Das OLG Karlsruhe hat entschieden, dass ein mutmaßliches Mitglied der spanischen Terrororganisation ETA an Frankreich überstellt werden darf. Frankreich begehrt die Auslieferung des 52 Jahre alten spanischen Staatsangehörigen auf der Grundlage von vier in Abwesenheit ergangenen Verurteilungen, durch die der Verfolgte zu insgesamt 17 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde.
Gegenstand dieser Verurteilungen ist der Vorwurf der Mitgliedschaft in der ETA zwischen 2000 und 2004, wobei dem Verfolgten auf französischem Staatsgebiet innerhalb der ETA die Aufgabe des Verantwortlichen des logistischen Arms für die elektronische Ausrüstung – auch zur Vorbereitung von Sprengstoffanschlägen – und die Fälschung von Dokumenten zugekommen sein soll. Bei der Festnahme des Verfolgten aufgrund in Frankreich ausgestellter Europäischer Haftbefehle am 31.10.2014 in Freiburg, wo der Verfolgte seit 2001 unter falschem Namen lebte, wurden in seiner Wohnungen zahlreiche Fälschungsutensilien, u.a. Stempel und Dokumentenvorlagen, sichergestellt. Bei der ETA (Abkürzung für "Euskadi Ta Askatasuna") handelt es sich nach der Beurteilung des Ermittlungsrichters des BGH um eine geheime, hierarchisch strukturierte Organisation, die mittels des bewaffneten Kampfes das Ziel der Unabhängigkeit des Baskenlandes vom Königreich Spanien verfolgt. Bei von ihrem militärischen Arm verübten Mord- und Sprengstoffanschlägen sind mehr als 800 Personen getötet worden.
Das OLG Karlsruhe hat entschieden, dass der Verfolgte an Frankreich überstellt werden darf.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts genügen die Auslieferungsersuchen in Gestalt von vier Europäischen Haftbefehlen in Verbindung mit weiteren im Lauf des Verfahrens vorgelegten Unterlagen den formellen und materiellen Anforderungen, die daran nach den Vorschriften des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) zu stellen sind. Entsprechend der im Auslieferungsrecht geltenden Grundsätze sei nicht zu prüfen gewesen, ob der von den französischen Behörden erhobene Tatvorwurf zutreffe. Auf der Grundlage einer europarechtlichen Regelung, wonach u.a. bei Terrorismus die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit entfalle, sei zudem nicht zu beurteilen gewesen, ob die dem Verfolgten vorgeworfenen Taten auch nach deutschem Recht strafbar seien.
Vom Verfolgten erhobene Einwendungen seien nicht durchgreifend. Nach eigener Prüfung sei das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Verfolgte, der Sohn einer deutschen Staatsangehörigen sei, selbst nicht die deutsche Staatsbürgerschaft erlangt habe. Dem Umstand, dass die Verurteilungen in Frankreich in Abwesenheit des Verfolgten ergingen, wurde dadurch Rechnung getragen, dass die Auslieferung – gemäß von den französischen Behörden abgegebener Zusicherungen – an die Bedingung geknüpft sei, dass der Verfolgte nach seiner Überstellung das Recht auf neue Gerichtsverfahren erhalte und dabei eine Strafe von nicht mehr als zehn Jahren verhängt werden dürfe.
Hinsichtlich der abschließend von der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe zu treffenden Entscheidung über die Bewilligung der Auslieferung stehe ein in Deutschland eingeleitetes Ermittlungsverfahren, das die Generalbundesanwaltschaft im Hinblick auf die Verfolgung in Frankreich einzustellen beabsichtige, einer Überstellung nicht entgegen, da der Durchführung des Strafverfahrens in Frankreich, auf dessen Staatsgebiet die Taten im Wesentlichen begangen wurden und wo sich die maßgeblichen Beweismittel befinden, Vorrang zukomme. Im Hinblick auf die sozialen Bindungen des Verfolgten in Deutschland müsse die Überstellung nach Frankreich jedoch mit dem Vorbehalt verbunden werden, dass der Verfolgte nach Beendigung des Strafverfahrens in Frankreich die Strafe in Deutschland verbüßen darf.
Quelle: Pressemitteilung des OLG Karlsruhe v. 17.11.2015