Ein Rassist und Neonazi wütet hemmungslos mitten in Meißen. Zwei Passanten zeigen bemerkenswerte Zivilcourage.
Von Jürgen Müller
Meißen. Es ist ein warmer Sommerabend im August vorigen Jahres. In den Arkaden in der Meißner Altstadt herrscht noch Betrieb, einige Kunden erledigen Einkäufe, so auch im Rewe-Markt. Doch die Ruhe an diesem Abend wird jäh durchbrochen. Plötzlich gibt es Lärm. Ein Mann prügelt auf einen anderen ein, treibt ihn regelrecht vor sich her. Dann schlägt er ihn mit einer Bierflasche ins Gesicht, tritt ihn in die Knie. Später wirft er die Flasche nach seinem Opfer. Die verfehlt ihr Ziel, zerschellt auf dem Boden in tausend Stücke.
Was ist plötzlich passiert an jenem Abend, was für ein Problem gab es? Die Antwort ist so einfach wie erschreckend. Es gab überhaupt kein Problem. Der Grund für den Schläger, zu pöbeln, zu beleidigen und dann zuzuschlagen, ist unfassbar. Sein Opfer hatte schlicht die „falsche“ Hautfarbe. Er ist ein Schwarzer, der schon seit seiner Kindheit in Deutschland lebt, fließend und akzentfrei Deutsch spricht. Eine Tat aus purem Hass und Rassismus. Dass der Täter an weiteren Schlägen gehindert und letztlich festgenommen werden konnte, ist zwei couragierten Männern zu verdanken. Sie saßen vor dem Rewe auf einer Bank, wurden Zeugen der Schlägerei. Die beiden griffen beherzt ein, nahmen den Schläger in den „Schwitzkasten“, holten die Polizei.
Schon mehrere Jahre in Haft
Der Täter ist dort bestens bekannt. Sven Siegert heißt er, ist damals 29 Jahre alt und mehrfach vorbestraft. Mehrfach wurde er zu Gefängnisstrafen verurteilt, und die hat er auch alle bis zum letzten Tag abgesessen. Eines zieht sich immer wieder durch seine kriminelle Karriere: Nie hat er eine Bewährungszeit überstanden, Reststrafen wurden doch noch vollstreckt.
Auch diesmal wieder. Siegert wird in Handschellen vorgeführt, die er auch während der gesamten Verhandlung über am Amtsgericht Meißen nicht abgenommen bekommt. Derzeit sitzt er erneut eine Haftstrafe ab, weil die Bewährung widerrufen wurde. Zur letzten Gerichtsverhandlung kam er nicht. Er teilte dem Gericht telefonisch mit, dass er auf Montage sei. Tatsächlich befand er sich in Meißen. Das hatte ein Mitangeklagter dem Gericht gesagt. Der Richter erließ Haftbefehl, die Polizei konnte Siegert festsetzen.
Vor Gericht zeigt er nicht die Spur von Reue und Einsicht, im Gegenteil. Er versucht, seine Tat herunterzuspielen. Ja, er habe beleidigt und getreten, aber „Drecksnigger“ habe er nicht gesagt. Vor allem habe er nicht mit der Bierflasche zugeschlagen. Die habe er zwar in der Hand gehabt, doch dann sei sie ihm runtergefallen. Er spricht von einem „Fehler“. „Probleme muss man anders lösen“, sagt er. Welche Probleme er denn mit dem Geschädigten hatte, will Richter Andreas Poth wissen. „Der hat mich angelacht, dadurch fühlte ich mich provoziert“, so Siegert, der nur die 9. Klasse der Förderschule schaffte. Eine Berufsausbildung hatte er angefangen, aber nicht beendet. Es kam etwas dazwischen: das Gefängnis. Um sein vierjähriges Kind kümmert sich der Mann mit dem ulkigen Irokesenschnitt nicht, meist ist er ja sowieso in Haft. Das Kind lebt auch nicht bei der Mutter, sondern bei einer Tante.
„Auch ohne Entgiftung clean“
Der Mann ist nicht nur alkohol-, sondern auch drogenabhängig, nimmt Crystal. Wie viel, das will er nicht sagen. Eine Entgiftung hat er nach zwei Tagen abgebrochen, sich selbst entlassen, wie er sagt. „Ich hielt das nicht für nötig.“ Angeblich ist er auch ohne Entgiftung clean.
Erst habe er ihn mit „scheiß Nigger“ beleidigt, dann geschlagen und getreten, sagt das 18 Jahre alte Opfer. „Dann hat er die Bierflasche genommen und mir durchs Gesicht gezogen“, erzählt der junge Mann. Ein anderer Zeuge bestätigt diese Aussage. Der Angeklagte dagegen will nur mit der flachen Hand zugeschlagen haben. Das passt aber nicht zu den Verletzungen. Die Tat wurde teilweise per Handyvideo gefilmt. Dem Opfer fiel auch sein Handy aus der Tasche, der Angeklagte zertrat es. „Ob das absichtlich war oder aus Versehen, das kann ich aber nicht sagen“, so der 18-Jährige. Was er noch sagt, macht betroffen, ob wohl er es wohl euphemistisch formuliert. „Ich werde jeden Tag angesprochen, geschubst, mir werden Beine gestellt.“ Rassismus ist Alltag hierzulande. Doch auch das sagt das Opfer, sichtlich bewegt: „Es haben mir Leute geholfen, von denen ich das nicht erwartet hätte.“
Staatsanwältin Sabine Greiffenberg hält die Tat für erwiesen, fordert eine Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, selbstredend ohne Bewährung. „Sie mit Ihrer kriminellen Karriere und Ihrem Lebenslauf haben nicht den geringsten Anlass, sich über andere hinwegzusetzen“, schreibt sie ihm ins Stammbuch und fragt sich auch, was der Vater eines vierjährigen Kindes abends um halb neun biertrinkend in der Stadt zu suchen habe.
Rassistische Beweggründe
Das Gericht verurteilt den Mann zu der beantragten Strafe. „Sie haben das Opfer allein wegen dessen Hautfarbe verprügelt“, sagt Richter Andreas Poth. Zwar dürfe niemand wegen seiner Gesinnung verurteilt werden. Werde diese Gesinnung jedoch Anlass für Straftaten, wirke das strafverschärfend. Die Gesetzgebung ist hier verschärft worden. Besonders zu berücksichtigen ist, wenn die Beweggründe und die Ziele des Täters aus rassistischer, fremdenfeindlicher oder sonstiger menschenverachtender Gesinnung entspringen.
Siegert verlässt das Gericht so, wie er gekommen ist: in Handfesseln. Es geht zurück in die Zelle. Dort wird er für lange Zeit bleiben. Wenigstens vor diesem Rassisten und Neonazi, der auch schon wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt wurde, ist die Gesellschaft erst mal für längere Zeit sicher.