CDU-Abgeordnete über Clausnitz - Viele Bürger glauben nicht mehr an Recht und Gesetz

Erstveröffentlicht: 
22.02.2016

Veronika Bellmann ist CDU-Abgeordnete in Clausnitz, wo ein wütender Mob Flüchtlinge empfing. Ein Problem mit Rechtsextremisten sieht sie in dem Ort nicht. Überhaupt sei es eine „Vorverurteilung“, dass alle Sachsen rechts seien. Die Gründe sucht Bellmann ganz woanders – unter anderem in der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin.

 

Veronika Bellmann (CDU) ist Bundestagstagsabgeordnete in Mittelsachsen. Clausnitz liegt in ihrem Wahlkreis.


FOCUS Online: Frau Bellmann, wie erklären Sie sich das Verhalten des wütenden Mobs in Ihrem Wahlkreis, Clausnitz?

 

Veronika Bellmann: Es ist eine Mischung aus Angst vor anderen Kulturen und Befürchtungen, was die Zukunft der Menschen angeht.

 

FOCUS Online: Rechtfertigt das einen derartigen Auflauf, einen Mob, vor dem Flüchtlinge Angst haben müssen?

 

Bellmann: Nein, natürlich nicht. Ich bin zwar auch nicht einverstanden mit der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Aber man muss zwischen Politik und Werten trennen: Denn Recht und Gesetz gelten für alle. Das Problem ist, dass viele Bürger nicht mehr daran glauben.

 

FOCUS Online: Was meinen Sie damit?

 

Bellmann: Wenn die Antifa Schilder besprüht oder unverhohlen sagt: Das Dorf legen wir in Trümmer oder in Leipzig auf Polizisten losgeht, ist das kaum ein paar Stunden in den Schlagzeilen. Wenn auf Veranstaltungen „Wir sind das Volk“ gerufen wird, spricht man sofort von Mob und „verbaler Gewalt“. Dieses Ungleichgewicht regt die Leute auf.

 

FOCUS Online: Gilt das auch für den Umgang mit dem Vorfall in Clausnitz?

 

Bellmann: Ja, denn es wird nur noch der Ausschnitt des Videos gezeigt, bei dem die Polizei einen 14-Jährigen aus dem Bus holt. Es wird gar nicht versucht, das einzuordnen. Kaum jemand, der sich ein Urteil erlaubt, war dabei.

 

FOCUS Online: Aber das Video steht doch für sich…

 

Bellmann: Das Problem ist doch: Es gibt nicht nur schwarz und weiß, es gibt auch grau. Wer ein bisschen Kritik äußert, wird sofort in die rechte Ecke gerückt.

 

FOCUS Online: Kennen Sie die Menschen, die dort demonstriert haben?

 

Bellmann: Nein, ich war ja nicht vor Ort. Der Widerstand gegen die Einrichtung von solchen Unterkünften zieht sich allerdings quer durch die Gesellschaft.

 

FOCUS Online: Es gibt Medienberichte, wonach der Bruder des Heimleiters, der Mitglied der AfD ist, diesen Protest organisiert hat.

 

Bellmann: Wenn jemand von der AfD und Heimleiter ist, wird das gehandhabt, als wäre er in einer verbotenen Partei. Warum wird ihm nicht zugestanden, dass er zwischen Politik und Aufgabe trennen kann? Hin- und Herspekulieren bringt uns nicht weiter.

 

FOCUS Online: Glauben Sie, dass bekannte Szene-Rechte aus Freital oder Dresden für den Auflauf gesorgt haben?

 

Bellmann: Könnte sein.

 

FOCUS Online: Gibt es eine organisierte rechte Szene in Clausnitz?

 

Bellmann: Das ist mir nicht bekannt. Es ist die Frage, wo man die Grenze zwischen aufgeheizten Bürgerprotesten und handfesten rechten Strukturen zieht. Sicher fahren montags auch  Clausnitzer zu den Pegida-Demonstrationen nach Dresden.

 

FOCUS Online: Hat Sachsen Ihrer Meinung nach ein Problem mit Rechten?

 

Bellmann: Es gibt viele Menschen, die hier die Augen aufhalten und sagen, dass übermäßige Toleranz zu No-Go-Areas wie in Duisburg, Berlin oder anderswo in Westdeutschland führt. Es gibt leider keine Gesellschaft in Europa, in der die Integration so vieler muslimisch gläubiger Zuwanderer insbesondere aus arabischen Ländern gelungen wäre, das schreiben sogar Demokratieforscher.

Die Sachsen sagen das laut, dass sie diesen Massenansturm nicht wollen. Das Problem ist, dass es Leute von rechts und links gibt, die das ausnutzen. Die einen instrumentalisieren das für die Rechtspopulisten und die anderen beschimpfen die Sachsen als Dunkeldeutsche.

 

FOCUS Online: Wie kann man dagegen kämpfen?

 

Bellmann: Es braucht eine klare Aufklärung für alle Formen von Anschlägen, von rechts wie auch von links. Die Leute müssen spüren, dass es keine Unterscheidung gibt. Dazu gehört die polizeiliche Aufklärung. Außerdem müssen die Vorverurteilungen aufhören.

 

FOCUS Online: Was meinen Sie damit?

 

Bellmann: Na, dass alle Sachsen rechts sind.

 

FOCUS Online: Und auf politischer Ebene?

 

Bellmann: Das ist ein mühsamer Prozess, aber auch eine Chance. Früher hatte ich Veranstaltungen zu politischen Themen, da kamen zehn bis fünfzehn Leute. Jetzt sind die Räume voll und die Politikverdrossenheit ist weg. Auf Fragen und Ängste einzugehen, ist  zwar anstrengend, aber dem muss man sich stellen. Das lohnt sich.

Denn ich bemerke auch ein gesteigertes Interesse  über Themen, die mit der Flüchtlingskrise indirekt zu tun haben: Entwicklungshilfe etwa. Die Hälfte der Flüchtlingsströme haben wir selber produziert. Beispielsweise die Handelsverträge zwischen der EU und Afrika – das ist Ausbeutung. Und die Afrikaner haben das zu schlucken. Das interessiert die Menschen jetzt wieder mehr, denn sie sehen schon ein, auf welcher Grundlage wir leben.

 

FOCUS Online: Mit dem Verständnis der Leute scheint es aber in Orten wie Clausnitz nicht weit her zu sein, wenn es dann um die konkrete Aufnahme von Flüchtlingen geht. Welche Einflussmöglichkeiten sehen Sie in Berlin?

 

Bellmann: Kanzlerin Merkel hatte um Geduld gebeten, die wurde ihr gewährt. Wenn im März aber tatsächlich die Flüchtlingsströme einsetzen wie im Vorjahr, werden wir um Grenzschließungen nicht herumkommen. Unsere erste Verpflichtung ist, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.

Bei diesen Zahlen kann es passieren, dass wir mit Unterbringung, Verpflegung und so weiter überfordert sind, von Integration ganz zu schweigen. Wenn diese Überlastung bevorsteht, müssen wir die nationale Karte ziehen. Und dann brauchen wir auch eine Abstimmung im Bundestag, denn der ist die zentrale demokratische Instanz. Das ist mehr als nur der Satz „wir schaffen das“, weil dann Regierung und Opposition klar erklären und darlegen müssen „wie“ und was auf die Leute zukommt. Das sind wir den Bürgern bisher schuldig geblieben. Vielleicht gehen Leute auch deshalb auf die Straße…