silicon Valley“ steht weltweit im Zentrum der Transformation
sozialer Auseinandersetzungen in der Stadt, exemplarisch, zukunftsweisend auch für andere „Cluster“ der
neuen globalen Ordnung. Zukunftsweisend und globaler Bezugspunkt für periphere Entwicklungen in
einem. Völlig zurecht werden sie dort als “Gentrifizierung“ eingeordnet, als ihr historisch fortgeschrittener
Ausdruck. Wir müssen uns damit beschäftigen. Denn auch unsere Kämpfe in den „angesagten Städten“ wie
Köln, Barcelona, Warschau, Liverpool, die sich in Deutschland, Spanien, Polen, England mit den Angriffen
aus neuen Innovations-Clustern auseinandersetzen, haben Anteil am globalen Kampfgeschehen.
Nachholend, in anderen kulturellen Formen, aber immer als Ausdruck, Reflex und Widerschein der
Angriffe ihres Vorreiters: der Kaiserburg des technologischen Angriffs, Silicon Valley. Sie ermöglichen aus
der Perspektive eines historisch fortgeschrittenen Stadiums ein besseres Verständnis der Vergangenheit.
Denn, wie so oft, wird auch hier aus dem Moment der zugespitzten Entwicklung deutlich, dass die
„Gentrifizierung“ einer vergangenen Phase nicht nur statisch Teil einer „neoliberalen Neuordnung“ des
Städtischen im Zeitalter der Globalisierung war, wie es uns gesagt wurde. Bei höherer Auflösung des Bildes
wird sie erkennbar als der Anfang, als die erste Etappe einer anhaltenden Entwicklung unter dem
„neoliberalen“ Angriff der 80er und 90er Jahre. Dieser erfuhr nun, nach dem technologischen Angriff unter
der Führung der amerikanischen Zentralbank, einen neuen Schub, eine neue Profilierung und Zuspitzung.
Mit dem Begriff der „Gentrifizierung“ wurde von der bürgerlichen Stadtsoziologie (Jörg Friedrich) und
entsprechenden Darstellungen aus dem Spektrum um Linkspartei und Vorläufer wird ideologiekompatibel
das statische Bild eines soziologischen „Befunds“ bzw. der „Vergesellschaftung“ suggeriert. Weil beide sich
in ideologischer Absicht systemisch blind halten für den Gewaltcharakter von Technologie, wird es von
ihnen nicht als Produkt eines historischen technologischen Angriffs wahrgenommen. Rückblickend jedoch
entschlüsselt sich auch die Etappe des „neoliberalen“ Stadiums schon als Prozess eines kapitalistischen
Angriffs in seiner Auseinandersetzung mit Selbstbehauptung bzw. Gegenwehr. Gegen den ideologischen
Neutralismus hat die Zeitschrift „Autonomie“ (Heft 3, „Die zweite Zerstörung Deutschlands“) diesen
Prozess schon Anfang der 80er Jahre als Ausdruck der Kämpfe gegen einen kapitalistischen
Strategiewechsel „Von der Integration zur Aussonderung“ analysiert. Es sind die Kämpfe, die für die
nichtreformistische Linke der zentrale Angel- und Ausgangspunkt von Handeln und Erkennen sein müssen,
nicht die Analyse des Raums als Gegenstand. Denn sogar „Raum“ ist dynamisch. Raumbildung hat seine
strategische Funktion im Kampfgeschehen. Doch dazu weiter unten.
Antivertreibungsblues und die Angriffe auf Googlebusse.
Hier beschäftigen wir uns in erster Linie mit dem Aspekt der Selbstbehauptung gegen Vertreibung in San
Franciscos „Antivertreibungsblues“. Der „Antivertreibungsblues“ entstand zeitgleich und in Verbindung
mit den Angriffen auf die Luxusbusse, mit denen Google seine zahlungskräftigen Mitarbeiter einsammelt,
um sie in das Hauptquartier seines technologischen Angriffs im Silicon Valley zu bringen. Der
Zusammenhang ist ziemlich direkt. An den Busstationen liegen die Wohnkomplexe, in denen diese jungen
reichen Technologieavantgarden bei Mieten hausen, die für den normalen Stadtbewohner nicht mehr zu
bezahlen sind und immer weiter steigen. Der Busplan bildete nichts weniger ab, als die Knotenpunkte eines
Aufmarschplans des technologischen Angriffs in das überkommene soziale Gewebe. Zugleich eine
sozialräumliche Momentaufnahme eines komplexen Prozesses technologisch-sozialer Entwertung bzw.
Enteignung und kämpferischer Selbstherstellung. Die Momentaufnahme einer Art Front, an der sich Gewalt
und Selbstbehauptung begegnen. Das Widerstandsgeschehen war vielfältig und bunt und ein Kontrastbild
zur Phantasielosigkeit und Armut der Tech-Offensive. Die Busse wurden blockiert und mit Farbbeuteln,
weichen und harten Wurfobjekten etc. verschönert und ansehnlich gemacht. Mitorganisator Max Alper
begleitete die Auseinandersetzungen mit absurd-realistischem Straßentheater. Es entstanden Szenen und
Bilder zu etwas, dessen Kern die Journalistin Susie Cagle als neuen „Klassenkrieg“ ausmachte, einem
Krieg zwischen der „Silicon-Valley-Techkultur“ und dem Selbstbehauptungswillen der Menschen in einer
„Epidemie neuer Wohnungslosigkeit“ und Vertreibung. Natürlich braucht es etwas mehr als den über 100
Jahre alten ökonomistischen Klassenbegriff der Marxisten, um diese Auseinandersetzung zwischen der
innovativen Gewalt des Kapitalismus und seinen Trägerschichten und Avantgarden (von Richard Florida,
einem frühen Beobachter, wohltönend und propagandistisch als „creative class“ bezeichnet) und denjenigen
zu begreifen, die auf diese Gewaltsamkeit in neuen Formen antworten. Wenn schon Marx, dann kann man
sich Einsichten aus den Schriften seiner revolutionären Zeit Anfang der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts
holen. 2 Bevor er später zum Theoretiker einer subjektfreien Maschine herabsank, stellte er hier noch Leben
und Kampf der lebendigen proletarischen Akteure gegen die Gewaltformen des Kapitalismus in den
Mittelpunkt. Wenn wir das tun, gewinnen die Menschen in San Francisco für uns eine neue Bedeutung,
aber auch in Barcelona, in Mailand, in Hamburg (3900 Internet-Unternehmensgründungen bis 2014), in
Köln (2000), in München (3600). Wir entziffern die Land- und Stadtkarten des Angriffs als
Aufmarschpläne, auf/ denen die Avantgarden sich zu ihren Einsatzorten kreativer Gewalt bewegen.
Einsatzorte dieser Gewalt sind auch die Häuser und Wohnungen, deren Mieten nur noch sie und
ihresgleichen bezahlen können und aus denen sie die Menschen in einem sozialen Krieg vertreiben, deren
Einsatzorgane von städtischen Agenturen über Polizei bis zu den Gerichten reichen, die die Kündigungen
für rechtswirksam erklären. In der Tat: auch hier werden wir zunehmend Zeugen, wie sich die Agenturen
des sozial-technischen Angriffs nicht nur der Gier der Hauseigentümer, sondern der justiziellen Organe zur
Exekution der Vertreibung bedienen.
Krieg in den Städten: die Aufmarschpläne
Aufmarschpläne und Kartierungen sind inzwischen außerordentlich vielfältig. In den USA zeichneten nach
dem Beginn des technologischen Angriffs schon Anfang des neuen Jahrhunderts Ökonomen die
sozialräumliche Reorganisation des Macht- und Reichtumsgefälles um Silicon Valley in sein Umland nach. 3
Inzwischen sprechen Geographen der Innovationsoffensive in den USA vom Aufstieg neuer
Innovationsdistrikte mit ihren Clustern von Tech-Spitzenverdienern, Tech-Führungsschichten und ihren
neureichen Nachbarschaften als Ausdruck einer neuen politischen Sozialgeographie. 4 Und im
Regionalanalysen und -ranking wird die arbeits- und zugleich auch „rassiche“ („racial“) Entwertung mit
dem Aufstieg der neuen Technologien korreliert und in Verbindung gebracht. Die Feststellung dieser
Untersuchung, dass die zurückgebliebenen Städte „inklusiver“ und ein geringeres Einkommensgefälle
zeigen, als die IT-Cluster, überrascht uns dagegen nicht. 5
In Deutschland werden die Fortschritte dieses kapitalistischen Angriffs ständig von verschiedenen
Agenturen neu begutachtet und auf Stand gebracht. Zu ihnen gehört das „umfassende(s) Ranking für
Deutschlands Regionen im Zukunftswettbewerb“ von Prognos und Handelblatt, ausgestaltet als
„Zukunftsatlas“. Die Städte werden in ihrer Konkurrenz um Spitzenpositionen als innovative Cluster
dargestellt, bewertet und zugleich angeheizt. Wer nicht liefert –und das heißt auch: sich nicht selbst was zur
eigenen Optimierung einfallen lässt-, der bleibt auf der Strecke. Die Winner und Loser werden im Ranking
geoutet, die einen gelobt, die anderen an den Pranger gestellt.. Zu seinen Kriterien („Standortfaktoren“)
gehören Ausstattung und Attraktivität in erster Linie für die „High potentials“, die neuen Eliten (vor allem
aus dem Spektrum des technologischen Angriffs), auf die es ankommt und die man anziehen will. Dann
Bildung und Innovationsfähigkeit, „Kultur“-angebot, Internationalität, Erreichbarkeit, Vernetzungsgrad,
Angebot an nutzbaren Servicesklaven aus der Umgebung, Sichtbarkeit (Markencharakter), Sicherheit (auch
vor Widerstand), Langfristigkeit des Entwicklungspotentials, d.h. „Nachhaltigkeit“ etc. Der Begleitbericht
zum „Zukunftsatlas 2013“ von Handelsblatt und Prognos im Handelsblatt vom 08.11.2013 ließ an
unverschämter Offenheit nichts zu wünschen übrig: „Das Grundgesetz fordert die ‚Herstellung
gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet’ Dieser Anspruch ist gescheitert. Nie war die Spaltung
Deutschlands in erfolgreiche und abgehängte Gegenden größer.“ Von maßgebender Bedeutung ist auch das
HWWI/Berenberg-Städteranking. Das in HWWI umbenannte HWWA blickt auf eine wichtige Rolle in der
nationalsozialistischen Geld- und Großraumpolitik zurück. Die besondere Bedeutung von Deutschlands
größter in Hamburg ansässiger Privatbank Berenberg liegt gegenüber Prognos in der internationalen
Vernetzung mit stadtpolitisch ähnlich operierenden internationalen Banken. Es definiert mit dem Ranking
die für Kommunen wichtige Kreditwürdigkeit.. „Abgehängt“ werden allerdings nicht die Gegenden,
sondern ihre Bewohner, ihre Menschen. Abgehängt von den technologischen Clustern und ihren
Avantgarden. Den Großverdienern also, die sie abhängen und auch in ihren Cluster-Städten dafür sorgen,
dass entwertete Menschen, deren jobs im Technoangriff entwertet wurden, rausgeschmissen oder
zumindest als neue Service-Sklaven an den Rand vertrieben werden. Natürlich zeigen die deutschen Cluster
nicht die hohe Konzentration von Angehörigen der IT-Avantgarden wie Silicon Valley. Aber alle alten
Industrien sind inzwischen „Anwenderindustrien“. Das heißt: ihre Firmen weisen einen hohen Anteil dieser
IT-Avantgarden auf. Wenn nicht, verschwinden sie mangels Produktivität von der Bildfläche. Auch wenn
sie den eher traditionellen Sektoren wie Maschinenbau, Chemie und Automobilbau angehören. Berlin
mausert sich, München, Köln, Erfurt, Erlangen etc.
Smart Cities – der technokratische Rausch einer Herrenutopie ?
Nachdem wir den „Antivertreibungsblues“ zum Ausgangspunkt unserer Darstellung des technologischen
Angriffs aus seinen „Clustern“ gemacht haben, können wir dessen Avantgarden bei der Totalisierung des
Angriffs in alle Dimensionen des städtischen Raums und des sozialen Lebens weiter nachspüren und sie
besser beurteilen. Er verfolgt das Ziel der totalen „schöpferischen Zerstörung“ tradierter Formen
städtischen Lebens und seiner Neuunterwerfung. Dieser Angriff hat sich das ebenso schicke, wie
„selbstbeweihräuchernde“ (Hollands) propagandistische Etikett „smart city“ verliehen. In Davos dröhnte
im Januar der Erfinder und Organisator des Forums Klaus Schwab von unerschöpflichen Perspektiven und
Investitionschancen. Akute Bedrohung oder bloßes Gerede? Wieweit sollen wir die Fantasien und Visionen
der Kapitalisten für bare Münze zu nehmen? Die Weltbank rät zur Vorsicht. Aus ihrer „Urbanization
Knowledge Partnership“ verlautet dieser Tage die nüchterne Einschätzung, dass der Enthusiasmus wohl
weit verbreitet sein mag. Aber weltweit seien die Bürgermeister und ihre Stäbe noch nicht über das Stadium
hinausgekommen, in dem sie um Erarbeitung von Konzepten und Investitionsstrategien ringen. So gehen
die nüchternen Feststellungen dahin, dass -angestoßen durch die Vorläufer San Francisco und San Diego
um das weltführende Cluster Silicon Valley- in verschiedenen Städten lediglich Einzelaspekte angegangen
worden sind: die Organisation von Verkehrsflüssen, wie etwa –unter Einsatz von Sensoren- in dem
geplagten Verkehrsnadelöhr San Sebastian; die Organisation des Bewässerungssystems öffentlicher
Anlagen und des Busnetzes in Barcelona; eine mobile Gesundheitsversorgung (angedacht in englischen
Städten), die Einkreisung der Lebensautonomien in den Favelas und wilden Siedlungen in Rio und Nairobi;
die Informatisierung der städtischen Versorgungs- und Verwaltungssysteme in Stockholm oder Estland, die
Umweltpflege und –bewirtschaftung (ansatzweise in vielen Stadten wie Amsterdam, Stockholm, Singapur);
die Kriminalitätskontrolle (fortgeschritten in Santa Cruz und einigen englischen Städten); die Einrichtung
smarter Messgeräte für die Optimierung des Energieverbrauchs. So gut wie alle Initiativen sind noch im
Konzept-, bestenfalls im Versuchstadium. Heißt das, dass wir uns vorläufig in Sicherheit wiegen können?
Und wie vorläufig ist „vorläufig“?
Die Einschränkungen und Hindernisse auf dem Weg der Smartifizierung sind Ausdruck eines wichtigen
Umstands. Cluster wie Silicon Valley sind das Produkt der Offenheit des Innovationsgeschehens, die den
kreativen Energien ihrer Avantgarden ein freies gesellschaftliches Feld eröffnet. Ihnen würden, so wird
eingewandt, durch eine strikte Steuerung des städtischen Geschehens kontraproduktive Fesseln angelegt.
Die Einschränkungen rühren in vielen Fällen auch daher, dass führende Frontunternehmen des
technologischen Angriffs die Aufträge an Land gezogen haben und hauptsächlich ihr Produkt verkaufen
wollen, z.B. Cisco für Adelaide, IBM und Siemens für Rio, Bosch und Siemens für Umweltinitiativen in
verschiedenen asiatischen Städten („Asian Green City“-Initiative), Vattenfall für smarte
Energiebewirtschaftung mit fernen Visionen der Integration von Handel, Verkehr, Wohnen durch Sensorik,
Chips und Internet.
Eine integrierte Offensive zur Regelung aller Lebensverhältnissein ist weitgehend noch im Stadium der
Meinungsbildung. Diese ist sehr kontrovers, wie die Weltbank hervorhebt. Befürworter des „smart-city“-
Gedankens sähen zwar eine echte Revolution im Stadt-Management. Skeptiker erblickten allenfalls darin
nur eine leere Hype mit schicken Visionen, deren Verwirklichung mit großen Investitionsrisiken und –
verzerrungen aus den knappen Mitteln bezahlt würden. Ist das eine richtige Einschätzung?
Während die Beispiele für die nachhaltige Verwirklichung eines integrierten smart-city-Projekts noch auf
sich warten lassen -höhnische Aufforderung eines Stadtplaners: „Möchte die wirkliche Smart City nicht
vielleicht bitte mal aus dem Versteck kommen?“- haben immerhin verschiedene Länder dafür
Finanzspielräume eröffnet, sogar Schwellen- und Entwicklungsländer: China mit eine Kreditlinie von 70
Mrd. $, Indien mit 1,2 Mrd $. Sie zielen auf die noch nicht einmal realistisch begonnenen Projekte mit
langem Atem, in der Absicht einer Integration aller Vorstöße des technologischen Angriffs zur totalen
Reorganisation des städtischen Lebens: Verkehrskontrolle, Überwachung, die Zugriffe auf das Verhalten in
den Bereichen Arbeit, Konsum, Gesundheit, Freizeit, Mobilität, private und öffentliche Dienstleistungen
etc., das Internet der Dinge. Das liegt daran, dass die Stadt ja der Ort all dieser Lebensvollzüge ist und darin
sogar mit den Urbanisierungsschüben der letzten Jahre expandiert.
Zu den markantesten dieser Visionen gehört die Technologieplattform von Barcelona’s CityOS. Daran wird
das Utopische seines Entwurfs- und Projektcharakters am deutlichsten -ein Projekt von der Qualität einer
Fata Morgana. Hier entwirft eine besondere Entwicklungsbehörde die „Smartcity“ als Projekt aus einem
kybernetischen Entwicklungsdesign. Ein „City OS“ soll dabei als strategischer Kern zur Umgestaltung
Barcelonas und Umgebung in einem dynamisch angelegten Prozess fungieren. Durchdringende
Datenerhebung, Sicherheitsmanagement, Semantik (Leitsysteme durch Icons) systematische
Prozessbeobachtung etc. werden in den Mittelpunkt einer Auseinandersetzung mit dem sozialen Umfeld
gestellt. Darüber hinaus soll sie als Zentrum zur Ankoppelung von weiteren Smart-City-Modulen anderer
Städte in einem übergreifenden Entwicklungsverbund dienen. Oder Rio. Dort wurde ein intelligentes
Operationszentrum eingerichtet, das Daten von über 30 Agenturen integrieren soll, gelenkt von einem
Kommandozentrum nach Art der NASA. Es soll letztlich als Kern für die schon eingeleitete soziale
„Sanierung“ der favelas dienen, mit aggressiven Eingriffen in die autonomen Lebensformen. Ja sogar
Nairobi macht sich bei aller Geldknappheit auf den Weg zur Smart City um den Kern der Konza Techno
City parallel zu den Eingriffen in die wilde Siedlung Kibera. Man kann unschwer erkennen, dass Rio und
Nairobi dem grundsätzlichen Profil von Eingriffen aus dem hightech-orientierten Kern in die soziale
Umgebung folgen, das auch das Kommando Silicon Valleys bestimmt.
All das summiert sich zu einem Angriffsprojekt von ungeheurer Komplexität. Mit der Betonung auf
„Angriff“. Wir tun gut daran, es auch als solches zu behandeln und nicht etwa einen von der Kapitalseite
angestrebten Zielzustand als Ergebnis vorwegzunehmen. Davor stehen die Kämpfe. Natürlich sind soziale
Mess- und Steuerungsvorgänge als feedback-loops technisch darstellbar. In krasser Form werden sie
beispielsweise in Barcelonas CityOS als kybernetisches Modell konstruiert. Krasser noch ist vielleicht die
Zusammenarbeit von IBM, Siemens und Oracle an der Vision eines „Smart Planet“. Aber sind die
Menschen bereits darin eingespeist? Nicht mal im Ansatz. Sind sie bereit, sich darin einzuspeisen? Damit
ihre Sprache, ihr Verhalten, Liebe, Spaß, Vergesellung etc. als Input eines objektivierten
Steuerungsvorgangs funktionieren können, bedarf es ja einer gigantisch angelegten Phase der Zurichtung.
Menschen, menschliches Verhalten sind heute bei weitem nicht in einem Ausmaß zugerichtet und
homogenisiert, dass sie als Bestandteil oder auch nur als erfassbares Umfeld eines derartigen
Steuerungskonzepts darstellbar sein könnten. Die Zurichtung ist, wie wir bei Capulcu nachvollziehen
können, erst rudimentär gediehen und trifft auf mannigfaltige Widerstände. Die Smart City dient vielmehr
als Integrationsrahmen in dem weit reichende Erfassungs- und Lenkungssysteme als sich „sinnvoll“
ergänzende Bausteine sich selbst und unsere Datenpreisgabe „legitimieren“ sollen: Vom Smart Car, dem
Smart Home über smarte Werbe- und Bezahlsysteme, bis hin zur smarten Healthcare, dem
Gesundheitssystem das auf permanenter Selbstvermessung und -regulierung zwecks Selbstoptimierung
basiert.
Um die Gesamtstrategie der Smart City beurteilen zu können, sollten wir uns erstmal der aktuellen
Strategien der Zurichtung auf den verschiedenen Sektoren vergewissern. Ihre Integration zu einer
gesellschaftlichen Gesamtheit ist dann noch einmal ein gewaltiger Schritt mit exponentiell potenzierten
Dimensionen. Zur weiteren Beurteilung sollten wir die historischen Erfahrungen aus ähnlichen Zyklen
aufrufen, vor allem aus der vorangegangenen Epoche des tayloristischen Angriffs. Und sie auf seine
Zurichtungsstrategien und dann daraufhin befragen, wann die Phase des Lenkungsversuchs komplexer
Stadtvollzüge erreicht war. Dann werden wir feststellen, dass das erst im letzten Zeitabschnitt der Fall war,
nach dem Zweiten Weltkrieg. 6 Was sich heute in kybernetischen Ansätzen als Kampfutopie des Kapitals
kristallisiert, hieß damals „Systemtheorie“ mit dem Leitbild der universellen determinierten Maschine aus
lebendigem Fleisch. Und dagegen setzten dann in der Schlussphase die sozialrevolutionären Bewegungen
der 60er und 70er Jahre ein und machten dem barbarischen Treiben ein Ende. Die soziale Maschine ist also
nie verwirklicht worden. Im Sinn von „Wirklichkeit“ gab es sie nie. Hat dementsprechend „smart city“ im
Sinne einer Totalsteuerung menschlichen Verhaltens in der Stadt keine Chance, Wirklichkeit“ zu werden?
Derzeit ist er ein Angriffsentwurf. Als einen solchen müssen wir ihn allerdings sehr ernst nehmen. Denn er
dürfte zunächst die Zurichtungsstrategien der Herren und den Pegel der von ihnen angewandten Gewalt
bestimmen. Bei ständiger Veränderung der kybernetischen Entwürfe, Strategien und Leitbilder allerdings.
Sie haben ihre Existenz sicher in den Köpfen der Herren, aber die ist im Prozess der Kämpfe einer hohen
Variabilität unterworfen. Wenn wir einerseits in der Behandlung der voll kybernetisierten „smart city“ als
Gegenstand unserer Darstellung Gefahr laufen, den Sieg der Gewalttäter vorwegzunehmen, so dürfen wir
andererseits ihre Bereitschaft zur technokratischen Barbarei nie unterschätzen. Darum ist es politisch
sinnvoll, den Ausgangspunkt unserer Überlegungen und Darstellungen immer in den Kämpfen zu suchen,
als dem perspektivischen Angelpunkt für den Blick auf die komplexen Vorstöße aus der „smart city“.
Die Weltbank begreift dementsprechend wohlweislich das Feld von Untersuchung und Verwirklichung als
„Laboratorium“. Das gilt auch für die Einbeziehung der Bewohner*innen in Foren, in „public-private-
people-partnerships“, an runden Tischen etwa über Gewalt, Gentrifizierung etc. Sie seien „living labs“,
lebendige Laboratorien und Testbeete für die Einübung, Beforschung und Verwirklichung der Einbeziehung
der Menschen in einem.
Unsere Seite
sind daher die Bewegungsformen und Widerstände der anvisierten Testkaninchen. Aus diesem Grund
müssen wir an den Bewegungen anknüpfen gegen das, was der Angriff der „smart cities“ als seinen bisher
deutlichsten Ausdruck manifestiert. Und das sind die Erfahrungen der Vertreibungsopfer und derjenigen,
die sich dagegen wehren. Auch in Deutschland kämpfen viele gegen Vertreibung aus den „angesagten“
Städten und Stadtteilen. Es sind Kämpfe von Gruppen wie „Wohnraum für alle“ in Köln gegen Rauswürfe
von Mietern, Kämpfe auch durch Hausbesetzungen. Dazu gehören Gruppen, die unter dem Etikett „Recht
auf Stadt“ Widerstand leisten und Widerstände aufgreifen. Auch die Kämpfe gegen „Gentrifizierung“. Es
ist höchste Zeit für ihre Aktivist*innen, zu begreifen, dass sie Teile eines großen Kampfzusammenhangs
sind, der über ihren Ort, über den Einzelfall, ja über die Thematik des Wohnraums weit hinaus geht. Sie
haben Anteil an einem epochalen Kampfgeschehen gegen einen global ausgerichteten Innovationsangriff,
der nicht nur die Wohnverhältnisse, sondern die Lebensverhältnisse und alle sozialen Bereiche weltweit
erfasst hat. Es wird sie stärker machen, wenn sie ihre Horizonte ausweiten, wenn sie sich da, wo sie es
können, mit Akteuren von Kampfzusammenhängen in anderen sozialen Terrains und in anderen Regionen,
Ländern, Kontinenten verbinden. Oder sich zumindest auf sie beziehen. Und es wird sie stärker machen,
wenn sie sich als Teil einer sozialrevolutionären weltweiten Vielfalt auf dem Weg zu konkreten
Zusammenhängen begreifen lernen.
Friede den Hütten, Krieg den Palästen, weltweit.
Die Hütten sind überall, die Paläste oft gleich nebenan.
1 D. Hartmann, Krise, Kämpfe, Kriege, Bd. 1 / Alan Greenspans endloser „Tzunami“, eine Angriffswelle zur
Erneuerung kapitalistischer Macht.
2 D. Hartmann, Krise, Kämpfe, Kriege, Allen Greenspans endloser „Tsunami“ / Eine Angriffswelle zur
Erneuerung kapitalistischer Macht, Berlin 2015, S. 216 ff.
3 J. Galbraith, T. Hale, Income Distribution in the Information Technology Bubble, University of Texas
Inequality Project, Working Paper 27, 14.01.2004, S. 7 ff, 11, 14, für die Einordnung in den technologischen
Angriff: D. Hartmann, Krise..., op. cit., S. 135 ff.
4 B. Katz, J. Wagner, The Rise of Innovation Districts, A New Geography of Innovation in America, The
Brookings Institution 2014.
5 R. Shearer et al., Growth, Prosperity, and Inclusion, Metromonitor 2016, Brookings, Jan. 2016
6 Autonomie, oben zitiert.