Der neue Vorschlag der baskischen Linkspartei SORTU vom Januar 2016 hat viel Staub aufgewirbelt, innerhalb und außerhalb der Partei. Ohne die Parteibasis zu konsultieren haben die für den Normalisierungs-Prozess Zuständigen einen Vorschlag gemacht, der frühere Positionen in Frage stellt. Ziel des Vorschlags, hinter den sich nun in einer öffentlichen Pressekonferenz an die 700 ehemalige politische Gefangene gestellt haben, ist zweifellos die baldmögliche Entlassung der Gefangenen aus spanischen und französischen Gefängnissen.
Der Vorschlag, an die Gefangenen selbst gerichtet, beinhaltet, die Presos sollen künftig in individueller Form die spanischen Strafgesetze anerkennen und versuchen, die in diesen Gesetzen enthaltenen Möglichkeiten der Haftverkürzung wahrzunehmen. Bisherige Hoffnung war gewesen, dass nach dem Ende der bewaffneten Aktion von ETA die spanische Regierung in Verhandlungen zu einer „Gesamtlösung“ für die Gefangenen bewegen zu können. Das hat sich nach 5 Jahren Totalblockade von jener Seite als unrealistisch herausgestellt.
Derzeit befindet sich das Kollektiv der Gefangenen (EPPK, nur eine Teil ist von ETA,ein anderer Teil hat legale Politik gemacht), in einem wegen der Knastbedingungen schwierigen Diskussions-Prozess über die künftige Haltung des Kollektivs. Die Pressekonferenz stellt einen Fingerzeig an die Presos dar, wo es lang gehen soll.
Die bisherige Haltung der Gefangenen und der baskischen Linken bestand in einer frontalen Ablehnung der spanischen Gesetze, die alle Ausnahme-Charakter haben und in vielen Fällen ausdrücklich deshalb gezimmert wurden, um die Repressions-Schraube gegen legale linke Aktivitäten, gegen ETA und gegen die Gefangenen zu verschärfen. Die Gefangenen betrachteten sich als politische Gefangene, nicht wie die Justiz als „normale Kriminelle“. Bei Prozessen war grundsätzlich nicht mit den Gerichten „zusammengearbeitet“ worden, die spanische Justiz, ihre Richter und „Beweise“ wurden abgelehnt. Die gesetzlich vorgesehenen Hafterleichterungen wurden nie in Anspruch genommen. Eine durchaus nachvollziehbare und logische Haltung. Wer sich vor Gericht nicht an dieses Ablehnungs-Dogma hielt, wurde aus dem Gefangenen-Kollektiv geworfen.
Damit soll jetzt Schluss sein nach dem Willen von des SORTU-Führers Rufi Etxeberria, der selbst mehrere Jahre hinter Gittern verbrachte und erst kürzlich mit 34 anderen in der Audiencia Nacional (Sondergericht) einen Urteils-Deal unterschrieb, der einerseits ein Schuldeingeständnis war, andererseits alle Angeklagten vor dem Gefängnis verschonte.
Die Folge der Ablehnung der spanischen Jsutiz war, dass von den aktuell ca. 390 Gefangenen praktisch alle im ersten Haftgrad eingesperrt sind, den härtesten Bedingungen mit den meisten Einschränkungen. Ausnahme stellt nur eine handvoll Gefangener dar, die wegen schwerer Krankheit unter Hausarrest stehen. Die Gefangenen haben es abgelehnt, Anträge zustellen, um in andere Haftgrade zu kommen. Nun zu dieser Praxis überzugehen könnte Bewegung in die Haftbedingungen bringen, von Erleichterungen bis zu bedingten Freigängen. Sicher keine baldigen Entlassungen, aber eventuell tageweise Freiheit, welche die Situation der Angehörigen enorm verbessern würde, die aktuell tausende von Kilometern für Besuche zurücklegen müssen.
Aktuell gibt es vier verschiedene Haftgrade. Der erste Grad ist der kompromissloseste. Der zweite Grad beinhaltet die Möglichkeit zu tageweisen Freigängen. Der dritte sieht vor, dass die Gefangenen nur die Nächte und Wochenenden im Knast verbringen müssen. Der vierte Grad bedeutet bedingte Freilassung.
Der Wechsel von einem Haftgrad zum anderen ist geknüpft an die Prüfung durch eine Kommission, die das Verhalten der Gefangenen prüft und entscheidet, ob die Presos auf dem Weg zur Rehabilitierung sind oder nicht. Im ersten Grad wird diese Prüfung alle drei Monate durchgeführt, wenn sie beantragt wurde. Über diesen Weg haben jene ETA-Gefangenen Hafterleichterungen erhalten, die sich von der Organisation distanziert und folglich aus dem Kollektiv ausgeschlossen wurden, sie sind im Übrigen die einzigen, die nicht der Verteilung auf den ganzen spanischen Staat unterworfen, sondern in Nanclares (Baskenland) eingesperrt sind. Bei der Prüfung durch die Kommission müssen die Gefangenen eine persönliche Entwicklung nachweisen und deutlich machen, dass sich ihre „Taten“ nicht wiederholen. Sie müssen den Schaden anerkennen, den sie verursacht haben und der zivilrechtlichen Schadensbegleichung zustimmen.
Dieses Vorgehen empfehlen SORTU bzw. Etxeberria den Gefangenen nun als neue Strategie auf Basis der bestehenden Gesetze. In dieser Strategie nicht enthalten ist das „Prinzip der Reue oder des Verrats“, das wäre somit die neue „rote Linie“ für die Gefangenen. Sollten sich die Gefangenen für den neuen Weg erwärmen, gingen sie denselben Schritt, den die baskische Linke bereits 2011 bei der Parteigründung von SORTU gemacht hat. Sie hatte sich den Bedingungen des Parteiengesetzes unterworfen, mit dem sie vorher 9 Jahre lang illegalisiert worden war und das sie bei den Verhandlungen mit der Regierung von 2007 noch hartnäckig bekämpft hatte.
Außer der spanischen Rechten sieht kaum jemand noch einen großen Sinn darin, Gefangene länger als „moralisch nötig“ im Knast zu behalten, im Baskenland sind die Fürsprecher von „geordneten vorzeitigen Entlassungen“ in der Mehrheit. Für die baskische Linke selbst stellt sich die Frage, welcher Preis dafür bezahlt werden soll – die berühmten roten Linien.
In der baskischen Rechtspresse wird darüber spekuliert, dass ein Viertel der Gefangenen innerhalb von Monaten vom ersten in den zweiten Haftgrad gestuft werden könnte. Was wie gesagt bereits Ausgang aus der Haft bedeuten könnte. Die bereits die Hälfte ihrer Strafe hinter sich haben, könnten „relativ schnell“ in den dritten Grad gelangen, in dem die Gefangenen nur nachts zurück in den Knast müssen – wenn sie zum Beispiel eine Arbeit nachweisen können. Jene, die bereits zwei Drittel verbüßt haben, könnten mit bedingter Freilassung rechen. Nach diesen Gedankenspielen könnte bis zum Jahr 2020 die Hälfte der Gefangenen günstigere Haftbedingungen erreicht haben – so die Analyse der Presse. Voraussetzung für all diese Mutmaßungen wäre allerdings, dass die „Dispersion“, die Inhaftierung der Gefangenen weit weg von ihrer Heimat, aufgegeben würde. Denn es macht wenig Sinn, dass ein Gefangener tagsüber zur Arbeit raus darf, wenn er nachts wieder nach Sevilla in den Knast muss.
Noch einmal anders sieht es hingegen aus bei den etwa 150 Gefangenen, die nach dem neuen Strafgesetz von 2003 verurteilt wurden, das deutlich höhere Strafen für „Terrorismus“ vorsah. Jene Gefangene stehen vor einer „realen Strafe“ von 30 oder 40 Jahren, in diesen Fällen sieht das Gesetz keine Möglichkeit von Hafterleichterungen vor.
Ein oppositioneller Sektor der baskischen Linken wirft SORTU in Anbetracht dieser Gedankenspiele einen Kniefall vor dem spanischen System vor. „Immer wenn ein Aktivist die legalen Grundsätze benutzt, um in den dritten Grad zu kommen, werden sich die spanischen Behörden die Hände reiben“, heißt es da. Aus diesem Sektor wird wie vor 10, 20 oder 30 Jahren eine politische Amnestie gefordert.
Das bringt SORTU in die Zwickmühle, denn wahrscheinlich hätte dort grundsätzlich niemand etwas gegen eine solche Amnestie. Da man sich jedoch auf das Parkett der Realpolitik begeben hat, sind solche „utopischen“ Forderungen oder Konzepte nicht mehr brauchbar und werden von der Parteiführung zurückgewiesen. Alternativen gab es bisher keine, der „Rufi-Weg“ erscheint nun als Ausweg. Mit starken Widersprüchen (...) (weiter auf http://baskinfo.blogspot.com.es/2016/03/gefangene-raus.html)