Solidarisch mit verfolgten linken Aktivisten

Erstveröffentlicht: 
16.03.2016

Am 18. März ist der Internationale Tag der politischen Gefangenen. Weltweit sitzen Aktivisten nur wegen ihrer Gesinnung im Gefängnis. Das Rote-Hilfe-Mitglied Michael Csaszkóczy über 129b-Verfahren, einen Grilltransport und Beamte mit Maschinenpistole.

 

Wer braucht derzeit in Deutschland die Unterstützung der Roten Hilfe?

Viele Aktivisten, die wir unterstützen, werden wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt oder wegen Organisationsdelikten strafrechtlich verfolgt. Angeklagt sind mit dieser Begründung viele Linke, die rechte Aufmärsche verhindern wollten. Dabei wird allzu häufig ganz unabhängig davon ermittelt, was tatsächlich vorgefallen ist. Aber das Spektrum der Fälle, in denen die Rote Hilfe Unterstützung leistet, ist noch sehr viel breiter.

 

Wer sind die Gefangenen, für deren Freilassung Sie zur Zeit eintreten?

Von sehr langen Haftstrafen sind im Moment besonders linke Gefangene in anderen Ländern betroffen. Wir unterstützen sie mit internationalen Kampagnen. Außerdem versuchen wir, migrantischen linken Aktivisten zu helfen, die hier in deutschen Knästen sitzen. Überwiegend sind dies türkische und kurdische Exil-Linke, die hier verurteilt wurden wegen »Organisationsdelikten«. Zum Beispiel wurden im letzten April sieben Frauen und Männer verhaftet, die in der »Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa« (ATIK) in Hessen, Bayern und Baden-Württemberg aktiv waren. Sie sitzen jetzt in verschiedenen bayerischen Gefängnissen. In Deutschland haben sie nie gegen geltendes Recht verstoßen. Eingeknastet wurden sie wegen normaler Vereinsarbeit.

 

Bei den Verhaftungen spielt der Paragraf 129b, der seit 2002 den Paragrafen 129a im Strafrecht ergänzt, eine Rolle...

Die meisten Fälle, die wir in der Roten Hilfe gerade nach dem Paragraf 129 haben, sind 129b-Fälle. Der Vorwurf lautet dann: Betätigung in einer sogenannten kriminellen Vereinigung im Ausland. Den Betroffenen kann man in Deutschland ausschließlich »Organisationsdelikte« vorwerfen. Beispielsweise wird jemandem vorgeworfen, er sei Gebietsverantwortlicher für die PKK in Norddeutschland – als Begründung dient, dass er einen Grill von Kiel nach Hamburg zu einem Fest gebracht hatte. Einem anderen drehte man einen Strick aus der Tatsache, dass er ein Konzert mit der szeneübergreifend beliebten türkischen Band »Grup Yorum« in Oberhausen organisiert hatte. Der Musikgruppe wird vorgeworfen, mit ihren Einnahmen die DHKP-C zu unterstützen.

 

Spielen beim gerichtlichen Vorgehen gegen migrantische Aktivisten in Deutschland politische Erwägungen eine Rolle?

Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen genau dies. Auch die Regierung Merkel erkauft sich Zugeständnisse der Türkei in der Flüchtlingsfrage dadurch, dass sie härter gegen die PKK in Deutschland vorgeht. Noch im Juli 2015 hat Kanzlerin Merkel die türkische AKP-Regierung gemahnt, den Friedensprozess mit den Kurden nicht weiter zu gefährden. Drei Monate später, kurz nach ihrer Rückkehr von einem Staatsbesuch bei Recep Tayyip Erdoğan, wurden jedoch plötzlich mehrere mutmaßliche PKK-Anhänger verhaftet. Zum Beispiel hat im Oktober 2015 ein Großaufgebot der Polizei – mit Maschinenpistolen im Anschlag – einen kurdischen Verein und mehrere Privaträume in Dresden gestürmt. Dabei wurde der Kurde Kenan Baştu wegen »mutmaßlicher Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung« festgenommen, also wieder wegen Verstoßes gegen Paragraf 129b. Vier Wochen später Mustafa Çelik in Bremen wegen desselben Vorwurfs.

 

Amnesty International unterstützt ausschließlich gewaltfreie politische Gefangene. Warum ist die Anwendung von Gewalt für die Rote Hilfe kein Ausschlussmerkmal?

»Gewalt« und erst recht »Militanz« sind sehr dehnbare Begriffe und können für uns kein Kriterium für unsere Solidarität sein, gerade was die Aktivität von Oppositionsgruppen in anderen Ländern angeht. Wer will entscheiden, welche Mittel des Widerstands jeweils gerechtfertigt sind? Wer politische Repression durch Strafverfahren erleidet, muss die Gelegenheit haben, seine politischen Beweggründe darzulegen. Außerdem soll er oder sie nicht stärkerer Repression ausgesetzt sein als andere, die vor Gericht stehen. Allein deshalb lehnen wir den Paragrafen 129 ab.

 

Verlässt Sie manchmal das solidarische Gefühl, wenn Sie die Politik eines strafrechtlich Verfolgten nicht gut finden?

Persönlich mag das oft ein Spagat sein. Aber es geht der Roten Hilfe ja nicht darum, die konkrete Politik der einzelnen Betroffenen zu verteidigen. Dafür ist das Spektrum viel zu groß. Unsere Solidarität geht weiter als unsere jeweilige eigene politische Meinung. Überall da, wo Leute wegen ihrer emanzipatorischen politischen Tätigkeit verfolgt werden, da wollen wir solidarisch sein. Auch wenn das, was sie getan haben, nicht unser Weg wäre.

 

 

Tag der Politischen Gefangenen

Einen »Tag für politische Gefangene« rief die »Internationale Rote Hilfe« 1923 aus. Mit aufkommendem Nationalsozialismus und dem folgenden Weltkrieg geriet der Gedenktag in Vergessenheit. Erst 1996 erweckte der Verein »Rote Hilfe« zusammen mit der Gruppe »Libertad!« (aufgegangen in der Interventionistischen Linken) den 18. März als Aktionstag wieder zum Leben. Seitdem finden jährlich Aktivitäten für die Freiheit von politischen Gefangenen statt.

Das Datum verweist auf die Zeit der Pariser Commune: Am 18. März 1871 trat zum ersten Mal der revolutionäre Pariser Stadtrat zusammen und versuchte, die Stadt nach sozialistischen und basisdemokratischen Prinzipien zu verwalten. In der Pariser Commune blühten zwei Monate lang zarte Pflanzen kollektiver Selbstbestimmung und Selbstverwaltung bis das Projekt gewaltvoll niedergeschlagen wurde. Mehr als 20 000 Männer und Frauen wurden dabei getötet, mehr als 40 000 zu meist lebenslangen Haftstrafen verurteilt. So steht der 18. März in der linken Tradition nicht nur für staatliche Repression, sondern zugleich für die Befreiung von staatlicher Macht. nd