ND: Indymedia Südwestdeutschland wird ein Jahr alt

Erstveröffentlicht: 
17.02.2010

Von Patrick Kunkel 17.02.2010 / Außer Parlamentarisches

 

Bewegungen vor der Haustür stärken

Indymedia Südwestdeutschland wird ein Jahr alt / Internetplattform frei von staatlicher Kontrolle

 

Vor einem Jahr ging das Independent Media Center für Südwestdeutschland online. Inzwischen hat sich »Indymedia linksunten« in der Region etabliert, wird aber auch immer mehr überregional genutzt.

 

Freiburg im Januar. In einer Ecke des linksalternativen Jos-Fritz-Café sitzt Leon, ein Mann Mitte zwanzig, auf dem Tisch vor ihm ein Milchkaffee und ein aufgeklapptes Notebook. Leon heißt eigentlich nicht Leon, doch als linker Medienaktivist wolle er lieber anonym bleiben. Strafverfolgungsbehörden, Rechtsanwälte und Neonazis wüssten nur allzu gern, wer sich hinter dem Projekt verbirgt, das er vor zwei Jahren mitgegründet hat: Indymedia linksunten. Vor einem Jahr ging die Webseite online – inzwischen scheint sie sich in der linken Szene im Südwesten fest etabliert zu haben, als ein »weiterer Knotenpunkt im weltweiten Netzwerk unabhängiger Medienzentren«, wie es Leon formuliert.

»Indymedia linksunten« versteht sich als »strömungsübergreifende Plattform für unabhängige Berichterstattung«, »frei von staatlichen Kontrollen und kapitalistischen Interessen«, wie es in der Selbstdarstellung heißt.

Über 180 Independent Media Center (IMC) gibt es auf der ganzen Welt, in den USA zum Beispiel in fast jeder größeren Stadt. In Deutschland hingegen gab es bis vor einem Jahr nur ein Indymedia Center: »Viel zu zentralistisch«, fanden Gruppen aus dem Südwesten und machten ihren eigenen Laden auf.

Unzufrieden war man damals auch mit der politischen Moderation, mangelnden Transparenz und fehlenden Diskussionskultur bei Indymedia Deutschland. »Natürlich interessiert uns auch das, was in Rostock oder Hamburg passiert, aber eben nicht in gleichem Maße wie das, was vor unserer Haustür stattfindet«, meint Leon. Wobei der Bereich vor der Haustür bei Indymedia linksunten weit über Baden-Württemberg hinaus- reicht, nach Hessen, Bayern, Rheinland-Pfalz, aber auch in die Schweiz und nach Frankreich.

Angetreten sind die Leute von »linksunten« mit dem Anspruch, soziale Bewegungen in der Region stärken und vernetzen zu wollen. Das sei auch gelungen, sagt Leon. Wie viele Menschen die regionale Diskussionsplattform nutzen, weiß er aber nicht: »Wir erstellen bewusst keine Statistiken, weil dafür Daten wie die IP-Adressen gespeichert werden müssten.« Die Zahl der bisher veröffentlichten Beiträge deutet allerdings auf jenen regen Austausch hin, den sich die gut 30-köpfige Gründungsgruppe vor dem Start erhofft hatte: über 4000 Artikel wurden seit Februar vorigen Jahres veröffentlicht. Ganz oben im Ranking: »Antifaschismus« (1764 Beiträge) und weit abgeschlagen die »Tierrechte« (27 Artikel) noch hinter »Feminismus, Gender und Queer« (65). »Das liegt aber nicht daran, dass wir bestimmten Themen den Vorzug geben«, führt der Medienaktivist aus, »wir bieten eben nur ein Abbild der Bewegung.« Veröffentlicht wird alles, vom Demoaufruf über selbst recherchierte Nachrichten und Veranstaltungsberichte bis hin zu Bekennerschreiben, auch das gehört zum Konzept: »Es wird nicht politisch moderiert, Themen und Diskussionen werden nicht unterdrückt.« Was wohl mit ein Grund dafür ist, dass inzwischen auch Gruppen aus dem Norden oder Osten die Internetplattform nutzen.

Die Redaktion von »linksunten« sieht ihre Aufgabe darin »Ströme zu lenken, besonders gute Artikel hervorzuheben oder Fehler zu korrigieren. Manchmal wird auch etwas aussortiert, aber so, dass es jeder nachvollziehen kann«, betont Leon. Um das technisch hinzubekommen, habe man etliche eigene Module geschrieben: »Es war ein Vorteil, dass wir noch ein relativ junges Indymedia sind. So konnten wir abgucken, welche Probleme andere IMCs hatten und diese vermeiden. Dieses Wissen geben wir auch weiter. Ein paar unserer Module werden inzwischen weltweit eingesetzt.«

Indymedia sei »eine Waffe im sozialen Kampf, die mit jeder Benutzung schärfer wird«, findet Leon. Besonders während Großereignissen wie dem NATO-Gipfel voriges Jahr in Straßburg zeige sich das ganz praktisch, erklärt er, wenn Liveticker geschaltet werden und die Aktivisten vor Ort per Handy aktuelle Informationen abrufen können. »Politische Waffe kann aber auch sein, dass damit jemandem weh getan wird.« Leon meint damit, dass die Netzaktivisten auf »Indymedia linksunten« gelegentlich auch Neonazis namentlich anprangern oder Bekennerschreiben veröffentlichen, was auf keinem anderen Internetportal in Deutschland möglich ist. Weil das nicht legal ist, kommt öfter Post von Behörden oder Anwälten, per E-Mail, da »Indymedia linksunten« keine Postadresse besitzt und seine Macherinnen und Macher bewusst verborgen bleiben. Niemand ist offiziell verantwortlich und die Rechner stehen fernab des Zugriffs deutscher Strafverfolgungsbehörden, irgendwo in den USA.

linksunten.indymedia.org