Wie die AfD in Baden-Württemberg um Stimmen kämpft

Erstveröffentlicht: 
27.02.2016

Baden-Württembergs AfD steht vor dem Einzug in den Landtag. Den Wahlkampf bestreitet sie mit einem soften Professor an der Spitze – und mit Scharfmachern vor Ort.

 

"Es reicht. Zeit für Veränderung", steht auf einem Plakat. Aus den Boxen dröhnt "Sirius" von der Band "Alan Parsons Project" – ein Lied, zu dem normalerweise die Spieler des VfB Stuttgart bei ihren Heimspielen in Bad Cannstatt aufs Feld laufen.

An diesem Sonntag im Februar aber hat Jörg Meuthen im größten Stuttgarter Stadtteil ein Heimspiel. Im Cannstatter Kursaal sitzen mehrere Hundert Neugierige, mehr Männer als Frauen, mehr Alte als Junge, vom gehobenen Bürgertum bis zum Arbeitslosen ist alles vertreten. Sie warten auf die Rede des AfD-Spitzenkandidaten für die Landtagswahl.

Der 54-jährige Professor, der an der Verwaltungshochschule in Kehl Volkswirtschaftslehre unterrichtet, trägt Anzug und Krawatte. Die AfD stehe in Umfragen bei 10 bis 11,5 Prozent, beginnt er seine Rede. Das liege nicht an der "Völkerwanderung" allein. "Wir bieten Lösungsansätze zu allem an!"

Die AfD befeuert Ängste


Die AfD ist die Partei der Stunde, und Meuthen ihr wirtschaftsliberal-freundliches Gesicht. Der Einzug in den Landtag scheint sicher, ein zweistelliges Ergebnis wahrscheinlich. Die AfD profitiert vom verbreiteten Unbehagen wegen der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Damit verbundene Ängste befeuert sie nach Kräften. Angela Merkel locke "Hunderte Millionen Armutsflüchtlinge nach Deutschland", behauptet ihr Landtagswahlprogramm. Die "Altparteien" und eine "weitgehend gleichgeschaltete Medienlandschaft" zögen "alle Register der Massenpsychologie und Massensuggestion", um die Leute "zu täuschen".

Werbung


Derartige Parolen ziehen ausweislich der Europa- und Kommunalwahlen von 2014 in Gegenden wie Pforzheim am besten, wo schon in den 1960er-Jahren die NPD und in den 1990ern die "Republikaner" ihre größten Erfolge feierten. Um sich breiter aufzustellen, zieht die AfD im Wahlkampf vehement gegen "Gender Mainstreaming" zu Felde. Diese Politik "mit all ihren Folgeerscheinungen wie Frauenquoten, Gleichstellungsbeauftragten und staatlicher Propaganda für sexuelle Minderheiten lehnt die AfD rigoros ab", heißt es im Wahlprogramm.

Homophobie als zweites Politikfeld


Es ist das zweite Politikfeld, bei dem sich die Partei zum Sprachrohr einer relevanten Minderheit macht. Sie will damit speziell in pietistisch geprägten Gegenden und bei Russlanddeutschen punkten. So gibt es enge Verbindungen zur "Demo für alle", die am Sonntag in Stuttgart wieder gegen eine "Verschwulung" der Kinder durch den grün-roten Bildungsplan auf die Straße geht.

Im Cannstatter Kursaal referiert Meuthen im Duktus eines Dozenten. Mit unaufgeregter Stimme spricht er vom Asylpaket II als "Globuli-Politik" – alles richtig, aber zu wenig und zu spät. "Wir müssen die Grenzen tatsächlich für kurze Zeit zumachen. Das ist kein freundlicher Akt, aber ein notwendiger." Ein bisschen lauter wird er nur, als er sich gegen "die Verrohung der Auseinandersetzung" wehrt, die "übelsten Diffamierungskampagnen" der "Kartellparteien", die die AfD wahlweise als "Pack", "Dumpfbacken" oder "Rassisten" bezeichneten. Dabei sei ihm doch der "gepflegte Diskurs wichtig". Als Rechtsradikalen könne man ihn gar nicht stellen, "weil, das bin ich nicht".

Frenetischer Applaus für Björn Höcke

 

"Er nennt die Dinge beim Namen, was ihn wohl zur umstrittensten Person der AfD macht." AfD-Kandidat Heinrich Fiechtner über Björn Höcke


Ein paar Tage zuvor. Im Geislinger Kappellmühlsaal kündigt der AfD-Kandidat für den Wahlkreis Göppingen, Heinrich Fiechtner, den seit einer halben Stunde überfälligen Gastredner mit Begeisterung in der Stimme an: "Er nennt die Dinge beim Namen, was ihn wohl zur umstrittensten Person der AfD macht. Aber machen Sie sich selbst ein Bild." Kunstpause. Dann ruft Fiechtner im Stile eines Boxkampfmoderators, die Vokale bewusst in die Länge ziehend: "Bjööörn Hööckee".

Der Saal erhebt sich, mit frenetischem Applaus begrüßen die 130 Zuhörer, die auf ihren Stühlen Deutschlandfähnchen und den Text der Nationalhymne vorgefunden haben, den Thüringer AfD-Fraktionschef.

Höckes Tonfall ist aggressiv


Vielen ist sein Name bisher nur wegen des öffentlichen Aufschreis ob der kruden Rassentheorien ein Begriff. Höcke, Anzug, Krawatte, Blume am Revers, geht schnell in die Vollen und ein Team von Spiegel-TV wegen einer AfD-Titelgeschichte im Spiegel frontal an. Das Titelbild, das AfD-Politiker vor der Fassade eines NSDAP-Gebäudes zeigt, sei eine "unentschuldbare" Grenzverletzung.

Der Tonfall ist aggressiv, dem gelernten Lehrer Höcke gefällt es erkennbar, den Saal aufzuputschen. "Wir fordern Presse- und Meinungsfreiheit – für uns!" Höcke will ein Bekenntnis zur klassischen Familie, "und das sind Vater, Mutter und möglichst viele Kinder", und den "asylpolitischen Amoklauf der Altparteien" stoppen. Ebenso den "bildungspolitischen Amoklauf". Schuld am Niedergang der Schulen seien Alt-68er, auch Grün-Rot. Er könne nicht ausschließen, "dass die Verblödung unserer Jugend mit Vorsatz geschieht".

Das Publikum, vornehmlich aus dem Arbeitermilieu, johlt. "Die Altparteien", legt Höcke nach, "müssen den Becher der Verantwortung bis zur Neige austrinken!"

Kammerton und Konfrontation


Hier der sanfte Meuthen, dort Scharfmacher wie Höcke – wie passt das zusammen? Ist die Mischung, bürgerlicher Kammerton hier, Konfrontation dort, Strategie? Meuthen sagt, er sei wegen AfD-Gründer Bernd Lucke in die Partei eingetreten. Als Lucke nach der Niederlage gegen die Rechtsaußenfraktion die AfD mit vielen Ökonomie-Professoren verließ und Alfa gründete, blieb Meuthen.

In einem TV-Porträt der Jungen Freiheit, die als Sprachrohr der "Neuen Rechten" gilt, erklärt der fünffache, zum zweiten Mal verheiratete Familienvater: "In einer kleinen Volkspartei muss man auch ein gewisses Spektrum haben. Lucke hat das Spektrum zu klein gezogen." Das Spektrum, das Meuthen nun als Co-Bundes- und Landeschef der AfD vertritt, ist dagegen recht breit.

Provokationen und Relativierungen


In Pforzheim hat die Staatsanwaltschaft gegen den AfD-Kreissprecher Alfred Bamberger Strafbefehl wegen des Verdachts der Billigung von Straftaten gestellt. Der Mann hatte auf Facebook gepostet: "Ist es nicht so, dass den Anwohnern oder Bewohnern einer Kommune alternativlos eine Einrichtung vor die Nase gesetzt wird, die sie einfach nicht haben wollen und deshalb in Form von zivilem Ungehorsam die geplante Flüchtlingsunterkunft einfach abfackeln?"

Der AfD-Kandidat für Lahr, Thomas Seitz, von Beruf Staatsanwalt, hat auf seine Facebook-Seite eine Fotomontage mit einem Boot voller nackter Frauen gestellt, darunter der Satz: "Endlich kommen die richtigen Flüchtlinge". Christina Baum, AfD-Landesvize und Kandidatin im Main-Tauber-Kreis sagte bei einer Pegida-Demo in Erfurt, Merkel wolle "Deutschland in ein multikulturelles Krisengebiet verwandeln". Die Liste der Provokationen und anschließenden Relativierungen ließe sich beliebig fortsetzen.

Meuthens Auftritt mit den "Kartellparteien"


Mittwoch dieser Woche. Beim Wahlforum der Stuttgarter Nachrichten treffen die Spitzenkandidaten von CDU, Grünen, SPD, FDP, Linken und AfD erstmals aufeinander. Meuthen steht in der Mitte, um ihn herum die Vertreter der "Kartellparteien". Für den AfD-Spitzenkandidaten ist schon der Auftritt vor Hunderten Zuschauern ein Erfolg, hatten Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid gemeinsame Foren doch zunächst abgelehnt. Sie haben eingelenkt, um, so ihre Ankündigung, die AfD zu stellen. Kretschmann hält Meuthen das AfD-Programm und Demagogie vor, Schmid Aussagen von AfD-Politikern und Rassismus.

Der Professor deutet an, dass die Aussage, die Kanzlerin locke "Hunderte Millionen Flüchtlinge" an, zu zugespitzt sein könnte. Aber sie habe "den Magneten angestellt". Wo nötig, distanziert sich der AfD-Chef von Aufregerparolen, wo möglich, relativiert er sie nur. Die AfD-Mitglieder seien "hochvernünftige, ehrbare, bürgerlich geprägte Leute", sagt Meuthen. Die Debatte dreht sich die ersten 40 Minuten um die AfD, dann 20 Minuten um Flüchtlinge. Am Ende bleiben 45 Minuten für die eigentliche Landespolitik. Meuthen ist den ganzen Abend freundlich. Der von ihm kritisierte Lenhardt verzichtet anderntags auf Parteiämter. Seine Landtagskandidatur läuft weiter.