Primark-Chef Krogmann: „Es können Fehler passieren“

Erstveröffentlicht: 
17.01.2016

Primark versetzt seine Kunden mit Billigpreisen oft in einen regelrechten Kaufrausch und gilt für manche als böse Fratze des Kapitalismus. Der Deutschland-Chef des irischen Textildiscounters, Wolfgang Krogmann, will im FR-Interview einiges richtigstellen.

 

Wer in Deutschland oder anderen Ländern eine Filiale von Primark sucht, muss nur in die Richtung gehen, aus der junge Leute mit riesigen braunen Papiertüten kommen. Der irische Textildiscounter versetzt seine Kunden mit Billigpreisen oft in einen regelrechten Kaufrausch. Das Unternehmen polarisiert stark. Es gilt wahlweise als cool oder als Inbegriff der bösen Fratze des Kapitalismus. Nordeuropa-Chef Wolfgang Krogmann will einiges richtigstellen.

 

Herr Krogmann, wir kommen gerade aus einer Primark-Filiale: Ein T-Shirt für 2,50 Euro, eine Jeans für 7,00 Euro, eine Winterjacke für 18,00 Euro. Wie können Sie diese günstigen Preise anbieten?

Wir schlagen weniger auf den Preis drauf als unsere Mitbewerber. Das können wir uns leisten, weil wir große Stückzahlen verkaufen und auf Zwischenhändler verzichten. Außerdem sind unsere Verwaltungsstrukturen extrem flach und effizient. Und wir verzichten auf Werbung außer bei der Neueröffnung von Stores. Das wird schon seit der Gründung des Unternehmens vor 47 Jahren so gehandhabt.

 

Große Stückzahlen verkauft Ihre Konkurrenz auch. Es liegt der Verdacht nahe, sie drücken beim Einkauf der Kleidung in Bangladesch oder Indien so stark die Preise, dass darunter die Arbeitsbedingungen für die Textilarbeiter leiden.
Sicherlich verhandeln unsere Einkäufer gute Preise. Das machen die Kollegen der Konkurrenz aber auch. Beim Einkauf haben wir also ähnliche Kosten. Zumal die Mitbewerber in denselben Ländern und zum Großteil in denselben Fabriken produzieren wie wir auch. Die Arbeiter und Näherinnen in Fernost erhalten die gleichen Löhne – ob sie für eine Nobelmarke produzieren oder für einen Fashion-Anbieter mit niedrigen Verkaufspreisen wie Primark.

 

Das beantwortet noch nicht die Frage nach den Produktionsbedingungen.
Wir haben selbst einen strengen Verhaltenskodex, der für alle Lieferanten verpflichtend ist. Er legt unter anderem fest, dass die Standards der Internationalen Arbeitsorganisation ILO eingehalten werden müssen. Dazu zählen beispielsweise das Verbot von Kinderarbeit, eine maximale Arbeitszeit pro Woche und die Bezahlung nach Tarif- beziehungsweise gesetzlichen Mindestlöhnen.

 

Das hört sich gut an. Aber wie kontrollieren Sie das?
Jedes Unternehmen, was uns beliefern möchte, wird von uns zunächst umfangreich geprüft. Das kann bis zu sechs Monate dauern. In der Folgezeit schicken wir angemeldet und unangemeldet Kontrolleure in die zugelassenen Firmen. Sie untersuchen, ob der Kodex tatsächlich eingehalten wird. Allein 2014 sind unsere Experten 2412 Mal in Fabriken gewesen. Seit dem schweren Unfall im Rana-Plaza-Komplex gehört in Bangladesch auch die Gebäudesicherheit zum Prüfprogramm.

 

Was passiert, wenn Sie einen Verstoß feststellen?
Dann geben wir unserem Lieferanten Zeit, den Mangel abzustellen. Wenn das in der gegebenen Frist nicht passiert, dann kündigen wir dem Lieferanten.

 

Das Problem ist häufig, dass der unmittelbare Lieferant zwar vielleicht eine vorbildliche Fabrikation vorweisen kann, Teile der Produktion aber regelmäßig an Subunternehmen vergeben werden, in denen katastrophale Arbeitsbedingungen herrschen. Wie verhindern Sie das?
Die Aufträge von Primark gehen nur an zugelassene Subunternehmen. Unsere Prüfer vor Ort kontrollieren genau, ob der Lieferant technisch und personell in der Lage ist, unsere Aufträge tatsächlich auch selbst auszuführen. Wir lassen uns zudem die gesamte Produktionsplanung zeigen um auszuschließen, dass die Produzenten uns austricksen. Das wird dann regelmäßig nachgeprüft. Aber ich möchte an dieser Stelle einmal ganz klar sagen: Gerade, weil wir in Entwicklungsländern produzieren, können Fehler passieren. Unsere Aufgabe ist es, diese Fehler zu finden und abzustellen. Wir arbeiten ausdrücklich nur mit den großen Firmen der besten Kategorie A zusammen, die gute Arbeitsbedingungen gewährleisten. C- und D-Fabriken können für Primark nicht produzieren.

 

Selbst dann, wenn Mindestlöhne gezahlt werden, reichen sie häufig nicht zum Überleben. In Bangladesch beträgt er lediglich um die 50 Euro pro Monat.
Das ist allerdings der Anfangslohn für einen ungelernten Arbeiter. Qualifizierte Beschäftigte bekommen mehr. Ohnehin können sie das Lohnniveau natürlich nicht mit dem in Europa vergleichen. Als ich zuletzt dort war, habe ich selbst recherchiert: Was kostet das tägliche Leben? Was kostet ein Kilo Reis? Dabei bin ich zu dem Schluss gekommen, dass der Wert des dortigen Mindestlohnes gemessen an den Lebenshaltungskosten durchaus mit dem des deutschen Mindestlohnes vergleichbar ist.

 

Sie versichern also Ihren Kunden, dass sie bei Primark mit einem ruhigen Gewissen ein T-Shirt für 2,50 Euro kaufen können?
Eindeutig ja. Sie können vorbehaltlos zugreifen.

 

Und es macht für die Arbeits- und Lebensbedingungen einer Näherin in Bangladesch, Indien oder China keinen Unterschied, ob ein Kunde ein T-Shirt bei Ihnen oder zum Beispiel bei Peek& Cloppenburg für 30 Euro kauft?
Genau so ist das.

 

Wenn alles in bester Ordnung ist, warum tritt Primark dann nicht dem deutschen Textilbündnis von Entwicklungsminister Gerd Müller bei?
Die Anforderungen dieses Bündnisses erfüllen wir heute schon. Wir sind auch in ständigem Kontakt mit dem Ministerium. Primark ist aber international aufgestellt, da wollen wir mehrere nationale Bündnisse vermeiden. Auch Kanzlerin Merkel hat auf dem G7-Gipfel im vergangenen Sommer betont, dass ein international abgestimmtes Vorgehen nötig sei. Dann gelten für alle Beteiligten die gleichen Spielregeln. Wir sind seit 2011 in die höchste Kategorie „Leader“ im Rahmen der internationalen Ethical Trade Initiative – das ist ein Zusammenschluss von Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und Herstellern – gewählt worden. Zu diesen fünf Prozent der führenden Unternehmen wird nur gerechnet, wer nachhaltig und engagiert dazu beiträgt, die sozialen und ökologischen Standards zu verbessern und dies nachweist. Das tun wir seit Jahrzehnten.

 

Ein Vorwurf an Sie lautet: Durch die billigen Preise machen Sie Textilien zu einem Wegwerfartikel. Einmal getragen, dann ab in den Mülleimer.
Ich bin Vater von drei Kindern. Wenn die ihre Sachen von Primark nach zwei Mal tragen wegwerfen würden, dann gäbe es aber richtig Ärger. Auch wenn unsere Produkte preiswert sind, so steckt in ihnen doch die Arbeit von Menschen. Damit muss respektvoll umgegangen werden. Hier geht es um Werte, die die Eltern ihren Kindern beibringen sollten. Es kann nicht sein, dass ein günstiger Preis als Rechtfertigung dafür dient, schneller und gedankenloser zu konsumieren.

 

Sie sehen sich also hier nicht in einer Verantwortung?
Nein. Der Vorwurf stimmt auch sachlich nicht. Analysen zeigen, dass viele unserer Kunden bei Besuchen in unseren Filialen nur wenige Kleidungsstücke kaufen. Sicher, wir haben auch die Kunden, die schwer bepackt aus der Filiale kommen. Das ist aber nicht die Regel.

 

Neben den niedrigen Preisen kommt Ihnen zugute, dass Primark – im Unterschied zu Textil-Discountern wie Kik – als cooler Laden gilt.
Wir haben das nicht gezielt gesteuert. Man kann natürlich versuchen, ein solches Image durch umfangreiche Werbekampagnen aufzubauen, wie zum Beispiel andere Markenfirmen das seit Jahrzehnten tun. Wir machen das aber wie gesagt nicht. Wir haben nur unsere Läden und die Produkte, und es sind die Kunden, die die Geschichten vom Einkauf bei Primark weitererzählen und unsere Mode präsentieren, im Freundeskreis oder auch in den sozialen Netzwerken wie Facebook, Pinterest oder Twitter.

 

Und darauf verlassen Sie sich?
Natürlich nicht allein. Unsere Einkäufer beobachten Märkte und Wettbewerber genau. Taktgeber sind auch die Musik- und die Filmbranche und das Internet. Und wir nehmen die Anregungen unserer Kunden ernst, mit denen wir uns austauschen. Wir können sehr schnell auf neue Trends reagieren, weil wir keine Kollektionen im klassischen Sinn anbieten. Jeden Tag kommen neue Produkte herein, die die Wünsche der Kunden widerspiegeln.

 

Dabei scheint es für Primark keine Wachstumsgrenzen zu geben.
Richtig ist, dass wir in den vergangenen Jahren in Deutschland schnell expandiert sind. Nach dem Start in Bremen 2009 hat Primark hierzulande weitere 18 Filialen eröffnet. Im April eröffnet in Leipzig der 20. Primark. Mannheim, Hamburg und Bonn werden folgen.

 

Warum betreiben Sie keinen Online-Handel?
Bei unserer Kostenstruktur rechnet sich das nicht. Das bedeutet aber nicht, dass wir im Internet nicht präsent wären. Wir zeigen mehr als zwei Drittel der Angebote auch online. Nur kaufen kann man sie dort nicht, dazu muss man in unsere Läden gehen. Sehr zum Wohlgefallen von Kommunalpolitikern übrigens.

 

Das müssen Sie erklären.
Unsere Filialen liegen in den Innenstädten und den wichtigsten Einkaufsgegenden. Davon profitieren benachbarte Geschäfte und damit auch die Kommunen. Wenn wir Interesse an einer neuen Niederlassung bekunden, werden wir von den Stadtoberen in der Regel mit offenen Armen empfangen.

 

Interview: Timot Szent-Ivanyi und Stefan Sauer