Der Plan klang vielversprechend: Um personelle Lücken bei der Polizei zu schließen, sollten ältere Beamte ihre Dienstzeit verlängern – bis der Nachwuchs ausgebildet ist. Die Realität ist allerdings: Kaum ein sächsischer Polizeibeamter will seine Pensionierung hinausschieben. Innenminister Markus Ulbig (CDU) geht deshalb jetzt noch einmal Klinken putzen.
Dresden. Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) beißt bei älteren Polizisten auf Granit: Nur wenige Beamte wollen das Angebot, ihren Ruhestand noch ein paar Jahre hinauszuschieben, annehmen. Laut Haushaltsplan für 2015/2016 könnten insgesamt 177 Polizisten bleiben – bislang konnten allerdings erst 19 für eine längere Dienstzeit gewonnen werden, darunter acht in der Polizeidirektion Leipzig. Wie kritisch die Lage ist, zeigt auch dies: Ulbig hat die Polizeipräsidenten des Freistaates vor kurzem höchstselbst gebeten, noch einmal auf ihre älteren Bediensteten entsprechend einzuwirken.
Die späteren Pensionierungen sollen helfen, die immer offensichtlicher werdenden personellen Lücken zu schließen. Das Innenministerium erklärt gegenüber der LVZ: „Das Hinausschieben des Ruhestands dient einerseits des Erhalts von Erfahrungswissen und Spezialkenntnissen einschließlich der Einarbeitung neuer Bediensteter ... sowie andererseits der Sicherstellung der polizeilichen Präsenz vor dem Hintergrund der Zunahme der Aufgaben“. Auf diesem Weg solle „eine Verzögerung des nominellen Stellenabbaus erfolgen“ – so klar wurde der Mangel bislang öffentlich noch nicht formuliert. Auf die Regelung zur Ruhestandsverschiebung hatte sich die schwarz-rote Koalition im Frühjahr in ihrer Not geeinigt.
Die Zurückhaltung seiner Kollegen wundert den Sachsenchef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Hagen Husgen, überhaupt nicht: „Ein Polizeibeamter ist mit 60 Jahren nahezu am Ende. Und: Wir wurden jahrelang nur in den Hintern getreten – weshalb sollten die Beamten ausgerechnet jetzt dem Freistaat etwas zurückgeben?“ Damit spielt Husgen unter anderem auf die Streichung des Weihnachtsgeldes seit 2011 an, zudem auf hohe Überstundenzahlen und Krankenstände. „Wenn die Staatsregierung einen finanziellen Anreiz geben würde, könnte es sein, dass sich einige Kollegen mehr entschließen, ihren wohlverdienten Ruhestand für ein oder zwei Jahre zu verschieben“, meint der GdP-Landesvorsitzende, „doch in Sachsen muss immer alles billig sein, wird sich lieber kaputt gespart.“ Der Linken-Innenexperte Enrico Stange erklärt: „Dem Willen der Koalition stehen offenbar fachliche Gründe wie Belastbarkeit und spezielle Dienstfähigkeiten entgegen. Deshalb wird auch die nachdrückliche Bitte an die Polizeipräsidenten nur bedingten Erfolg haben.“
Nicht nur die Gewerkschaft, auch die Parteien jenseits der CDU weisen seit Jahren auf den Altersschwund sowie die unzureichenden Neubesetzungen bei der Polizei hin. Denn trotz der von Schwarz-Rot beschlossenen Anhebung der Einstellungen von 300 auf 400 junge Beamte steht der Polizei ein Schrumpfkurs bevor: Im Schnitt fallen pro Jahr rund 50 Stellen dem Rotstift zum Opfer, bis 2025 sind es etwa 450. Allein in diesem und im nächsten Jahr verlassen 682 Beamte die sächsische Polizei, während die Nachrücker noch ausgebildet werden müssen, ergab eine Kleine Anfrage von Stange an die Staatsregierung. Sein Fazit lautet: „Die Gesamtpersonalfrage kann nur durch eine sofortige deutliche Öffnung des Einstellungskorridors auf mindestens 600 Anwärter gelöst werden.“ Kritik verlautet ebenso von der mitregierenden SPD. Die sächsische Polizei sei überaltert und überlastet, erklärt deren Innenpolitikerin Sabine Friedel.
Bis zum Jahresende soll die Fachkommission zur Evaluierung der Polizei, die nach heftiger Kritik in diesem Jahr eingesetzt worden war, ihre Ergebnisse vorlegen. „Rechtzeitig, dass sie noch in die Verhandlungen zum neuen Doppelhaushalt 2017/2018 einfließen“, so das Innenministerium. Ulbig selbst hat vor kurzem ein eindeutiges Signal gesendet. Während der Minister bislang stets betonte, die Untersuchung der Kommission abwarten zu wollen, lautet sein Tenor neuerdings: „Die Zielzahl kann nur nach oben gehen.“
Weil kurzfristige Lösungen nicht in Sicht sind, hatte sich die Koalition – nach einer Intervention der SPD – im Frühjahr auf eine erweiterte Ruhestandsregelung geeinigt. Wie bei der Rente erfolgt auch bei Polizisten zurzeit eine Altersanpassung; je nach Laufbahn wird derzeit mit etwa 60,5 Jahren beziehungsweise 62,5 Jahren in Pension gegangen. „Außergewöhnliche Umstände können außergewöhnliche Maßnahmen verlangen“, zeigt selbst der GdP-Landeschef Verständnis – „doch so, wie die Staatsregierung handelt, geht es überhaupt nicht“. Dabei wäre eine spätere Pensionierung für beide Seiten reizvoll. Für den Freistaat hieße das: Während der Nachwuchs noch ausgebildet wird, füllen ältere Kollegen die Lücke. Andererseits könnten vor allem Ost-Beamte, deren DDR-Dienstjahre nicht auf die Pension angerechnet werden, von einer längeren Anstellung profitieren.