Gibt es unter Linksextremen eine gesteigerte Gewaltbereitschaft? Seit Mitte Dezember häufen sich Vorfälle, die diese Vermutung nahelegen. Die Sicherheitsbehörden haben aber noch keine klaren Erkenntnisse.
Das erste einschlägige Ereignis war eine gezielte Attacke auf die Besatzung eines Streifenwagens im Viertel. Rund 40 Vermummte hatten am Abend des 16. Dezember faustgroße Steine auf das Einsatzfahrzeug geworfen und eine Leuchtrakete abgefeuert. Die Angreifer riefen „Free Valentin“ und waren offenbar der Ultra-Fußballszene zuzuordnen, bei der es Überschneidungen mit dem linksautonomen Spektrum gibt.
Angriff auf Polizeigewerkschaft: Bekennerschreiben liegt vor
Aus der gleichen Schnittmenge stammen möglicherweise die Täter, die zum Jahreswechsel einen Anschlag auf das Lesumer Polizeirevier verübten. Zehn vermummte Gestalten schossen in der Silvesternacht mithilfe einer selbst gebauten Abschussvorrichtung Feuerwerkskörper auf das Gebäude. Drei Heranwachsende im Alter von 16, 17 und 18 Jahren konnten vor Ort gestellt werden, die Ermittlungen führt die Staatsschutz-Abteilung der Kripo. Im dritten Fall mutmaßlich linksextremer Gewalt, dem Angriff auf die Geschäftsstelle der Gewerkschaft der Polizei in Nacht zum 12. Januar, liegt sogar ein Bekennerschreiben vor, dessen politische Botschaft und sprachlicher Duktus klar auf das militant-linksextreme Milieu verweisen.
Drei einschlägige Vorfälle innerhalb von vier Wochen: Lässt diese rasche Abfolge den Schluss auf eine qualitative Veränderung des Linksradikalismus in Bremen zu? Hans-Joachim von Wachter, Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz, ist die Faktenlage noch zu dünn für solche Feststellungen. Für die rund 200 Personen umfassende, eher heterogene linksautonome Szene sei es in der Vergangenheit kennzeichnend gewesen, dass sie ihr Gewaltpotenzial eher nicht in der Stadt auslebte, sondern andernorts. Zum Beispiel bei Demonstrationen gegen Neonazis oder rechte Gruppierungen wie Pegida.
Eine gewisse Kursänderung zeichne sich seit den Auseinandersetzungen um den mutmaßlichen Gewalttäter Valentin S. aus der „Ultra“-Szene ab, der sich in Kürze vor Gericht verantworten muss. „Neben den Rechten treten nun wieder der Staat und seine Institutionen als Gegner in den Vordergrund“, hat von Wachter beobachtet. Allerdings: Noch bewegt sich die Militanz der Linksautonomen aus Sicht des Verfassungsschützers deutlich unterhalb des Niveaus mancher deutschen Großstädte wie etwa Berlin oder Leipzig.
Kripo-Chefin Wittrock: "Gewalt gegen Polizisten bereitet Sorge"
Ein „großes Fragezeichen“ setzen auch die Staatsschützer der Bremer Polizei hinter die Wahrnehmung einer wachsenden Gewaltbereitschaft in der örtlichen Szene. Kripo-Chefin Andrea Wittrock unterstreicht wie von Wachter die Verschiedenartigkeit der Personenkreise, die man gemeinhin mit dem Etikett „linksautonom“ versieht. Wittrock: „Das Spektrum umfasst ganz unterschiedliche Elemente, auch was deren Bereitschaft zur Gewalt angeht.“ Es gebe ideologisch gefestigte Akteure, die Gewalt gegen Sachen tolerieren oder befürworten. Daneben „erlebnisorientierte“ Mitläufer, die bei Konfrontationen mit der Staatsmacht oder rechtsorientierten Gruppen auch schon mal Steine werfen.
Ganz allgemein lässt sich aus Wittrocks Sicht lediglich feststellen: „Der Ton hat sich verschärft.“ Und: „Unsere Gesellschaft findet keine Antworten auf die wachsende Bereitschaft von Menschen, brachial gegen Polizeibeamte vorzugehen. Meine Kollegen auf der Straße beobachten das mit Sorge.“