Am 15. April wurden in der BRD 7 Mitglieder des migrantischen Vereins „ATIK“* (Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa) verhaftet. Weitere 3 wurden in den folgenden Tagen in der Schweiz, Frankreich und in Griechenland verhaftet und in Auslieferungshaft gesperrt. Einer von ihnen ist bereits in die BRD ausgeliefert worden.
Den Gefangenen wird mit Hilfe der §§129 vorgeworfen Mitglieder der TKP/ML (Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch) zu sein.
Konkret wird ihnen vorgeworfen, dass sie Gelder gesammelt, die Aktivitäten der Organisation in der Türkei unterstützt und in Deutschland KämpferInnen für Rojava, einer selbstverwalteten Region in Kurdistan, ausgebildet haben sollen.
Die Verhaftungen reihen sich in eine Vielzahl von §129b Prozessen gegen die türkische/kurdische Linke ein, die seit der Einführung 2002 und dem ersten Prozess mit Hilfe des §129b gegen eine linke Organisation 2008 zunehmend angewendet werden. Bislang richtete sich die Repression vor allem gegen angebliche Mitglieder der DHKP-C oder der PKK. Mehr als 20 AktivistInnen wurden mit diesen Vorwürfen zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt. Mit den Verhaftungen im April ist nun auch die TKP/ML ins Fadenkreuz der Repression geraten, die bislang in der BRD weder verboten war noch auf den sog. Anti-Terror-Listen aufgeführt waren.
Die Haftbedingungen der Gefangenen
Die Gefangenen sind Isolationsbedingungen ausgesetzt. Das bedeutet, dass sie 23 Stunden in der Zelle eingesperrt sind und der Umgang mit anderen Gefangenen nicht oder nur beschränkt erlaubt wird. Teilweise werden den Gefangenen auch Zeitschriften und Bücher vorbehalten oder nicht ausgehändigt, meist mit der Behauptung, dass dies verboten sei.
Einige der Gefangenen, die sich teilweise im Rentenalter befinden, haben auch gesundheitliche Probleme, die durch die schlechte medizinische Versorgung im Knast oder durch die Isolation verursacht wurden oder durch die jahrelange Haft, die sie teilweise in der Türkei bereits hinter sich bringen mussten. Zum Beispiel war Müslüm Elma in der Türkei bereits 22 Jahre seines Lebens hinter Gittern.
Internationaler Kontext
Der jetzige Angriff auf ATIK steht im direkten Kontext der Zusammenarbeit der BRD mit dem türkischen AKP Regime, das jegliche linke Opposition zu unterdrücken versucht. Die Zusammenarbeit der BRD und der Türkei wird sich durch die sog. Flüchtlingskrise noch weiter verstärken.
Daher muss die Kriminalisierung türkischer und kurdischer Strukturen in der BRD auch vor dem Hintergrund der Situation in der Türkei betrachtet werden. Denn in der Türkei wird ein Krieg gegen die kurdische Bevölkerung und gegen die revolutionäre Linke geführt.
Veranstaltung im November – Solidarität aufbauen
Um einen Blick auf das Geschehene und die Hintergründe zu werfen organisiert das Solidaritätskomitee für die ATIK-Gefangenen Stuttgart eine Veranstaltung am 29. November 2015 mit Beiträgen
- zur aktuellen Situation in der Türkei
- zur politischen Tragweite der §§129
- zum Verfahren gegen die ATIK Gefangenen
Sonntag, 29. November, 14 Uhr
Altes Feuerwehrhaus
Am Erwin-Schöttle-Platz
Solidaritätskomitee für die ATIK Gefangenen Stuttgart
* ATIK ist eine Arbeiterorganisation von MigrantInnen, die nach der Zuwanderung von türkischen ArbeiterInnen entstand. Sie ist eine antiimperialistische, antifaschistische und antmilitaristische Organisation von türkischen GastarbeiterInnen verschiedener Nationalitäten im Kampf um Demokratie und Freiheit.
Kasten: Die §§129
Die §§129 stellen die Mitgliedschaft in einer als „kriminell“ oder „terroristisch“ eingestuften Organisation unter Strafe und werden vornehmlich gegen linke Strukturen angewendet. Die Vorwürfe legitimieren die Behörden zu umfangreichen Ermittlungsbefugnissen und Überwachungsmaßnahmen, wodurch die §§129 auch als Schnüffelparagraphen gelten, da es den Behörden ermöglicht Strukturen zu durchleuchten.
Die Wurzeln der Paragraphen liegen im späten 19. Jahrhundert und wurden bereits damals gegen Linke angewendet. In den 1950ern kam es zu tausenden von Verfahren und Verurteilungen mit Hilfe des §129 mit dessen Hilfe angebliche „kriminelle Vereinigungen“ verfolgt werden. Bis heute kommt dieser Vorwurf immer wieder zur Anwendung.
Der §129a, der die Mitgliedschaft in einer „terroristischen“ Vereinigung unter Strafe stellt wurde 1976 eingeführt. Mit diesem Vorwurf wurden die Ermittlungsbefugnisse einmal mehr ausgeweitet und drastische Maßnahmen legitimiert. Darunter auch Isolationshaft, die auch als weiße Folter bekannt ist. – 23 Stunden alleine in der Zelle, 1 Stunde Hofgang alleine.
Isolationshaft wird auch heute noch eingesetzt. Vor allem gegen die Gefangenen, die mit Hilfe des §129b eingesperrt sind, der die „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland“ unter Strafe stellt. Der §129b wurde 2002 im Rahmen des „Kampfes gegen den Terror“ verabschiedet, wurde aber lange Zeit zuvor bereits vorbereitet.