Gefangenenvereinigung keine Gewerkschaft

Erstveröffentlicht: 
29.06.2015

StVollzG §§ STVOLLZG § 3 STVOLLZG § 3 Absatz I, STVOLLZG § 3 Absatz III, STVOLLZG § 4 STVOLLZG § 4 Absatz II 2, STVOLLZG § 37, STVOLLZG § 41 STVOLLZG § 41 Absatz I 2, STVOLLZG § 149 STVOLLZG § 149 Absatz I; ArbGG § ARBGG § 5; GG Art. GG Artikel 9 GG Artikel 9 Absatz I, GG Artikel 9 Absatz III, GG Artikel 12 GG Artikel 9 Absatz III

1. Das Arbeitsverhältnis zwischen Gefangenen und der Anstalt ist öffentlich-rechtlicher Natur.

2. Das Recht der Vollzugsbehörde, die Arbeit von Gefangenen auszugestalten (Direktionsrecht), folgt aus §§ STVOLLZG § 37, STVOLLZG § 41 STVOLLZG § 41 Absatz II 2 StVollzG.

3. Gefangene im geschlossenen Vollzug sind keine Arbeitnehmer im Sinne des § ARBGG § 5 ArbGG; ihnen steht insoweit das Recht auf Koalitionsfreiheit (Art. GG Artikel 9 GG Artikel 9 Absatz III GG) nicht zu.

 

KG, Beschl. v. 29.6.2015 – 2 Ws 132/15 Vollz (LG Berlin, Beschl. v. 28.4.2015 – 592 StVK 665/14 Vollz)

Zum Sachverhalt:

Mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung begehrte die Ge.-Ge2./Bundesweite Organisation (im Folgenden: GGBO) die Aufhebung der mündlichen Entscheidung der Justizvollzugsanstalt Tegel, durch die dem Gefangenen Z untersagt wurde, an seinem Arbeitsplatz Mitgliedsanträge für die GGBO während der Arbeitszeit und den Pausen zu verteilen und ausgefüllte Anträge entgegen zu nehmen sowie Werbung für die Organisation zu betreiben. Der Gefangene Z ist Mitglied der Organisation und als Busfahrer auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt tätig. Er befördert Strafgefangene zwischen ihren jeweiligen Teilanstalten und dem Sprechzentrum.

Die Justizvollzugsanstalt begründete ihre Entscheidung damit, dass aus Sicherheitsgründen auf dem Weg zur und von der Arbeit sowie am Arbeitsplatz lediglich eine Verpflegungsbox, aber keine sonstigen Behältnisse, Schriftstücke, Zeitschriften, Bücher oder ähnliche Dinge mitgeführt bzw. aufbewahrt werden dürfen; deshalb sei weder die Verteilung noch die Entgegennahme von Mitgliedsanträgen bei der Arbeit möglich. Mündliche Mitgliedswerbung sei dagegen zulässig. Gleichzeitig bot sie an, dass Mitgliedsanträge an allgemein zugänglichen Stellen ausgelegt werden können. Die Ast. sieht in dieser Vorgehensweise eine Verhinderung der Tätigkeit ihrer „gewerkschaftlichen Organisation“. Sie meint, eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt bestehe schon deshalb nicht, weil Mitgliedsbeiträge nicht eingefordert werden würden und der Gefangene Z während der gesamten Zeit unter der Aufsicht der Ag. stehe.

Mit der angefochtenen Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag der Organisation zurückgewiesen. Rechtsgrundlage für das Verbot sei § STVOLLZG § 4 STVOLLZG § 4 Absatz II 2 StVollzG, da das Verhalten des Gefangenen Z die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährden würde. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn die Anträge übergeben und sogleich ausgefüllt zurück gefordert werden. Dadurch könnten Drucksituationen entstehen. Es handele sich um ein primäres Verbot, auch wenn die Anstalt die Werbung für die Organisation erst nach ungefähr einem Monat verboten habe.

Die Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

[5]II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist zwar zulässig, da sie insbesondere die Fortbildung des Rechts iSd § STVOLLZG § 116 STVOLLZG § 116 Absatz I StVollzG ermöglicht. Klarstellend weist der Senat in diesem Zusammenhang lediglich darauf hin, dass die Strafvollstreckungskammer den Antrag auf gerichtliche Entscheidung, den allein der Gefangene A gestellt hat, zu Unrecht als zulässig erachtet hat. Denn dieser war allein nicht vertretungsbefugt (vgl. Senat, Beschl. v. 28.4.2015 – 2 Ws 97/15 Vollz). Nachdem aber das LG darauf seine Entscheidung nicht gestützt und der ehemalige Gefangene R dem prozessualen Vorgehen des A in der Rechtsmittelinstanz noch zugestimmt hat, war entsprechend § ZPO § 89 ZPO eine Sachentscheidung durch den Senat veranlasst (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 89 Rn. 11 f. mwN).

6]2. Die Rechtsbeschwerde ist aber unbegründet.

[7]Allerdings hat die Strafvollstreckungskammer das von der Justizvollzugsanstalt (ohne ausdrückliche Nennung einer Ermächtigungsgrundlage) ausgesprochene Verbot, Mitgliedsanträge der Organisation mit zur Arbeitsstelle zu nehmen und für diese zu werben, zu Unrecht auf § STVOLLZG § 4 STVOLLZG § 4 Absatz II 2 StVollzG gestützt. Denn diese Norm kann als Rechtsgrundlage nur dann herangezogen werden, wenn für die Maßnahme keine andere Bestimmung vorhanden ist (vgl. Schwindt/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 6. Aufl., § 4 Rn. 20, 23); § STVOLLZG § 4 STVOLLZG § 4 Absatz II 2 StVollzG ist als Generalklausel subsidiär (vgl. Arloth, StVollzG, 3. Aufl., § 4 Rn. 5). Hinzu kommt, dass weitergehende Feststellungen für das Vorliegen der engen Voraussetzungen dieser Vorschrift, insbesondere eine schon gegenwärtige Gefahr für die Sicherheit oder eine schwerwiegende Störung der Ordnung, nicht getroffen worden sind.

[8]Dieser Fehler nötigt indes nicht zur Aufhebung der Entscheidung. Denn aus den Feststellungen zur Untersagung durch die Justizvollzugsanstalt wird hinreichend deutlich, dass diese insoweit von dem ihr im Zusammenhang mit der Beschäftigung des Z zustehenden „Direktionsrecht“ Gebrauch gemacht hat.

[9]a) Das Direktionsrecht, also das Recht der Vollzugsbehörde, die Arbeit von Gefangenen auszugestalten und hierzu die einzelnen Modalitäten festzulegen, folgt aus den §§ STVOLLZG § 37, STVOLLZG § 41 STVOLLZG § 41 Absatz I 2 StVollzG. Die Arbeitsorganisation obliegt – ebenso wie bei Tätigkeiten in den Eigenbetrieben (§ STVOLLZG § 149 StVollzG) – der Vollzugsbehörde.

[10]aa) Das Arbeitsverhältnis zwischen den Gefangenen und der Anstalt ist nicht privatrechtlicher Natur, sondern ein öffentlich-rechtliches (vgl. Senat, NStZ 1990, NSTZ Jahr 1990 Seite 607 [NSTZ Jahr 1990 608] und Beschl. v. 7.4.2006 – 5 Ws 92/06 Vollz und v. 15.5.1991 – 5 Ws 122/91 Vollz; Nestler in Laubenthal/ders./Neubacher/Verrel, StVollzG, 12. Aufl., Abschn. F Rn. 16), so dass auch keine Arbeitsverträge zwischen der Justizvollzugsanstalt und den Gefangenen geschlossen werden (vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl., § 37 Rn. 1). Bei der Regelung des Arbeitseinsatzes des Gefangenen steht der Anstalt daher ein weitgehendes Ermessen zu (vgl. OLG Nürnberg, ZfStrVo 1990, ZFSTRVO Jahr 1990 Seite 306 [ZFSTRVO Jahr 1990 307]; Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, § 37 Rn. 15). Zu den Beschäftigungen im öffentlich-rechtlichen Verhältnis zwischen dem Inhaftierten einerseits und der Vollzugsbehörde andererseits gehören auch Hilfstätigkeiten in der Anstalt (vgl. Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, vor § 37 Rn. 3).

[11]bb) Nach §§ STVOLLZG § 3 STVOLLZG § 3 Absatz I und STVOLLZG § 3 Absatz III, STVOLLZG § 149 STVOLLZG § 149 Absatz I StVollzG sollen die Betriebe in den Anstalten sowie die Hilfstätigkeiten den allgemeinen Betriebs- und Produktionsverhältnissen in vergleichbaren Wirtschaftsbetrieben außerhalb des Vollzugs entsprechen, damit die Gefangenen eine realistische Arbeitswelt erleben, die es ihnen nach der Entlassung ermöglicht, sich in das Erwerbsleben einzugliedern (vgl. Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, § 149 StVollzG Rn. 5).

[12]Ausfluss dieses Angleichungsgrundsatzes ist auch, dass die Justizvollzugsanstalt auf Grund der ihr obliegenden Arbeitsorganisation Regelungen treffen darf, die auch außerhalb des Strafvollzugs im Arbeitsleben gelten, ohne dass es auf eine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung ankommt.

[13]Dies ergibt sich aus dem – aus § BGB § 611 BGB § 611 Absatz I BGB und § GEWO § 106 GewO folgenden – Direktionsrecht des Arbeitgebers, welches für die Vollzugsbehörde in gleicher Weise gilt. Der Arbeitgeber hat das Recht, einseitig nach billigem Ermessen die Arbeitsbedingungen, insbesondere die Art, Zeit und Ort der Arbeitsleistung und das Verhalten im Betrieb zu bestimmen (vgl. BAG, NJW 1996, NJW Jahr 1996 Seite 1770 [NJW Jahr 1996 1771] = NZA 1996, NZA Jahr 1996 Seite 718).

[14]Es gibt keinen gesetzlichen Hinweis, dass das Direktionsrecht der Vollzugsbehörde gegenüber demjenigen des Arbeitgebers eines zivilrechtlichen Arbeitsverhältnisses zurückbleibt (vgl. Senat, Beschl. v. 7.4.2006 – 5 Ws 92/06 Vollz). Daraus folgt, dass die Justizvollzugsanstalt berechtigt ist, die Mitnahme von Gegenständen und bestimmte Verhaltensweisen in den Pausen zu regeln. Die Weisung eines Arbeitgebers unterliegt lediglich einer Ausübungskontrolle nach § GEWO § 106 GewO iVm § BGB § 313 BGB § 313 Absatz III BGB (vgl. BAG, NZA-RR 2014, NZA-RR Jahr 2014 Seite 181). Erforderlich ist eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit (vgl. BAG, NZA 2015, NZA Jahr 2015 Seite 483; BAG, NJW 1996, NJW Jahr 1996 Seite 1770 = NZA 1996, NZA Jahr 1996 Seite 718). Daran hat sich die Anstalt vorliegend gehalten. Denn sie hat die Interessen der anderen Gefangenen sowie diejenigen der Organisation gegeneinander abgewogen. Dabei hat sie auch zu Recht berücksichtigt, dass andere Gefangene sich durch die Verteilung und Entgegennahme ausgefüllter Mitgliedsanträge gestört fühlen können. Ebenfalls zulässig ist es, wenn die Anstalt anordnet, dass zur Arbeit nur eine Verpflegungsbox mitgenommen werden darf. Den Interessen der Organisation hat sie dadurch Rechnung getragen, dass sie angeboten hat, die Anträge an allgemein zugänglichen Stellen auslegen zu lassen, wie es der Handhabung bei Vereinen, Parteien und ähnlichen Organisationen entspricht.

[15]cc) Die Tatsache, dass die Vollzugsbehörde dem Gefangenen Z die Aushändigung und Entgegennahme von Mitgliedsanträgen sowie die Werbung für die Organisation nicht sofort, sondern erst nach vier Wochen untersagt hat, führt nicht zu einer konkludenten Beschränkung des Direktionsrechts. Alleine die Nichtausübung (selbst über einen längeren Zeitraum) führt nicht zu einer Beschränkung der Ausübung des Direktionsrechts. Dazu bedarf es besonderer Umstände, die geeignet sind, einen Vertrauenstatbestand zu schaffen (vgl. BAG, NZA 2015, NZA Jahr 2015 Seite 483). Solche Umstände liegen hier nicht vor.

[16]b) Das Vorgehen der Anstaltsleitung steht mit verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang. Eine Verletzung von Art. GG Artikel 9 GG Artikel 9 Absatz III GG kommt schon deshalb nicht in Betracht, da die Bf. keine Vereinigung im Sinne dieses Grundrechts ist (vgl. nachfolgend aa). Ebenso wenig liegt eine unzulässige Beschränkung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit aus Art. GG Artikel 9 GG Artikel 9 Absatz I GG (vgl. bb) noch sonstiger verfassungsrechtlicher Grundsätze vor (vgl. cc).

[17]aa) Art. GG Artikel 9 GG Artikel 9 Absatz III GG schützt nicht nur das positive Koalitionsrecht des Einzelnen, sondern auch die Koalition selbst in ihrem Bestand und ihrer Betätigung und zwar in einem Kernbereich, wenn und soweit sie sich im Rahmen der ihr gestellten Aufgaben bewegt. Die Betätigung muss sich auf die Regelungen der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen beschränken. Bei Gewerkschaften umfasst dieser Schutz auch ihre Informations- und Werbetätigkeit (vgl. BAGE 19, BAGE Band 19 Seite 217 = NJW 1967, NJW Jahr 1967 Seite 843), so dass die Werbung für sie während der Pausen vom Arbeitgeber nicht untersagt werden kann. Dies gilt indes nicht für sonstige Vereinigungen, wie die GGBO. Dieser Personenzusammenschluss bezeichnet sich zwar als Gewerkschaft, tatsächlich handelt es sich jedoch um keine solche, da ihr dafür schon grundlegende Eigenschaften fehlen.


[18]Im Einzelnen: Eine Gewerkschaft setzt zunächst eine Vereinigung von Arbeitnehmern voraus, die zudem tariffähig sein muss (vgl. BVerfGE 58, BVERFGE Jahr 58 Seite 237; BAGE 117, BAGE Band 117 Seite 308 = NZA 2006, NZA Jahr 2006 Seite 1112 = NJW 2006, NJW Jahr 2006 Seite 3742 Ls.; BAGE 29, BAGE Band 29 Seite 72 = NJW 1977, NJW Jahr 1977 Seite 1551 Ls. und NJW 1977, NJW Jahr 1977 Seite 1551). Die Mitglieder der Organisation sind bereits keine Arbeitnehmer.

[19]Arbeitnehmer iSv § ARBGG § 5 ArbGG ist nur, wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags oder eines ihm gleichgestellten Rechtsverhältnisses im Dienste eines anderen zur Arbeit verpflichtet ist. Strafgefangene erfüllen diese Voraussetzung im Verhältnis zum Träger der Vollzugseinrichtung von vornherein nicht (vgl. BAGE 53, BAGE Band 53 Seite 336 = NJW 1987, NJW Jahr 1987 Seite 2399 Ls.; LAG Berlin, Beschl. v. 3.6.1999 – LAGBERLIN Aktenzeichen 13TA110209 13 Ta 1102/09). Zwischen den Gefangenen und der Anstalt werden schon keine Arbeitsverträge geschlossen (vgl. Arloth, § 37 Rn. 6). Ihr Arbeitseinsatz beruht auch nicht auf einer eigenen Willensentscheidung (vgl. OVG Münster, PersV 2012, PERSV Jahr 2012 Seite 460). Es ist vielmehr öffentlich-rechtlich ausgestaltet (vgl. BAGE 53, BAGE Band 53 Seite 336 = NJW 1987, NJW Jahr 1987 Seite 2399 Ls.; Senat, Beschl. v. 7.4.2006 – 5 Ws 92/06, Vollz) und ist Folge der sich aus § STVOLLZG § 41 STVOLLZG § 41 Absatz I StVollzG ergebenden Arbeitspflicht. Die Arbeitstätigkeit in einer Justizvollzugsanstalt beruht mithin auf einem gesetzlichen Zwang (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 26.8.2011 – LSGHESSEN Aktenzeichen L7AL4411 L 7 AL 44/11, BeckRS 2011, BECKRS Jahr 75979). Die Gefangenenarbeit ist zudem nicht nur eine resozialisierungsorientierte Behandlungsmaßnahme, sondern kann auch als Zwangsmittel zu dem durch die Freiheitsstrafe auferlegten Strafübel gehören. Die zwangsweise Durchsetzung der Arbeitspflicht durch Disziplinarmaßnahmen ist möglich (vgl. OLG Hamburg, NStZ 1992, NSTZ Jahr 1992 Seite 53). Auch darin unterscheidet sich die Rechtslage grundlegend von Arbeits- oder Dienstverhältnissen in Freiheit.

[20]Anders als in einem freien Beschäftigungsverhältnis kann das Arbeitsentgelt auch nicht frei ausgehandelt werden. So ist die Vollzugsbehörde auf Grund der gesetzlichen Regelung der §§ STVOLLZG § 43, STVOLLZG § 200 StVollzG weder verpflichtet noch berechtigt, ein höheres Entgelt zu bezahlen (vgl. Senat, NStZ 1990, NSTZ Jahr 1990 Seite 608). Das Arbeitsentgelt festzulegen, obliegt vielmehr dem Gesetzgeber, der bei der Regelung, was angemessen ist, die typischen Bedingungen des Strafvollzugs, insbesondere dessen Marktferne, in Rechnung stellen darf (vgl. BVerfGE 98, BVERFGE Jahr 98 Seite 169 = NJW 1998, NJW Jahr 1998 Seite 3337 = NStZ 1998, NSTZ Jahr 1998 Seite 478 Ls.). All dies ist mit Art. GG Artikel 12 GG Artikel 12 Absatz III GG vereinbar (vgl. Senat, NStZ 1990, NSTZ Jahr 1990 Seite 608).

[21]Vorstehendes gilt spiegelbildlich für die Justizvollzugsanstalt. Sie hat die ihr aus dem StVollzG übertragenen gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen; sie ist daher ebenso wenig Arbeitgeberin wie die Gefangenen Arbeitnehmer. Angesichts der gänzlich abweichenden Zielrichtung des Strafvollzugs stehen schließlich weder der Anstaltsleitung noch den Gefangenen – anders als Arbeitgebern und Arbeitnehmern – Mittel des Arbeitskampfes zu.

[22]bb) In der Ausübung des Direktionsrechts ist auch keine unzulässige Beschränkung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit aus Art. GG Artikel 9 GG Artikel 9 Absatz I GG zu sehen.

[23]Zwar wird hierdurch der Schutzbereich des Grundrechts berührt. Denn Art. GG Artikel 9 GG Artikel 9 Absatz I GG schützt das Recht, Vereine und Gesellschaften zu gründen, als auch das Tätigwerden dieser Vereinigungen. Der persönliche Schutzbereich erfasst dabei nicht nur natürliche Personen, welche sich zu einem Verein zusammenschließen, sondern auch den Verband selbst (BVerfGE 124, BVERFGE Jahr 124 Seite 25 = BeckRS 2009, BECKRS Jahr 23506). Jedoch gilt das Grundrecht nicht schrankenlos. Auch jenseits des Art. GG Artikel 9 GG Artikel 9 Absatz II GG kann die Vereinigungsfreiheit beschränkt werden, sofern andere Grundrechte oder Rechtsgüter mit Verfassungsrang einen solchen Eingriff hinreichend rechtfertigen. Dies ist hier der Fall.

[24]Denn die Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege hat ebenfalls Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 33, BVERFGE Jahr 33 Seite 367 [BVERFGE Jahr 33 383] = NJW 1972, NJW Jahr 1972 Seite 2214; BGH, Beschl. v. 25.3.2015 – BGH Aktenzeichen 5STR7015 5 StR 70/15, BeckRS 2015, BECKRS Jahr 07394). Das Rechtsstaatsprinzip, das die Idee der Gerechtigkeit als wesentlichen Bestandteil enthält (vgl. BVerfGE 7, BVERFGE Jahr 7 Seite 89 = NJW 1957, NJW Jahr 1957 Seite 1395 Ls.; BVerfGE 74, BVERFGE Jahr 74 Seite 129), fordert nicht nur eine faire Ausgestaltung und Anwendung des Strafverfahrensrechts. Es gestattet und verlangt auch die Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann (vgl. BVerfGE 33, BVERFGE Jahr 33 Seite 267 [383]). Zur Strafrechtspflege zählt nicht nur das Erkenntnis-, sondern auch das nachfolgende Vollstreckungsverfahren (vgl. BVerfGE 46, BVERFGE Jahr 46 Seite 214 = NJW 1977, NJW Jahr 1977 Seite 2355) inklusive der ordnungsgemäßen Durchführung des Strafvollzugs (vgl. Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl., Art. 9 Rn. 22; Scholz in Maunz/Düri, GG, Stand: Dez. 2014, Art. 9 Rn. 147). Die verfassungsrechtliche Anerkennung des Strafvollzugs lässt sich zudem ohne Weiteres aus Art. GG Artikel 103 GG Artikel 103 Absatz II und GG Artikel 103 Absatz III sowie aus Art. GG Artikel 104 GG ableiten (vgl. Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, 30. Aufl., Rn. 815).

[25]Die große Bedeutung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege führt zwar nicht dazu, dass im Strafvollzug das Recht der Gefangenen aus Art. GG Artikel 9 GG Artikel 9 Absatz I GG gänzlich suspendiert wird. Jedoch kann es in dem für den Bestand und die Funktionsfähigkeit des Strafvollzugs erforderlichen Umfang beschränkt werden (vgl. BVerfG, NStZ 1983, NSTZ Jahr 1983 Seite 331 Ls.; vgl. ferner Bauer in Dreier, GG, 3. Aufl., Art. 9 Rn. 63 und Neubacher in Laubenthal/Nestler/ders./Verrel, StVollzG, 12. Aufl., Abschn. B Rn. 98; sowie Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 815, und Scholz in Maunz/Dürig, Rn. 147).

[26]Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe verletzt die angegriffene Entscheidung des Anstaltsleiters die Bf. nicht in ihrem Recht aus Art. GG Artikel 9 GG Artikel 9 Absatz I GG. Für die Weisung gab es einen sachlichen Grund. Die Anstalt hat das dem Z gegenüber ausgesprochene Verbot, bei seiner Arbeit Mitgliedsanträge mit sich zu führen, auf Gründe der Sicherheit gestützt. Es liegt auf der Hand, dass der Gefangene Z, wenn er denn bei seiner Arbeit ohne Weiteres Sachen mit sich führen dürfte, die Möglichkeit hätte, diese – darunter gegebenenfalls auch verbotene – an andere Gefangene weiterzugeben oder von diesen solche Gegenstände entgegen zu nehmen. Dies gilt umso mehr, als er sich bei seiner Tätigkeit als Busfahrer auf dem gesamten Gelände der Justizvollzugsanstalt bewegen kann und dabei Kontakte zu einer Vielzahl von Gefangenen hat. Die denkbare Weisung, nur Formulare der GGBO (nicht aber andere Gegenstände) bei sich führen, wäre faktisch kaum kontrollierbar und leistbar. Zudem kann einem allzu offenen Werben und Drängen, noch „an Ort und Stelle“ der Vereinigung beizutreten und damit möglicherweise einhergehenden Konflikten zwischen Gefangenen vorgebeugt und ein Riegel vorgeschoben werden.

[27]Im Rahmen der erforderlichen Abwägung zwischen dem Recht aus Art. GG Artikel 9 GG Artikel 9 Absatz I GG und den Sicherheitsbelangen der Justizvollzugsanstalt war zudem zu berücksichtigen, dass der mit der Ausübung des Direktionsrechts verbundene Eingriff eher geringfügig ist. Er ist darauf begrenzt, den Z lediglich anzuweisen, während seiner Arbeit Mitgliedsanträge nicht mit sich zu führen, auszuteilen und anzunehmen. Eine mündliche Werbung für den Verein war dem Z aber – selbst an seinem Arbeitsplatz (während der Pausenzeiten) – weiterhin gestattet. Zudem war es der Vereinigung erlaubt, in der Justizvollzugsanstalt an allgemein zugänglichen Stellen Mitgliedsanträge auszulegen. Hiernach war es ihr nach wie vor möglich, auch in der Justizvollzugsanstalt Tegel in unterschiedlicher Art und Weise aktiv für ihre Zwecke zu werben.

[28]5. Schließlich hat die Strafvollstreckungskammer – entgegen dem Vorbringen in der Rechtsbeschwerde – das rechtliche Gehör des Bf. nicht dadurch verletzt, dass sie keine Ausführungen zur „Arbeitgeber­eigenschaft“ der Vollzugsbehörde gemacht hat. Denn darauf kommt es nicht an. Es handelt sich um ein besonderes öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis, das von keiner Seite freiwillig eingegangen wurde und die Gefangenen mangels Arbeitsverhältnis daher schon keine Arbeitnehmer sind (s. o.).

(Mitgeteilt vom 2. Strafsenat des KG, Berlin)

Anm. d. Schriftltg.:

Zum freien Beschäftigungsverhältnis eines Strafgefangenen s. OLG Dresden, NStZ 2013, NSTZ Jahr 2013 Seite 361.