Affäre "Simon Brenner": Einsatz war endgültig rechtswidrig

Erstveröffentlicht: 
30.10.2015

Verdeckter Ermittler gegen Linke

 

hö. Der Einsatz eines Polizeibeamten als verdeckter Ermittler gegen die Antifa-Szene in Heidelberg war endgültig rechtswidrig. Gestern informierte das Verwaltungsgericht Karlsruhe darüber, dass die Begründung des Urteils vom 26. August nun vorliegt - und sie bestätigt in vollem Umfang die Rechtsauffassung der sieben "Bespitzelten". Vor fünf Jahren hatte ein als Germanistikstudent "Simon Brenner" getarnter Polizist des Landeskriminalamtes neun Monate lang die linke Szene in Heidelberg ausspioniert. Sechs ehemalige Freunde und Bekannte Brenners hatten später dagegen geklagt; ein Siebter sollte ganz explizit laut einer Einsatzanordnung der Polizei ausgehorcht werden. Für die Karlsruher Richter gab es für ein solches Vorgehen gegen alle sieben schlicht keine rechtliche Basis.

 


 

Hintergrund

Von Sandra Cartolano

Mittellange blonde Haare, Koteletten, sympathisches Gesicht - mit Spionen, wie man sie sich vorstellt, hatte der angebliche Heidelberger Germanistikstudent "Simon Brenner" auf den ersten Blick nichts gemein. Doch er bespitzelte im Jahr 2010 für das Landeskriminalamt neun Monate lang die linke Heidelberger Studentenszene. Und das offenbar zu Unrecht. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe gelangte am Mittwoch nach einer mündlichen Verhandlung zu der Auffassung, dass sein Einsatz wohl rechtswidrig war. Denn eine Gefahr für Recht und Ordnung ging von den Bespitzelten nicht aus.

Einen endgültigen Beschluss fasste das Gericht am Mittwoch noch nicht. Dazu seien weitere Beratungen nötig, sagte ein Sprecher. Aber aller Voraussicht nach werde der Klage stattgegeben. Die hatten sechs damalige Studenten eingereicht - einst Bekannte und Freunde von Brenner. Sie wollten erreichen, dass das Gericht den Einsatz rückwirkend als rechtswidrig einstuft. Dass Brenner ein Spion war, hatte keiner von ihnen vermutet.

In der Einsatzanordnung der Polizei von 2010 kamen die Sechs nicht vor, ganz anders als der siebte Kläger, Michael Dandl. Er war eine der vier Ziel- und Kontaktpersonen von Brenner, sollte also ausspioniert werden. Doch dafür konnte das Verwaltungsgericht am Mittwoch keinen eindeutigen Grund erkennen. Sie habe Probleme, eine konkrete Gefahr zu sehen, die von Dandl ausgegangen sein soll, sagte die Vorsitzende Richterin. Dass er Kontakt zu jemandem hatte, in dessen Keller Molotowcocktails gefunden worden waren, reiche nicht aus. Das Polizeipräsidium Mannheim, das im Prozess das Land Baden-Württemberg vertritt, begründete den Einsatz damit, politische Straftaten verhindern zu wollen.

Details wollte die Polizei auch auf Nachfrage des Gerichts nicht nennen. Und auch aus den Polizeiakten zum Spitzeleinsatz konnte es kaum etwas ableiten - die meisten Seiten waren zum Großteil geschwärzt, ein Teil der Akten lag gar nicht erst vor, aus "polizeitaktischen Gründen", wie es hieß. Auch wenn es berechtigte Gründe dafür gebe, die Nichtvorlage der Akten gehe zulasten der Beklagten, so die Vorsitzende Richterin.

Wen genau Brenner ausspioniert und was er dabei herausgefunden hat, konnte das Gericht nicht klären. Es schenkte aber den sechs ehemaligen Studenten Glauben, die nicht in der Einsatzanordnung auftauchten, aber dennoch nach eigenen Angaben bis ins Private von Brenner ausgeforscht wurden. Die Kläger, die Brenner nach seiner Enttarnung zur Rede stellten, sagten aus, er habe zugegeben, auch Daten über sie gesammelt zu haben. Er habe Datensätze über seine Bekannten angelegt und sie alle zwei Wochen weitergegeben. Es sei um politische und soziale Kontakte gegangen. Und sogar Wohnungsskizzen habe Brenner angefertigt. Die Polizei bestreitet dies.

Der Polizeispitzel habe von Hunderten Menschen im ganzen Bundesgebiet Daten gesammelt - nicht nur von Leuten aus dem linken Spektrum, sondern auch von ganz normalen Studenten und sogar von Eltern, sagt Dandl. Er vermutet, dass es Brenners Auftraggebern "um die Aufhellung der gesamten linken Szene" gegangen sei.

 


 

Hintergrund

 

Karlsruhe. (dpa-lsw) Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Polizeispitzels der Heidelberger Studentenszene vor fünf Jahren angedeutet. Sie habe Schwierigkeiten, die konkrete Gefahr zu sehen, die von einer der beiden Zielpersonen ausgegangen sein soll, sagte die Vorsitzende Richterin Anna Mayer am Mittwoch. Die konkrete Gefahr einer Straftat mit erheblicher Bedeutung sei aber Voraussetzung für den Einsatz eines verdeckten Ermittlers der Polizei.

 

Das Gericht prüft, ob der Einsatz des verdeckten Ermittlers des Landeskriminalamts (LKA) vor fünf Jahren rechtmäßig war. Geklagt haben sieben Menschen, die möglicherweise von ihm bespitzelt worden waren. Nach Angaben eines Arbeitskreises, der sich zu ihrer Unterstützung gegründet hat, soll der Mann mit dem Decknamen «Simon Brenner» neun Monate lang die politisch aktive studentische und linke Szene Heidelbergs ausspioniert haben. Er war im Dezember 2010 enttarnt worden, nachdem eine Urlaubsbekanntschaft den vermeintlichen Germanistikstudenten auf einer Party als Polizisten erkannt hatte.

 


 

Hintergrund

 

Von Holger Buchwald

 

Fünf Jahre ist es her, dass "Simon Brenner" als verdeckter Ermittler des Landeskriminalamts enttarnt wurde. Doch noch immer schlägt der "Heidelberger Spitzelskandal" hohe Wellen. Am 26. August kommt es nun zum Prozess vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe. Der Einsatz sei rechtswidrig gewesen, behaupten die sieben Kläger aus der "linken Szene" Heidelbergs. Sie wollen, dass die Karlsruher Richter das bestätigen.

 

Im Vorfeld der Gerichtsverhandlung positioniert sich der Studierendenrat der Uni Heidelberg (Stura). Der Einsatz von "Simon Brenner" sei unverhältnismäßig, ein "Akt staatlicher Überwachung sowie ein "Angriff auf die Autonomie der Universität" gewesen. Faktisch habe es sich um eine Überwachung aller Heidelberger Studenten gehandelt. Der Stura-Referent für Politische Bildung, Alexander Hummel, betont, wie wichtig das Thema sei: "In der Folge des Einsatzes wurde eine Abhörwanze im Büro der Heidelberger Studierendenvertretung gefunden. Unter anderem deshalb mussten wir uns äußern.". Stura-Vorsitzender Tenko Glenn Bauer verweist auf eine lange Liste an ungeklärten Fragen: "Wer war alles vom Einsatz betroffen? Gab es weitere Spitzel in Heidelberg oder in anderen Unistädten?"

 

"Simon Brenner" hatte sich im November 2009 als angehender Student bei einem Infostand des Sozialistisch-Demokratischen Studierendenverbands (SDS), der Hochschulgruppe der Partei "Die Linke", vorgestellt. Danach engagierte er sich in verschiedenen Hochschulgruppen. "Der Verdeckte Ermittler schlich sich auch in das Privatleben der überwachten Personen, indem er mit ihnen Geburtstage feierte oder ihre Elternhäuser besuchte", heißt es dazu in einer Pressemitteilung des Stura.

 

Beklagter des Verfahrens ist das Land Baden-Württemberg. Der damalige Innenminister Heribert Rech hatte den Einsatz damit gerechtfertigt, dass es im Zusammenhang mit einer antifaschistischen Demo in Sinsheim Hinweise für einen Brandanschlag aus der "linken Szene" gegeben habe. Der "Arbeitskreis Spitzelklage" wies diese Anschuldigung jedoch stets zurück. Laut einer Sprecherin des Verwaltungsgerichts sind die Hürden für eine Feststellungsklage sehr hoch. Vor allem, wenn ein früheres, bereits abgeschlossenes Ereignis als rechtswidrig erkannt werden soll: "Dies geht nur, wenn Grundrechte verletzt wurden." Die Kläger berufen sich in diesem Fall auf die Versammlungsfreiheit, die sie ohne staatliche Beobachtung ausüben wollen. Vor allem geht es ihnen aber um Aufklärung.

 

Eine Aufarbeitung des Falls ist erst jetzt möglich, da das Innenministerium große Teile der Akte als geheim einstufte und schwärzen ließ. Ein Zwischenverfahren zog sich in die Länge und ging bis zum Bundesverwaltungsgericht. Inzwischen sind größere Teile der Akte freigegeben. Der Prozess beginnt am 26. August um 10 Uhr im Verwaltungsgericht Karlsruhe, Nördliche Hildapromenade 1.