Steuern, Renten, FraPort. Ein Jahr Syriza-Regierung: Die Stimmung in Griechenland ist explosiv
Im Taekwondo-Stadion bei Faliro feierte Alexis Tsipras am Sonntag sein erstes Jahr Regentschaft. Die Veranstaltung stand unter dem Zeichen zahlreicher Proteste im Land.
Am 25. Januar 2015 hatte Tsipras zum ersten Mal die wegen der Wahl des Staatspräsidenten notwendig gewordenen Parlamentswahlen gewonnen. In seiner Rede zur Feier des Tages hob Tsipras die Urnengänge der Griechen extra hervor.
"Nicht einmal, nicht zweimal, gleich dreifach gaben uns die Wähler ihr Vertrauen", jubelte er.
Denn gezählt werden nicht nur die zwei vorgezogenen Parlamentswahlen vom Januar und September, sondern auch die Volksabstimmung vom Juli. Tsipras sieht seinen Schwenk zum Sparprogramm entgegen dem Votum von der Volksabstimmung, das gegen eine Fortsetzung der Sparpolitik stimmte, durch die Parlamentswahlen vom September bestätigt.
Zudem verweist er darauf, dass die im Juli zur Debatte stehenden Sparmaßnahmen von der EU, namentlich von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, ohne einen neuen Kredit ausgestattet waren. Minutiös rechnete er auf, dass die seinerzeit vorgeschlagenen - und bereits von seinem Vorgänger Antonis Samaras akzeptierten - Reformen zwar teilweise nominell weniger Belastungen bringen sollten, effektiv jedoch nur der Vorbote eines weiteren, unbedingt erforderlichen Sparpaket gewesen seien.
Außerdem folgerte Tsipras, dass die seinerzeit für die Renten vereinbarten Reformen direkte Rentenkürzungen beinhaltet hätten, was er, Tsipras, nun in harten Verhandlungen abzuwenden gedenken würde.
Streitpunkt Renten und Versicherungen
Bauern, Ingenieuren, Ärzten, Rechtsanwälten sowie weiteren Freiberuflern, ebenso Angestellten und Rentnern, kurzum, allen, die entweder Renten bekommen oder für diese Beiträge zahlen, ist genau dies nicht geheuer. Sie haben, vom ersten Gesetzesentwurf des Arbeits- und Sozialministers Giorgos Katrougalos aufgeschreckt, mit Protestaktionen gegen die Regierungspläne, aber auch gegen das Sparpaket, begonnen. Besonders imposant sind in diesem Zusammenhang die Proteste der Bauern.
Sie haben sich an allen Fernstraßen-Knotenpunkten Griechenlands mit tausenden Traktoren versammelt und sperren - bislang nach Ankündigung und nur temporär - den Verkehr. Besonders oppositionelle Medien, wie To Proto Thema, die Kathimerini und To Vima, rechnen tagtäglich vor, wie weit die Renten sinken werden.
Außerdem drohen Bauern und Freiberuflern zusätzlich zur Besteuerung ab dem ersten eingenommenen Euro Sozialversicherungsbeiträge wie den Angestellten. Notwendig wird die Beitragsanpassung für die Selbstständigen deshalb, weil alle Sozialkassen nun zu einer einzigen zusammengefasst werden sollen.
Den Verbänden der Freiberuflern missfällt dies vor allem, weil ihre bisherigen Kassen finanziell gesund waren und nun in der defizitären allgemeinen Kasse aufgehen müssen. In der Kombination und bei jeglichem Fehlen von Steuerfreibeträgen sowie verbunden mit der jährlichen, einkommensunabhängigen Kopfsteuer für nicht abhängig Beschäftigte ergeben Modellrechnungen, dass die Betroffenen bei 10.000 Euro - auch wegen der verordneten Vorzahlung der Steuern für das jeweils folgende Jahr - mehr als 8.000 Euro Belastungen haben.
Dabei sind die Grundstücks- und Äckersondersteuern noch nicht eingerechnet. Zudem liegt der bereits jetzt erkennbare Fehler in der Reform der Sozialversicherungen darin, dass die längere Beitragszahlung keinerlei erhöhenden Effekt auf die Renten hat. Tsipras soziale Maßnahme, auch Beitragszahlern mit fünfzehn Jahren Zahlung eine Mindestrente in der Größenordnung von 400 Euro monatlich zu garantieren, wird damit erkauft, dass Beiträge von mehr als dreißig Berufsjahren für den Versicherten keinen Gewinn bringen. Somit wird impliziert, dass Schwarzarbeit sich eben bei entsprechend langer Versicherungszeit doch lohnen kann.
Die Selbständigen klagen, dass Anwälte, Ingenieure, Ärzte und Journalisten in der Regel weit nach Erreichen des gesetzlichen Rentenalters in den Ruhestand gingen. Sie befürchten, dass nun viele aus diesen Berufsfeldern noch schnell vor der Gültigkeit des Gesetzes in Rente gehen würden und damit das gesamte Versicherungssystem noch vor der Wirkung einer Reform erneut aus dem Ruder werfen würden. Weil ähnliche Rechnungen auch für Angestellte gelten, könnte ein Massenexodus von Freiberuflern und früh verrenteten Angestellten tatsächlich erhöhte Ausgaben für die Sozialkassen bringen. Eine neue Rentenreform würde notwendig.
In der Provinz werden regelmäßig Abgeordnete der Regierung oder Minister von der wütenden Menge der Bauern gejagt. Selbst bei Podiumsveranstaltungen lassen die Bürger, wie in Kilkis den Abgeordneten Thodoros Parastatidis, kaum zu Wort kommen. Die Stimmung im Land ist explosiv.
Derartige Kritiken griff Tsipras explizit an:
Sie [die Kritiker], die seinerzeit Kampagnen für das Ja [zu den Sparplänen des Referendums] unterstützten, sehe ich nun in der ersten Reihe im Kampf gegen die Regierung, genauso wie einige der Führer der Allgemeinen Angestelltengewerkschaft und einige Großfunktionäre der Agrargewerkschaft. Damals propagierten sie das Ja und heute sind sie gegen unsoziale Maßnahmen.
Wir sollten erwähnen, dass der damalige Vorschlag schärfere Maßnahmen ohne Kredit, ohne einen Euro Finanzierung enthielt:
Die sofortige Abschaffung des Sozial-Ausgleichs für Renten.
Die Abschaffung aller Sozialgelder
Die Erlaubnis zu Massenentlassungen
Die Privatisierung des elektrischen Stromnetzes, der Telekommunikation und jeder Infrastruktur des griechischen Staates…
Streitpunkt Privatisierungen
Tsipras verteidigte bei seiner Rede die Wirtschaftspolitik seiner Partei. Er versprach mittelfristig blühende Landschaften. Er erklärte:
So dass wir in fünf Jahren, bis 2021, wenn 200 Jahre seit der griechischen Revolution [gegen die osmanische Herrschaft] vorbei sind, es geschafft haben, ein anderes Griechenland zu erschaffen, fähig eine Vorreiterrolle in der Demokratisierung, der sozialen Gerechtigkeit und der Kultur in Gesamteuropa zu haben.
Doch auch hier gibt es Widersprüche. Während die Investoren zahlreicher Privatisierungen der Vorgängerregierung, wie die umweltpolitisch umstrittenen Goldminen in Nordgriechenland, unter dem Druck der Regierung leiden müssen und bereits die Abwanderung erwägen, kommt es bei anderen zu Auswüchsen, die der Bevölkerung kaum zu vermitteln sind.
Zu den abwandernden Unternehmen gehört Titan Zement, einer der größten Arbeitgeber des Landes, mit knapp 1,6 Milliarden Umsatz. Aber auch Chiquita möchte nicht mehr in Athen weilen. Nach zwanzig Jahren beendet die Bananenfirma das Investment in Griechenland.
Das noch vor einem Jahr Tsipras nahestehende Portal The Press Project veröffentlichte eine im Original als geheim eingestufte Kopie des Privatisierungsvertrags der Regional-Flughäfen an die deutsche halbstaatliche FraPort. Einige Details des Vertrags lassen aufhorchen.
Der Fall FraPort
Demnach wird FraPort von den für alle anderen in Griechenland geltenden Sonderabgaben für Immobilien befreit. Zudem gehen etwaige Schulden und Bankkredite des Unternehmens bei Pachtende an den griechischen Staat über. Nach dem gleichen Muster soll der Staat entlassene Mitarbeiter der bislang staatlichen Unternehmen entschädigen, wenn FraPort sie nicht mehr braucht.
Darüber hinaus kann der Inverstor jede andere, für die übrigen Unternehmer extra anmelde- und genehmigungspflichtige wirtschaftliche Tätigkeit nach Gutdünken durchführen. Im Vertrag finden sich zudem zahlreiche Schlupflöcher für weitere Steuerminderungen.
Die Betreiber kann außerdem Angestellte aus Nicht-EU-Staaten, zum Beispiel Flüchtlinge, einstellen. Der Staat ist im Gegenzug dazu verpflichtet, die notwendigen Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen sowie den Familiennachzug zügig zu erlauben. Er zahlt für Unfälle während des Betriebs der Flughäfen. Der Staat muss aufkommen, wenn Pächter, wie zum Beispiel ein Autoverleih oder ein Café insolvent werden.
Der Betreiber kann Planungskosten und Umbauten auf den Staat abwälzen. Zudem kommen auf Besucher des Landes höhere Gebühren zu. Darüber hinaus muss die für die Flughafensicherheit abgestellte Polizei mit einem Sockelbetrag für Telefon, Wasser und Klimatisierung auskommen - oder nachzahlen.
Unter dem Vorzeichen dieser und ähnlicher Widersprüche in Theorie und Praxis eines Jahres Syriza waren die Sicherheitsvorkehrungen ein Jahr nach den triumphalen Wahlkampffeiern des Januars 2015 besonders streng. Selbst der Haus- und Hoffotograf Alexis Tsipras‘, Andrea Bonetti, wurde ein ums andere Mal von Sicherheitskräften in seiner Arbeit behindert. Im Publikum fanden sich zudem kaum junge Menschen, sondern eher ältere ein.
Die Musik, mit der die im Vergleich zum Vorjahr spürbar geringere Menge angeheizt werden sollte, stammte aus dem Repertoire, mit dem die PASOK einst ihre Wähler anstachelte. Von der Jubelstimmung des vergangenen Januars war kaum noch etwas spürbar.