Konfrontation der Weltmächte

Erstveröffentlicht: 
16.10.2015

Von Arnold Hottinger, 16.10.2015 - Der Stellvertreterkrieg in Syrien schreitet immer weiter voran. - Die russische Intervention in Syrien hat dazu geführt, dass die Amerikaner ihrerseits ihr Verhalten in Syrien modifizierten. Obama selbst hat erklärt, das bisherige Programm, syrische Freiwillige für den Kampf gegen den IS auszubilden, sei beendet.

Geringe Motivation

 

Dieses Programm hatte versagt. Einer der wichtigsten Gründe dafür war, dass die syrischen Kämpfer in erster Linie gegen Asad kämpfen wollten, nicht gegen den IS. Das beeinträchtigte die Motivation der ohnehin kleinen Zahl der Freiwillen.

 

Obama kündigte auch eine neue Aktivität der USA an. Zukünftig, so sagte er, würden die Amerikaner dafür sorgen, dass bestehende Kampfgruppen in Syrien, die als vertrauenswürdig eingestuft werden könnten, mehr Waffen erhalten. Kurz nach diesen Ankündigungen und angesichts der gegenwärtigen Offensive der syrischen Armee, die von den russischen Luftangriffen unterstützt wird, meldete das Pentagon, Flugzeuge der amerikanischen Koalition hätten Munition und Waffen für die syrischen Kämpfer abgeworfen "die im Abwehrkampf gegen den IS stehen". Den Abwehrkampf gegen die syrische Armee und gegen die Russen erwähnte der Sprecher des Pentagons natürlich nicht.

 

Stärkung des IS

 

Der IS hat in der Tat im Raum nördlich von Aleppo eine Offensive begonnen, die sich gegen die Rebellengruppen richtet, welche dort bisher dem IS erfolgreich Widerstand geleistet hatten. Die Luftangriffe haben sie geschwächt. Die Rebellen weisen darauf hin, dass die russischen Luftangriffe - jedenfalls in ihrem Kampfsektor – de facto den IS stärken.

 

In diesem Bereich, nördlich von Aleppo, geht es darum, ob der Widerstand gegen Asad, der nach wie vor in Teilen von Aleppo kämpft, die Verbindung zur türkischen Grenze aufrecht erhalten kann, oder ob er sie an den IS verliert. Wenn die Verbindung nach Norden endgültig vom IS abgeschnitten wird, müssen die nicht zum IS gehörigen Kampfgruppen in Aleppo damit rechnen, langsam zermürbt zu werden.

 

Offensive der syrischen Armee

 

Die syrische Armee hat ihrerseits nach dem Eingriff der Russen sowohl im Norden der Provinz Idlib wie auch an deren Südgrenze die Offensive ergriffen. Dabei geht es zunächst darum, den Druck zu mindern, den die Rebellen auf die zentrale Provinz des alawitisch gestützten Regimes, Lattakiya, ausübten. Die Rebellenfraktion, die diesen Druck bisher ausgeübt hatte, steht unter dem Namen Dschaisch al-Fatah, Armee der Eroberung.

 

Diese Armee ist eine Allianz, deren wichtigster Bestandteil die Nusra Front sein dürfte, die jedoch auch andere zahlenmässig grosse Formationen von "salafistischen" Kämpfern umfasst, welche ihrerseits die Unterstützung Saudi Arabiens und anderer Golfstaaten erhalten. "Salafistisch" bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sie ebenfalls einen "Islamischen Staat" für Syrien anstreben, in dem das Gottesgesetz gelten soll, so wie es die saudischen Wahhabiten verstehen und wie es der saudische Staat seinerseits durchsetzen will.

 

Verzweifelte Lage

 

Dass die Kämpfer des "Heers der Eroberung" Unterstützung aus Saudi Arabien erhalten, ist unbestritten. Was man jedoch vermuten kann, aber nicht sicher weiss, ist, dass den Saudis, die diese Waffen ja nicht selbst fabrizieren, das technisch hoch entwickelte Kriegsgerät von den USA zugespielt wird. Dies dürfte über die CIA geregelt werden und bleibt daher geheim.

 

Die syrische Armee ist in ihrer Offensive bis nah an jene Strasse vorgedrungen, die Homs mit Hama verbindet. In einigen Dörfern nördlich von Homs stehen nach wie vor Einheiten der Rebellen, und der syrische Angriff zielt nun darauf, diese zu vernichten, um die Verbindung nach Norden, in Richtung Hama und dann bis nach Aleppo, freizukämpfen. Die Rebellen leisten noch Widerstand, doch ihre Anführer sagen, die Lage sei verzweifelt, da sie unter schwerem Druck durch die russischen Luftschläge und durch den Angriff der syrischen Armee stünden. Diese werde nicht nur durch Kämpfer von Hizbullah verstärkt, sondern auch durch iranische Soldaten.

 

Russische gegen amerikanische Waffen

 

Die Ankunft iranischer Soldaten - anscheinend 1500 an der Zahl – wird von verschiedenen lokalen Quellen gemeldet. Iran hat sie dementiert. Doch der Sprecher der iranischen Sicherheitskommission des iranischen Parlamentes, Ala ad-Din Boroujerdi, erklärte bei einem Besuch in Damaskus, wenn Syrien iranische Truppen anfordere, werde Iran dies in Betracht ziehen.

 

Die gegenwärtigen Kämpfe um Positionen am nördlichen und am südlichen Zugang nach Lattakiya und an der Verbindungsstrasse von Homs nach Norden werden als die härtesten Kämpfe beschrieben, die es seit langem in dem syrischen Bürgerkrieg gab. In ihnen stehen sich die syrische Armee und die Kämpfer des "Eroberungsheeres" gegenüber. Das heisst Kräfte, die Waffen gebrauchen, die ihnen offiziell von Russland geliefert wurden und die Luftunterstützung durch die russischen Kampfflugzeuge erhalten, gegenüber Kräften, die offiziös von Saudi Arabien gestützt werden und inoffiziell amerikanische Waffen erhalten.

 

Verschleierter Stellvertreterkrieg

 

Gleichzeitig stehen die Russen und die Amerikaner auf der militärischen Ebene in Kontakt, um zu vermeiden, dass sich ihre Luftstreitkräfte über Syrien gegenseitig bekämpfen. Es besteht also de facto ein Stellvertreterkrieg in Syrien. Er wird jedoch dadurch kaschiert, dass die Amerikaner und ihre Verbündeten nicht offiziell als Waffenlieferanten der anti-russischen Seite auftreten, sondern ihre Waffen inoffiziell ins Gefecht bringen.

 

Auch die Russen gebrauchen eine dünne und fadenscheinige Bemäntelung, indem sie behaupten, sie bekämpften den IS, obwohl sie in Wirklichkeit gegen alle Feinde Asads vorgehen, und zwar, wie es naheliegend ist, gegen die für Asad gefährlichsten zuerst. Diese Gruppen sind zur Zeit nicht jene "des Kalifates", sondern jene, die von den Saudis und indirekt von den Amerikanern Unterstützung erhalten.

 

Diese Verschleierungen auf beiden Seiten, so durchsichtig sie auch sind, dienen dazu, zu vermeiden, dass die beiden Grossmächte offen gegeneinander antreten. Käme es dazu, bestünde die akute Gefahr, dass sie, um nicht ihr Gesicht zu verlieren, den Krieg nach und nach eskalieren, möglicherweise unaufhaltsam bis zu einer weltumfassenden und weltzerstörenden Konfrontation.