Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz steht wegen des NSU-Skandals in der Kritik. Stephan Kramer, Ex-Generalsekretär des Zentralrats der deutschen Juden, soll den Laden übernehmen.
Auf den muss man erst einmal kommen. "Sachen gibt es...", twitterte die
linke Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, als die Personalie in Erfurt
durchsickerte. Und wohlwollend fügte sie an: "Auch wenn ich den Laden
weiter auflösen will, bin ich gespannt." Der Laden ist das Thüringer
Landesamt für Verfassungsschutz, eine Behörde, die in den vergangenen
Jahren meist durch Skandale und Versagen aufgefallen ist, am
unrühmlichsten im Fall der Neonazimörderbande NSU, die sich in und um
Jena gebildet hatte. Nun hat sich Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke)
einen Neuen ausgeguckt: Stephan Kramer, der einstige Generalsekretär
des Zentralrats der deutschen Juden, soll den Laden übernehmen und auf
Vordermann bringen.
Seit mehr als drei Jahren gab es gar keinen Präsidenten mehr, Anfang des
Jahres wurde das Amt ins Innenministerium eingegliedert. Der letzte
Präsident, Thomas Sippel, war vom damaligen Innenminister Jörg Geibert
(CDU) im Juli 2012 in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden. Der
Thüringer Landtag hatte kein Vertrauen mehr in den Mann. Und nun soll
ein deutscher Jude demnächst zuständig für die Aufräumarbeiten in einer
von der NSU verursachten Trümmerlandschaft sein. Typisch Ramelow.
Werbung
Kramer war Anfang 2014 als Generalsekretär des Zentralrats
ausgeschieden. Der 1968 in Siegen in Nordrhein-Westfalen geborenen
Jurist und Volkswirt hatte das Amt mehr als zehn Jahre inne gehabt. Als
Erwachsener war er zum Judentum konvertiert. In seiner
Generalsekretärszeit fiel Kramer als Mitglied des Vereins für deutliche
Aussprache auf, wie es gerne heißt, wenn jemand Klartext redet und keine
Konfrontation scheut.
Ob Neonazis oder Salafisten, Kramer hat mehrfach mitgeteilt, wie wenig
er von den einen wie den anderen hält. Der neue Mann gilt nicht nur als
scharfzüngig, sondern auch als scharfsinnig. In Erfurt fragt man sich
deshalb in Regierungskreisen, auf wen die größere Herausforderung
wartet: auf den neuen Chef oder die ramponierte Behörde, die lange Jahre
mit Helmut Roewer eine Art Sonnenkönig zum Präsidenten hatte, der
Rotweinrunden im Büro abhielt, mit dem Fahrrad zu Demos fuhr, dort
selbst fotografierte, der oft barfuß herumlief oder auch als
Weltkrieg-Eins-General Erich Ludendorff verkleidet auffiel. Ein
langjähriger Geheimdienstmitarbeiter meinte, man könne ihn gar nicht für
voll nehmen.
Innere Sicherheit ist in Thüringen also ein politisches Minenfeld und
ewige Baustelle: Der amtierende Innenminister Holger Poppenhäger (SPD)
ist der zehnte seit 1990. Der AfD-Fraktion im Erfurter Landtag gefällt
der neue Geheimdienstchef überhaupt nicht. "Herr Kramer ist in der
Vergangenheit immer wieder als Scharfmacher aufgefallen, der sich durch
eine erkennbare Intoleranz gegenüber abweichenden politischen Meinungen
hervorgetan hat", kritisierte ihn der Abgeordnete Stefan Möller in der
Zeitung Junge Freiheit. Außerdem sei erkennbar, "dass er in Bezug auf
die AfD seine Affekte nicht im Griff hat".