Wenn Terroristen zu gewöhnlichen Räubern werden

Erstveröffentlicht: 
19.01.2016

Ehemalige RAF-Mitglieder sollen nahe Bremen und in Wolfsburg zwei Geldtransporter überfallen haben. Kehrt die Terrorgruppe zurück?

 

Seit Monaten fahndet die Polizei nach drei Personen, die im Sommer vergangenen Jahres in der Nähe von Bremen versucht haben, einen Geldtransporter zu überfallen. Jetzt die spektakuläre Wende in dem Fall: Alles spricht dafür, dass die Tat von drei ehemaligen RAF-Terroristen begangen wurde, die seit mehr als 20 Jahren auf der Flucht sind: Daniela Klette, Ernst-Volker Wilhelm Staub und Burkhard Garweg.

 

Offenbar hat die Polizei sogar den Verdacht, dass die ehemaligen RAF-Mitglieder Ende Dezember noch einen zweiten Raubversuch in Wolfsburg unternommen haben. Auch in diesem Fall geht es um einen Geldtransporter, wie die Staatsanwaltschaft Verden mitteilt.

 

Wie kam der Verdacht jetzt auf die RAF-Terroristen?

 

Nach den beiden Taten nahe Bremen und in Wolfsburg ermitteln zunächst die jeweils zuständigen lokalen Polizeibehörden. Die Fahnder denken an gewöhnliche Kriminelle, vielleicht auch an eine Bande, die sich auf Verbrechen solcher Art spezialisiert hat. Spuren werden gesichert, DNA-Material am Tatort sichergestellt. Polizeiroutine.

 

Doch jetzt, sechs Monate nach der ersten Tat, vermelden die Behörden einen Treffer beim Abgleich mit der DNA-Datei des Bundeskriminalamtes. Offiziell bestätigt haben die Behörden die neue Entwicklung zwar noch nicht. Doch nach einem Bericht des NDR, der sich auf Angaben aus Ermittlerkreisen bezieht, scheint klar: Bei den Personen, die den Geldtransporter überfallen haben, handelt es sich tatsächlich um Klette, Staub und Garweg.

 

Alle drei stehen seit Jahrzehnten auf den Fahndungslisten des BKA. Die ihnen zugeordneten DNA-Profile waren nach einer Tat im Jahr 1993 erfasst worden, derer sie ebenfalls dringend verdächtigt sind. Damals wurde auf die Justizvollzugsanstalt im hessischen Weiterstadt ein Sprengstoffanschlag verübt. Einen zweiten Fall gab es im Jahr 1999: Damals wurden die Klette und Staub zugewiesenen DNA-Spuren bei einem Raubüberfall in Duisburg gefunden, der große Parallelen mit dem jetzigen Überfall aufweist.

 

Wie lief das jetzige Verbrechen ab?

 

Begangen wurde die Tat am 6. Juni am frühen Nachmittag auf dem Gelände eines Supermarktes in Groß Mackenstedt, wenige Kilometer südlich von Bremen, direkt an der Autobahn A 1. In der Sendung "Aktenzeichen XY ... ungelöst" wird der Fall drei Monate später vorgestellt. Auf dem Video einer Überwachungskamera ist zu sehen, wie die Täter vorgegangen sind (hier ab Minute 36:30): In der Nähe der Stelle, wo die Geldboten die Einnahmen des Marktes in Empfang nehmen - offensichtlich ein Hinter- oder Seiteneingang des Gebäudes -, postieren sie einen weißen VW-Bus. Dieses Fahrzeug setzt dann abrupt zurück und blockiert den Weg für den Geldtransporter, als dieser gerade losfahren will. Aus unterschiedlichen Richtungen stürmen mehrere Personen herbei und bedrohen die beiden Sicherheitsmänner mit einem Schnellfeuergewehr und einer Panzerfaust.

 

Sie fordern den Fahrer auf, die Türen zu öffnen. Als dieser sich weigert, schießt einer der Täter dreimal auf die rechte Seitenscheibe des Geldtransporters. Das Glas splittert zwar, doch gelingt es den Verbrechern nicht, sich Zutritt zu dem Fahrzeug zu verschaffen. Sowohl Fahrer als auch Beifahrer bleiben unverletzt.Am Ende müssen die Angreifer in Groß Mackenstedt ohne Beute flüchten. Wenige Monate später scheitern mutmaßlich dieselben Täter in Wolfsburg erneut. Der Geldtransportfahrer kann flüchten.

 

Weil die Täter ihre Waffen nicht nur zur Drohung eingesetzt, sondern tatsächlich geschossen haben, ermittelt die Polizei nicht nur wegen schweren Raubes, sondern auch wegen versuchten Mordes. Nach Informationen des NDR benutzten sie wahrscheinlich Spezialpatronen, die auch größere Widerstände überwinden können. Gegen alle drei Verdächtigen liegt nach Angaben der Staatsanwaltschaft ein Haftbefehl vor.

 

Wer sind die drei Verdächtigen?

 

Es sind drei Terroristen, die der sogenannten dritten Generation der RAF zugerechnet werden: Daniela Klette, Ernst-Volker Wilhelm Staub und Burkhard Garweg. Es sind die einzigen drei Personen aus dem Umfeld der RAF, nach denen noch immer gefahndet wird.Über die drei ist recht wenig bekannt. Klette wurde 1958 geboren, sie bewegte sich noch in den 1980er Jahren in der Legalität.

 

Sie steht im Verdacht, an mehreren der RAF zugerechneten Taten beteiligt gewesen zu sein: 1991 soll sie mehr als 250 Schüsse auf die US-Botschaft in Bonn abgefeuert haben. Zwei Jahre später half sie wohl, eine Bombe vor der Justizvollzugsanstalt in Weiterstadt zu zünden.Staub, wohl Jahrgang 1957, soll sich 1983 der RAF angeschlossen haben. Ein Jahr später wurde er festgenommen und zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Nach der Haft ging er in den Untergrund. Auch ihm werfen die Ermittler vor, an dem Sprengstoffanschlag in Weiterstadt beteiligt gewesen zu sein.

 

Garweg kam 1968 zur Welt. Der Sohn eines Hamburger Arztes wird ebenfalls verdächtigt, am Anschlag in Weiterstadt beteiligt gewesen zu sein. Die Ermittler vermuten, dass er auch er bei dem Geldtransport-Überfall von 1999 beteiligt war, glauben also, dass die drei bei ihren Verbrechen als Team agiert haben.

 

Geld für das Leben im Untergrund - Was weiß man über die dritte Generation der RAF?

 

Die Rote Armee Fraktion gründete sich 1970 und erklärte sich 1998 für aufgelöst. Die linksextremistische Gruppe verübte zahlreiche Bombenanschläge, Entführungen und Überfälle. 34 Menschen wurden von der Terrorgruppe ermordet, vor allem Führungspersönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft sowie Personen aus deren Umfeld.

 

Maßgeblich geprägt wurde die Gruppe in der Anfangszeit von Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Sie zählten zur sogenannten ersten Generation und wurden bald festgenommen und zu lebenslanger Haft verurteilt. Der zweiten RAF-Generation lag vor allem daran, die Kader der ersten Generation mit Gewalt freizupressen. Als "Deutscher Herbst" in die Geschichte eingegangen ist die Hochphase des Terrors im Jahr 1977, als die RAF zahlreiche Terroranschläge verübte. Mit Hilfe einer palästinensischen Terrorgruppe wurde damals die Lufthansa-Maschine Landshut entführt sowie Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer entführt und ermordet.

 

Der Terror der sogenannten dritten Generation der Roten Armee Fraktion begann 1984 und endete 1993. Zehn Menschen starben, es gab mehrere Mordversuche und Dutzende Verletzte. Unter anderem ermordeten sie Alfred Herrhausen, den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, und Detlev Rohwedder, den Chef der Treuhandanstalt. Die letzte Aktion war der Anschlag im hessischen Weiterstadt 1993, bei dem die RAF mit 200 Kilogramm Sprengstoff ein Gefängnis verwüstete.

 

Über die Täter der dritten Generation ist bemerkenswert wenig bekannt. Deren Mitglieder scheinen die Fehler zu vermeiden, die frühere RAF-Terroristen begangen und die die Fahndung damals erleichtert haben.Die Behörden gehen in der dritten Generation von etwa 20 Aktiven aus sowie einem Unterstützerumfeld von 250 Personen. Zur Kommandoebene sollen Birgit Hogefeld und ihr Lebensgefährte Wolfgang Grams gezählt haben. Bei deren versuchter Festnahme 1993 hat Grams einen GSG-9-Mann erschossen, ehe er sich wohl selbst tötete. Hogefeld wurde als letztes verurteiltes RAF-Mitglied im Jahr 2011 auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen.

 

Rechnen die Behörden jetzt mit einer Rückkehr der RAF?

 

Nein. Auch wenn die Täter bei dem Überfall Schnellfeuergewehre und eine Panzerfaust zum Einsatz brachten, glauben die Ermittler wohl nicht an eine RAF-Renaissance.

 

Zuständig für die Ermittlungen ist die Staatsanwaltschaft im niedersächsischen Verden. Bei einer Tat mit einem mutmaßlich politischen Hintergrund hätte sich die Bundesanwaltschaft eingeschaltet. Polizei und Staatsanwaltschaft glauben, dass die beiden versuchten Raubdelikte nicht zur Finanzierung von Terrorakten dienen sollten. "Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Tat allein der Finanzierung des Lebens im Untergrund dienen sollte", heißt es von Seiten der Staatsanwaltschaft Verden.

 

Wie ermittelt die Polizei jetzt weiter?

 

Inzwischen hat die zuständige Staatsanwaltschaft die Täterschaft der drei Ex-Terroristen offiziell bestätigt. An diesem Mittwoch wird der Fall erneut bei "Aktenzeichen XY" vorgestellt. Die Polizei erhofft sich neue Hinweise. Denn offenbar haben mehrere Zeugen die Tat gefilmt oder fotografiert, wie die Bild-Zeitung berichtet. In der Sendung vom September hatte es noch geheißen, dass auf dem Supermarktparkplatz zunächst niemand etwas von der Tat mitbekommen habe, weil die Sicht durch den VW-Bus versperrt war.

 

Die Fahndungsbilder von Klette, Staub und Garweg sind jahrzehntealt. Auf ihr heutiges Aussehen lässt sich nur über Computer-Simulationen schließen, auf denen Spezialisten der Polizei die drei künstlich haben altern lassen.In der Aktenzeichen-Sendung im September wurden allerdings andere Aufnahmen gezeigt. Es handelt sich um die Phantombilder von drei Männern. Einer von ihnen soll bei dem Überfall beteiligt gewesen sein, ob es sich um Staub oder um Garweg handelt, ist unklar.

 

Die anderen beiden Männer sollen als Käufer des VW-Busses und eines anderen Fahrzeugs aufgetreten sein. Beide Wagen wurden dem NDR zufolge Anfang 2015 in der Region Oldenburg bei zwei verschiedenen Händlern erworben. Wer die Käufer sind, ob sie früher zur RAF gehörten und ob sie auch bei dem Überfall beteiligt waren, ist der Polizei ebenfalls nicht bekannt.

 

Für Hinweise auf die Täter hat die Geldtransport-Firma eine Belohnung von 10 000 Euro ausgesetzt. Weil bereits zwei Taten scheiterten, befürchtet die Polizei, dass die ehemaligen Terroristen, denen im Untergrund das Geld ausgegangen sein könnte, erneut eine ähnliche Tat begehen könnten.