Dresden: Tausende bei Demos am Montag erwartet
Dresden. Ein Jahr Pegida - zur Kundgebung am Montag in Dresden bereitet sich die Polizei auf einen Großeinsatz vor. Sie rechnet angesichts der überregionalen Mobilisierung von Anhängern und Gegnern der fremdenfeindlichen Bewegung mit Zehntausenden Demonstranten. Polizeipräsident Dieter Kroll forderte alle auf, durch Besonnenheit und eigenes Beispiel dafür zu sorgen, dass die Aktionen gewaltfrei bleiben.
Unter dem Motto "Herz statt Hetze" riefen Parteien, Gewerkschaften,
Vereine und Initiativen zu Demonstrationen gegen Pegida in Dresden auf.
Alle hätten das Interesse, "diesen ersten Jahrestag der Pegida-Bewegung
so zu gestalten, dass er für Pegida kein Erfolg wird", sagte Silvio Lang
vom Bündnis Dresden Nazifrei gestern. "Wir möchten unsere Innenstadt
mit Menschen füllen, für die Menschenwürde und Empathie keine leeren
Worte sind", meinte Rita Kunert, die selbst einen von fünf Sternläufen
gegen die fremden- und islamfeindliche Bewegung angemeldet hat.
Die
Pegida-Gegner wollen mit kräftigem Protest in Sicht- und Hörweite
reagieren. "Das ist auch Ziel, dass wir uns dort einfinden und Pegida
lautstark klar machen, dass es uns nicht passt, dass sie dort stehen",
sagte Kunert. Dabei gehe es nicht darum, Pegida zahlenmäßig zu
überbieten. "Wir werden auf alle Fälle vierstellig, wenn es fünfstellig
wird, wäre das sehr schön." Angemeldet sind nach ihren Angaben 5000
Teilnehmer. Pegida hatte am vorigen Montag geschätzt 9000 Menschen vor
der Semperoper zusammengebracht.
"Wir müssen das aushalten"
Ein Jahr Pegida - Interview mit Frank Richter, Chef der Landeszentrale für politische Bildung
Dresden. Vor einem Jahr begannen die selbsternannten "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) mit ihren "Abendspaziergängen" in Dresden. Zum Jahrestag der ersten Demonstration werden am Montag Tausende Anhänger der Pegida- und Anti-Pegida-Bewegung in der Landeshauptstadt erwartet. Wir sprachen dazu mit dem Direktor der Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter (55). Er gehörte zu denen, die von Beginn an auf Dialog mit Pegida-Anhängern setzten.
Am Montag werden wahrscheinlich viele Tausende Menschen
auf der Straße sein, demonstrieren oder protestieren. Was machen Sie an
diesem Tag?
Ich habe einen normalen Arbeitstag. Ansonsten hoffe ich, dass die politische Auseinandersetzung gewaltfrei statt- findet.
Ein Jahr Pegida - woran denken Sie da?
Ich sehe sehr viel Anlass zur Nachdenklichkeit. Ich frage mich, ob und
wie unser demokratisches Gemeinwesen die derzeitigen Probleme bewältigt
und wie es in Dresden gelingen kann, den Prozess der Eskalation
anzuhalten und in die Deeskalation einzutreten.
Ist die Situation tatsächlich so bedenklich, dass für Sie in Frage steht, ob die Demokratie das aushält?
Mir begegnen Menschen in Veranstaltungen, in der Kommunikation im
Internet und in persönlichen Gesprächen, die unser politisches und
gesellschaftliches System entweder grundsätzlich ablehnen, ihm
misstrauen oder es nicht verstehen. Das ist alarmierend, auch wenn es
sich nur um eine Minderheit handelt. Äußerlich ist alles in Ordnung, die
Demokratie ist etabliert, wir können frei wählen, die Institutionen des
Staates funktionieren besser als anderswo, die Gewaltenteilung
existiert. Innerlich jedoch haben einige die Ratifikation der
repräsentativen und parlamentarischen Demokratie noch nicht vollzogen.
Sie haben frühzeitig auf Dialog mit den demonstrierenden Menschen gesetzt. Betrachten Sie das als gescheitert?
Es gab viele Personen und Institutionen, die sich um den Dialog bemüht
haben. Ein Scheitern hätte konstatiert werden müssen, wenn das
angestrebte Ziel nicht erreicht worden wäre. Was war das Ziel? Es
bestand Ende 2014/Anfang 2015 darin, die vielen Zehntausenden Menschen -
der Scheitelpunkt lag bei 25000 Demonstranten -, die sich verweigerten,
zur Diskussion zu bewegen, das Schweigen zu überwinden und der Gefahr
einer Radikalisierung entgegenzuwirken. Dieses Ziel wurde erreicht. Ich
erinnere daran, dass die Demons- tranten im Spätherbst 2014 pauschal
als "Schande für Deutschland" oder als "Nazis im Nadelstreifen"
bezeichnet wurden. Nach einer ersten Phase, die man als Phase der
Politisierung bezeichnen könnte, erfolgte eine Differenzierung. Es kam
zu Abspaltungen und zu einem zahlenmäßigen Schwund der Teilnehmer; ich
glaube auf bis zu knapp 1500.
Warum steigen die Zahlen jetzt wieder an?
Der Anstieg steht im Zusammenhang mit dem starken Anstieg der
Flüchtlingszahlen und geht einher mit einer von vielen beobachteten
Radikalisierung.
Wie soll das Misstrauen dieser Menschen überwunden werden?
Wir sollten um jeden einzelnen kämpfen, wir werden aber nicht alle
gewinnen. Es gibt einen harten Kern an Rechtsextremisten, die weder
Demokratie noch Dialog wollen. Es geht um die anderen. Das Angebot zum
Dialog endet dort, wo das Strafrecht beginnt: bei Rassismus,
Volksverhetzung, bei Aufforderungen zu Straf- und Gewalttaten... Bis
dahin herrscht Meinungsfreiheit. So ist es nun mal in unserer
Rechtsordnung. Die Demokratie setzt auf Freiheit und Verantwortung und
sucht im offenen Diskurs den gemeinsamen Weg.
Sehen Sie den harten Kern nur auf der Tribüne oder auch im Publikum?
Meine Einschätzung entspringt den Erfahrungen aus Bürgerversammlungen,
aus der Korrespondenz mit etwa 500 Personen, die sich zum Teil als
Pegida-Sympathisanten zu erkennen gaben, und aus wissenschaftlichen
Studien. In der Tat, es gibt eine kleine Gruppe von Bürgern, die sich
ein anderes Deutschland wünschen, die nationalistisch denken, die die
Aus- einandersetzung mit dem Nationalsozialismus als unwichtig oder
erledigt betrachten oder gar keine Distanz zu ihm erkennen lassen. Wie
viele sich davon nicht nur auf der Tribüne, sondern auch im Publikum
befinden, kann ich nicht sagen. Extre-mismusforscher sagen, dass es
immer und überall Menschen gibt, die sich totalitäre Strukturen
wünschen.
Warum finden viele keine andere politische Adresse als Pegida?
Weil sie keine andere Adresse suchen, weil sie nicht abgeholt werden
oder das Vertrauen zu anderen politischen Akteuren verloren haben.
Wie soll mit dem Phänomen Pegida weiter umgegangen werden?
Wir müssen das aushalten und ihm in demokratischer Weise begegnen! Die
politischen Themen gehören in den offenen Diskurs. Dieser wurde meines
Erachtens von manchen Politikern und auch von Bürgern zu defensiv
geführt. Dort, wo wir der Debatte aus dem Weg gehen, gerät diese in die
Hände von Extremisten. Ich sehe vier Aufgaben: Erstens: Klarmachen,
dass Deutschland ein humanitärer Staat ist. Flüchtlinge werden
menschenwürdig behandelt, ohne Wenn und Aber. Zweitens: Flucht und Asyl
müssen geordnet werden - europäisch, national, auf Ebene des Landes und
kommunal. Der Eindruck, dass das Geschehen ungeordnet abläuft, ist
Wasser auf die Mühlen der Rechts- extremisten. Drittens: offensive
Kommunikation der Probleme und Viertens: Klarheit über das, was
rechtsstaat- lich erlaubt ist und was nicht.
Ist die Krise bewältigt, wenn die Leute nicht mehr auf der Straße stehen?
Nein, wenn Menschen auf die Straße gehen, wenn sie friedlich und
gewaltfrei demonstrieren, dann ist das nicht kritisch. Das ist in der
Demokratie ausdrücklich so vorgesehen. Ich finde es kritisch, dass
Menschen, die vernünftige politische Fragen stellen, die nicht hetzen
und Gewalt ablehnen auf Dauer keine andere politische Heimat finden als
die Straße. Die pauschale Beschimpfung derer, die montags demonstrieren,
hilft nicht weiter. Die Abgrenzung von denen, die Stimmung machen gegen
Menschen, die hetzen und Aggressivität schüren, ist notwendig. Dass
diese Differenzierung nicht einfach ist, ist doch klar. Aber deswegen
können wir sie ja nicht aufgeben, ich jedenfalls nicht.