Das staatliche sanktionierte Sozial- und Lohndumping gegenüber den inhaftierten Beschäftigten in den niedersächsischen Haftanstalten wurde infolge unserer Pressemitteilung vom 28. September 2015 in der regionalen Print- und Online-Welt breit aufgegriffen.
Die Schlagzeilen aus den verschiedenen Veröffentlichungen in Tageszeitungen lauten wie folgt:
„Millionen-Umsätze in Gefängnissen. Häftlinge fordern Mindestlohn.“ (Hannoversche Allgemeine Zeitung [HAZ], Online-Ausgabe, 29. September 2015)
„Klage über ´Billiglohninsel Knast´. Gefangene fühlen sich ausgebeutet – Landesregierung widerspricht.“ (Nordwest-Zeitung [NWZ], Print-Ausgabe, 29. September 2015)
„Gefangene fühlen sich ausgebeutet. Gewerkschaft kritisiert Billiglöhne hinter Gittern – Justizministerium: Häftlinge leisten ihren Beitrag.“ (Neue Osnabrücker Zeitung [NOZ], 30. September 2015)
Diese Presse-Reaktionen belegen für uns, dass es selbst der unter Verschluss gehaltenen sozialen Gruppe der Zehntausenden von Inhaftierten gelingen kann, in die (interessierte) Öffentlichkeit mit sozialpolitischen Fragestellungen und Themensträngen, die die soziale Frage hinter Schloss & Riegel aufwerfen, zu gelangen. Das ist vor dem Hintergrund, dass Inhaftierte sonst lediglich im Rahmen von Grusel-Stories die ihnen zugedachte Rolle einnehmen, nicht selbstverständlich.
Eine (zeitlich) aufwendige Pressearbeit und gesellschaftlich anschlussfähige Forderungen nach der Einbeziehung der inhaftierten Beschäftigten in den allgemeinen Mindestlohn und das komplette Sozialversicherungssystem tragen sicherlich dazu bei, dass Inhaftierte, insbesondere der werktätige Teil, eine Plattform bekommen können, die weit über enge Szenen und Spektren hinausreichen kann.
Augenfällig ist zudem, dass die „Gegenseite“, d.h. die Vollzugsbehörden und die Justizministerien, uns als GG/BO weder ignorieren, noch argumentativ wirklich durchdringen kann. Gebetsmühlenartig werden inhaltliche Ausflüchte und – falls überhaupt – Halbwahrheiten als vermeintliche Replik geliefert. Es wird weiterhin – umständlich – der Versuch unternommen, die Arbeit der gefangenen Arbeiter_innen auf das Niveau einer „behandlungstherapeutischen Maßnahme“ oder als Akt für eine „künftige (Wieder-)Eingliederung auf dem freien Arbeitsmarkt“ herabzudrücken. Die „Gegenseite“ übt sich weiterhin in ihrer durchsichtigen Zirkelschlussargumentation, wonach aufgrund des verweigerten so genannten Arbeitnehmerstatus die produzierenden Gefangenen einem sozialpolitisch unhaltbaren Sozial- und Lohndumping ausgesetzt werden dürfen. Der Staat schafft hier eine entrechtete soziale Gruppe als Segment der „industriellen Reservearmee“, um u.a. den Billiglohn, den fehlenden Kündigungsschutz und die Nicht-Fortzahlung der Vergütung im Krankheitsfall rechtfertigen zu können.
Zumindest schaffen unsere malochenden Kolleg_innen hinter Gittern einen realen Mehrwert, was man von den bürokratischen Apparaturen aus den Vollzugsbehörden und dem Justizministerium freilich nicht behaupten kann!
Wenig originell ist des Weiteren die argumentative Finte, dass die Gefangenen „ihren Beitrag“ zum Vollzugssystem zu erbringen hätten, wenn sie faktisch zum Nulltarif beschäftigt werden. Es bleibt einerseits nicht nur unerklärt, auf welcher gesetzlichen Grundlage dies geschieht, und andererseits zahlen die Inhaftierten ausdrücklich aufgrund ihres extrem schmalen Salärs keinen im Gesetz aufgeführten Haftkostenbeitrag. Somit werden unter Umgehung der Passagen aus dem Strafvollzugsgesetz auf indirektem Wege von den Gefangenen erhebliche Summe abgezweigt, um das insgesamt fragliche System des Einsperrens und Wegschließens zu subventionieren.
Ein Letztes: Es handelt sich um eine (bewusste) Täuschung der Öffentlichkeit, wenn aus dem Justizministerium verlautbart wird, dass die „Arbeitskraft [der Inhaftierten, Anm.] leistungsgerecht in Rechnung gestellt“ (vgl. NWZ, 29.9.2015) würde. Zum einen erhalten die arbeitenden Gefangenen hiervon lediglich den Billigtarif der Vergütungsstufen (durchschnittlich ca. 12 Euro für einen vollen Arbeitstag!), zum anderen führen die externen Unternehmen, die die Gefangenentätigkeit in Anspruch nehmen, keine Sozialabgaben ab.
Unser Fazit: Die GG/BO ist absolut notwendig! Und es bleibt dabei:
Für eine faire Entlohnung unserer Kolleg_innen in der Haft!
Für eine vollständige Eingliederung der inhaftierten Beschäftigten in das Sozialversicherungssystem!
Für die volle Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern!
Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO), 4. Oktober 2015
http://www.haz.de/Nachrichten/Politik/Niedersachsen/Gefangenengewerkschaft-fordert-Mindestlohn-fuer-Haeftlinge
http://www.nwzonline.de/politik/niedersachsen/klage-ueber-billiglohninsel-knast-gefangene-klagen-ueber-billiglohninsel-knast_a_30,1,1957187016.html
http://www.noz.de/deutschland-welt/niedersachsen/artikel/621197/ministerium-gefangene-leisten-beitrag-zu-justizhaushalt