Freiburg gilt als urgrünes Biotop - und jetzt das: Diskos und Musikklubs wollen angeblich keine Flüchtlinge mehr reinlassen. Ein Mitarbeiter spricht von einem "internen Hilferuf". Was ist da los im Breisgau?
Von Christoph Ruf
"Wenn ich die Meldungen der letzten Tage lese, könnte ich kotzen", sagt ein Freiburger DJ, der im White Rabbit auflegt, am Montagmittag. Gerade ist er aufgestanden und wundert sich, was über die Szene seiner Heimstadt zu lesen ist. "Angeblich schränken ja viele Klubs den Besuch von Flüchtlingen ein", sagt er. "Ich kenne aber keinen, auf den das zutrifft."
Und doch ist es ja keine Erfindung der Medien, dass der White-Rabbit-Klub in einer E-Mail davon sprach, man werde "vorerst keine Menschen mehr reinlassen, die nur eine Aufenthaltsgestattung" besäßen. Und es ist auch keine Erfindung, dass Oberbürgermeister Dieter Salomon, ein Mann von den Grünen, betont, er fordere seit Jahren mehr Polizei.
Das sind ungewohnte Töne für eine Stadt wie Freiburg, dem linksliberalen Biotop schlechthin, wo ein alternativer Lebensstil schon vor 20 Jahren nicht mehr alternativ war, sondern Mainstream. Wo es seit 2002 einen grünen Oberbürgermeister gibt und den ökologischen Vorzeigestadtteil Vauban. Dort scheitert die CDU regelmäßig an der Fünfprozenthürde und Raucher werden selbst dann böse angeschaut, wenn sie unter freiem Himmel qualmen.
Freiburg ist die einzige Großstadt ohne NPD-Ortsverband, ein multikultureller Lebensstil prägt die Stadt. Dass angeblich gleich mehrere Freiburger Klubs künftig keine Flüchtlinge mehr reinlassen wollten, las sich da wie eine Falschmeldung. Und genau betrachtet, war es auch eine.
Zumal der Absender der Mail, die alles ins Rollen brachte, auch noch das White Rabbit war. Von "locker-links bis Antifa" beschreibt ein Gast den Klub, der von einem Kollektiv geführt wird. Besagte E-Mail, erfährt man da, sei nie für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen. Sie sollte in der linken Szene, der man sich zugehörig fühlt, einen Diskussionsprozess auslösen. Eine Diskussion darüber, wie man die Flüchtlinge integrieren kann, auch und gerade ins Freiburger Nachtleben. Aber eben auch darüber, was nicht geht, wenn sich auch Frauen wohlfühlen sollen. Die E-Mail landete - wie auch immer - bei der AfD in Lörrach und später bei der Badischen Zeitung.
Ein Signal war nötig - findet man in der Szene
Denn ja, in diesem Bereich hat es so viele Probleme gegeben, dass ein Signal nötig wurde. Neben Gegrabsche und Taschendiebstählen führt die Mail "Eindringen in die geschlossenen Kabinen auf dem Frauen-WC" und "sexuelle Belästigung" auf.
"Die Idee, das Problem mit dem Hausrecht zu regeln, ist seit Mittwoch vergangener Woche vom Tisch, also lange, bevor das Medienbuhei anfing", sagt ein Mitarbeiter des White Rabbit zu SPIEGEL ONLINE. Umgesetzt wurde sie sowieso nie. "Das war ein interner Hilferuf." Es gehe um einen Dialog mit den Flüchtlingen, eben nicht um deren Ausgrenzung. "Nachtklubs sind Frühindikatoren. Wenn man da die Probleme nicht in den Griff bekommt, werden sie größer." Auf den Applaus von rechts könne man allerdings verzichten. "Wir arbeiten im Dialog und tun damit das, was die Regierung tun sollte. Panikmache und Hetze, wie sie die AfD betreiben, hilft niemandem." (Lesen Sie hier eine Stellungnahme des "White Rabbit" bei Facebook: facebook.com/White.Rabbit.Club/posts/1086243324729028.)
"Und das waren deutsche Deppen"
Das White Rabbit liegt am westlichen Ende der Fußgängerzone, die eigentliche Partymeile, das sogenannte Bermudadreieck, am anderen Ende. Am Wochenende geht es hier zu wie in der Düsseldorfer Altstadt oder auf der Reeperbahn. An jedem Wochenende stehen hier zwei Kastenwagen der Polizei. Schon 2007, lange bevor Flüchtlinge ein großes Thema wurden, erließ die Stadt ein zwischenzeitliches Alkoholverbot für alle öffentlichen Plätze in der City. Betrunkene, Randale, Kleinkriminalität und auch Gegrabsche gab es also schon immer.
Allerdings hätten die Taschendiebstähle in letzter Zeit erneut zugenommen, berichtet eine Sprecherin der Stadt. "Auch auf dem Weihnachtsmarkt hatten wir da eine Zunahme." Ein Eindruck, den Augenzeugen bestätigen und den sie der angestiegenen Zahl der Flüchtlinge zuschreiben. Tatsächlich ist die Kleinkriminalität in Baden-Württemberg angestiegen, allerdings unterproportional zum Zuzug an Menschen. Dennoch: "Die Klauerei nervt", sagt ein Mann. "Und es kommt auch öfter vor, dass eine Frau sich belästigt fühlt und mich bittet, sie mal in den Arm zu nehmen, damit sie in Ruhe gelassen wird." Er spiele dann kurz den Freund und entschärfe so die Situation.
Die Klubs rund ums Bermudadreieck haben allerdings am vergangenen Wochenende Flüchtlinge reingelassen, natürlich auch das Crash am Hauptbahnhof, wo man via Facebook betont, man wähle sein Publikum nicht nach der Hautfarbe aus. "Wir haben eine eindeutige Hausordnung, die Sexismus, Rassismus, Macho-Anmachen oder Gewalt untersagt und vertrauen da voll und ganz auf die Erfahrung unserer Mitarbeiter."
Das sei auch richtig so, betont eine Mittvierzigerin, die den Laden kennt. "Es war doch schon vor 20 Jahren so, dass man im Crash oder anderswo von besoffenen Deppen mit ihrer Erektion angetanzt wurde", sagt sie. "Und das waren deutsche Deppen". Dass der Freiburger Polizei keine Anzeigen wegen sexueller Belästigung vorliegen, wundert sie hingegen nicht: "Welche Frau geht da schon zur Polizei? Ist doch leider Alltag."
Zusammengefasst: Freiburger Szeneläden wollen keine Flüchtlinge mehr reinlassen - diese Schlagzeile sorgt für Aufregung. In einem der Klubs spricht man von einem Signal, um einen Dialog zu starten. Man wolle keinen Applaus von rechts, sondern ins Gespräch kommen. Durchgesetzt wurde die Zugangsbeschränkung am Wochenende nicht.