Am 2. Oktober 2015 fand vor dem Amtsgericht Heilbronn der Prozess gegen eine Heilbronner Gewerkschaftssekretärin statt. Ihr wurde vorgeworfen, am 8. März 2014 im Rahmen der Proteste gegen eine Kundgebung der NPD-Jugendorganisation „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) gegen das Versammlungsgesetz verstoßen zu haben. Mehrere hundert Menschen hatten an diesem Tag die Nazis auf dem Berliner Platz umzingelt und die rechte Hetze mit Trillerpfeifen und Sprechchören übertönt. Das Verfahren gegen die verdi-Sekretärin wurde nach der Vernehmung von vier Zeugen nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt. Über 50 Menschen begleiteten die Angeklagte.
Solidarität vor und im Gericht
Im Vorfeld des
Prozesses hatten unterschiedliche Initiativen, Politiker*innen,
Gewerkschaftssekretär*innen und Einzelpersonen ihre Solidarität mit der
Gewerkschaftsaktivistin zum Ausdruck gebracht und den Aufruf zur Prozessbeobachtung der Roten Hilfe Heilbronn
unterstützt. Auf einer Kundgebung vor dem Amtsgericht fanden sich mehr
als 50 Menschen ein. Sie machten deutlich, dass engagierter
Antifaschismus kein Verbrechen ist. Vertreter*innen der Gewerkschaft
ver.di, der Partei DIE LINKE und der Organisierten Linken Heilbronn (OL)
wiesen in ihren Redebeiträgen den Versuch, den aktiven Widerstand gegen
die Nazis am 8. März 2014 im Nachhinein zu kriminalisieren, zurück.
Trotz der angekündigten Unterstützung und der angemeldeten
Solidaritätskundgebung hatte das Amtsgericht für die Verhandlung einen
Raum mit lediglich 15 Sitzplätzen vorgesehen. Wie bereits bei anderen
Prozessen gegen antifaschistische Aktivist*innen in Heilbronn verzögerte
sich der Prozessbeginn deshalb, bis ein größerer Raum gefunden wurde.
Zeuge vom Ordnungsamt
Der
Staatsanwalt Harald Lustig wies zunächst darauf hin, dass im Vorfeld
ein Schreiben an die Angeklagte gegangen sei, wonach das Verfahren nach §
153 a StPO gegen Zahlung einer Geldbuße von 250 € eingestellt werden
könne. Die Verteidigung lehnte dies ab und plädierte dafür, die Zeugen
anzuhören, um den Sachverhalt klären zu können. Geladen war neben drei
Polizeibeamten auch ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes Heilbronn.
Eineinhalb Jahre nach dem "Tattag" stellte sich die Befragung allerdings
als wenig aufschlussreich dar. Der Mitarbeiter des Ordnungsamtes
erinnerte sich daran, am 8. März 2014 im Fahrzeug des Polizeiführers auf
der Allee unterwegs gewesen zu sein. Es sei dann eine spontane
Demonstration von Nazigegner*innen hinter einem "sehr bunten"
Transparent des Bündnisses "Heilbronn stellt sich quer" über die Allee
Richtung Berliner Platz gezogen. Die angeklagte Gewerkschaftssekretärin
sei mit anderen Personen an der Spitze des Demozuges gelaufen. Der
Ordnungshüter schilderte, wie er mit zwei Polizeibeamten aus dem
Polizeiauto ausstieg und auf die Spontandemo zuging. Dort hätte sich
dann nur die Angeklagte gesprächsbereit gezeigt und angegeben, eine
spontane Demonstration anmelden zu wollen. Am Berliner Platz hätten sich
die Antifaschist*innen dann an den Polizeigittern vor dem
Kundgebungsplatz der Nazis aufgestellt. Da im Internet vor der
Nazikundgebung zu Protesten aufgerufen worden sei, sei dies aus seiner
Sicht "keine Spontanversammlung", sagte der Zeuge vom Ordnungsamt.
"Sie sind über eine rote Ampel gegangen"
Ein
ebenfalls als Zeuge geladener 27-jähriger Polizeikommissar aus
Heilbronn und seine Eppinger Kollegin bestätigten diesen Verlauf im
Großen und Ganzen. 20-30 Personen hätten die Allee "bei roter Ampel" mit
einem Transparent überquert. Widersprüchlich blieb allerdings, um was
es in dem Gespräch mit dem Ordnungsamtsmitarbeiter gegangen war. Ging es
darum, am Berliner Platz eine spontane Versammlung anzumelden oder
übernahm die Gewerkschaftssekretärin die Verantwortung beim Marsch auf
der Allee? Das ließ sich nicht klären. Der Rechtsanwalt der Angeklagten
stellte bei der Zeugenvernehmung fest, dass ein von der Polizistin
mitgebrachter Vermerk in den Akten fehlte. Er wurde von der Richterin
verlesen und zu den Akten gegeben. So oder so galt die Angeklagte den
Beamten als "Rädelsführerin". Die Eppinger Polizistin, die am 8. März
2014 als Assistentin des Polizeiführers agiert hatte, wusste immerhin
etwas über das Bündnis "Heilbronn stellt sich quer" zu berichten. Das
habe in den "Planungsvorbereitungen" eine Rolle gespielt und sei ein
"breites Bündnis", das sich in diesem "Käthchen oder wie es heisst in
der Wollhaustraße" treffe - offensichtlich meinte die aufmerksame
Beamtin das "Soziale Zentrum Käthe".
Staatsschützer: Polizei scheitert an linksunten.indymedia.org
Auch
Stefan R., ein 46 jähriger Kriminalkommissar vom Heilbronner
Staatsschutz, präsentierte Erkenntnisse über "Heilbronn stellt sich
quer" und das "Soziale Zentrum Käthe". Das Bündnis agiere "seit geraumer
Zeit" und versuche "die Rechten zu behindern". "Es ist aber nicht so,
dass ich sagen muss, ich habe ständig Probleme mit Heilbronn stellt sich
quer", meinte der Sachbearbeiter. Am "Sozialen Zentrum Käthe" seien
"verschiedene Leute und Gruppen" beteiligt. Als ihn der Staatsanwalt
nach Protestaufrufen gegen die Nazis am 8. März 2014 auf dem
Internetportal "linksunten.indymedia.org" fragte, antwortete Stefan R.,
die Polizei könne keine Rückschlüsse auf die Verfasser ziehen: "Das geht
geht einfach nicht". Zum Geschehen am 8. März 2014 konnte der
Staatsschutzbeamte nichts beitragen. Er habe nur die Endbearbeitung
gemacht, die "Sache" zusammengefasst und den Bericht an die
Staatsanwaltschaft geschickt.
Politische Erklärung und Einstellung nach § 153 II StPO
In
Anbetracht dieser kaum ergiebigen Verhandlung machte Staatsanwalt
Lustig den Vorschlag, das Verfahren nach § 153 Abs. 2 StPO einzustellen.
Er ging darauf ein, dass er die “hehren Ziele" der Angeklagten
anerkenne und respektiere. Er betonte zugleich, dass der Prozess gezeigt
habe, dass Aufzüge, die nicht in Absprache mit der Stadtverwaltung
koordiniert werden, auch eine Gefahr für die Teilnehmer*innen
darstellten. Denn z.B. werde der Verkehr nicht geregelt.
Die
Verteidigung ging nach Rücksprache mit der Angeklagten auf das Angebot
ein. Somit ist das Verfahren eingestellt und die Antifaschistin muss nur
ihre eigenen Kosten tragen. Die von der Staatsanwaltschaft zunächst
geforderten 250 € als Geldbuße für eine Einstellung nach § 153 a StPO
sind vom Tisch, auch wenn ein Freispruch nicht erreicht werden konnte.
Vor Ende des Prozesses verlas die Antifaschistin eine Erklärung, in der
sie auf die Notwendigkeit antifaschistischen Engagements hinwies und
auch auf die geschichtliche Bedeutung und die damit einhergehende
Verantwortung einging. Außerdem betonte sie, dass sie sich auch
weiterhin den Faschisten und Rassisten in den Weg stellen werde.
"Ich
wünschte mir, dass die Behörden die Verfolgung rechter Straftaten ernst
nehmen und nicht den Antifaschismus bekämpften", sagte die
Gewerkschaftssekretärin in ihrer Erklärung. Wir gehen davon aus, dass es
trotz dieses berechtigten Wunsches zu weiteren
Einschüchterungsversuchen gegen antifaschistische Aktivist*innen in
Heilbronn kommen wird. Einzig der ungebrochene Wille von Stadtverwaltung
und Polizei, aktiven Protest gegen Nazis zu kriminalisieren, kann
erklären, dass es immer wieder zu Ermittlungsverfahren und Prozessen wie
diesem kommt. Sie greifen nach jedem noch so kleinen Strohhalm, der
sich ihnen bietet.
Nichtsdestotrotz sehen wir durch den Ausgang des
Prozesses und die breite solidarische Begleitung auch die politische
Arbeit bestätigt, die in den letzten Jahren in Heilbronn etabliert
wurde.
Aktiver Antifaschismus bleibt unabdingbar und wir werden auch
in Zukunft alle solidarisch begleiten, die deshalb in der Region
Heilbronn vor Gericht gestellt oder mit Strafbefehlen bedacht werden.
Antifaschismus ist notwendig und nicht kriminell!
Unsere Solidarität gegen ihre Repression!
Rote Hilfe Heilbronn, 7. Oktober 2015