Den Verfassungsschutz auflösen – Naziterror und Rassismus bekämpfen!

Kundgebung gegen den VS in Leipzig 2012

Demonstration gegen eine Podiumsdiskussion mit dem sächsischen Verfassungsschutz (VS)

Erneut soll dem sächsischen Verfassungsschutzpräsidenten Gordian Meyer-Plath in Leipzig ein Podium geboten werden. Am Dienstag, den 6.Oktober, soll Plath an einem Podium unter dem Titel: „Überwachungsstaat – gestern und heute“ im Rahmen einer Veranstaltungsreihe der Stiftung Friedliche Revolution teilnehmen.

 

In guter Verfassung“


Rechte Gesinnung hat beim VS Kontinuität: Gegründet im Jahre 1950 mit ehemaligen Nazis sorgte er dafür, dass Gegner_innen aus dem Dritten Reich erneut in deutsche Gefängnisse kamen. In den sechziger Jahren bekämpfte er die Studentenbewegung, in den siebziger und achtziger Jahren lieferte er das Material für die Berufsverbote linker Aktivist_innen. Vor zwölf Jahren scheiterten die Pläne für ein NPD Verbot nicht zuletzt daran, dass diese bis in die höchsten Führungsetagen von V-Männern/-Frauen und Spitzeln des Verfassungsschutzes durchsetzt war.

 

Die Geschichte der Verfassungsschutzämter zeigt, dass der unter anderem von SS, SA und anderen Nazi-Kadern aufgebaute Geheimdienst, schon seit Beginn eine gehörige rechte bis rechtsradikale Schlagseite aufweist. Fortan nahm eine Geschichte ihren Lauf, in der Nazis zuhauf als bezahlte Spitzel rekrutiert und als V-Leute eingesetzt wurden – selbst (oder gerade) wenn sie schwere Straftaten begangen haben. Tatkräftige Unterstützung erhielt das Kameradschafts Netzwerk “Thüringer Heimatschutz” (THS) beispielsweise durch den fränkischen Neonazi Kai Dalek. Im Auftrag des Verfassungsschutzes hat er in den 1990er Jahren das bundesweite Computer-Netzwerk “Thule-Netz” aufgebaut. Über die Jahre soll er 150 000 Euro bekommen haben. Dalek stand mit den späteren Terroristen des „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) in Kontakt, wie auch eine Reihe weiterer V-Leute.


Nach Bekanntwerden der Verstrickungen des Verfassungsschutzes mit dem Terrornetzwerk NSU ist die Forderung, die VS-Ämter aufzulösen, zumindest ab und an in den Medien als legitime Wortmeldung vertreten. 


Der Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes


Im Juli 2012 hat der damalige sächsische VS-Präsident Reinhard Boos um Versetzung gebeten, nachdem, so die Mitteilung des Amtes, unregistrierte Akten mit NSU-Bezug “zufällig im Schrank eines Mitarbeiters“, in einem “toten Winkel” gefunden wurden. Die Dokumente waren nicht registriert – und wiesen direkte Bezüge zum NSU-Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe auf. Zuvor hatte Boos mehreren Gremien versichert, alle zur Aufklärung nötigen Akten „vollständig“ vorgelegt zu haben.

 

Ein knappes Jahr später ist das nochmals passiert. Das kostete den bisherigen VS-Vize, Olaf Vahrenhold, den Job. An der Spitze des Amtes steht nun ein Mann, der sich mit dem Thema NSU auskennt. Ab 1994 arbeitete Plath für den brandenburgischen „Verfassungsschutz“, zwischendrin für eine CDU-Bundestagsabgeordnete und heute eben als Präsident des VS-Sachsen.

 

Meyer-Plath kündigte nach dem Führungs- einen „Philosophiewechsel“ an. Allerdings ist er in den NSU-Skandal selbst verwickelt. Denn zu seiner Zeit beim brandenburgischen „Verfassungsschutz“ war er für die Quelle Carsten Szczepanski zuständig, besser bekannt als V-Mann „Piatto“. Der „Ku Klux Klan“-Anhänger Szczepanski war 1995 wegen versuchten Totschlags an einem Nigerianer zu acht Jahren Haft verurteilt worden, genoss durch seine Spitzeldienste jedoch zahlreiche Vergünstigungen. So konnte Szczepanski aus dem Gefängnis heraus Nazi-Fanzines wie „Der Weiße Wolf“ und „United Skins“ produzieren, bekam rasch Freigang.

 

Das war Voraussetzung, um ihn spätestens 1998 auf die Chemnitzer „Blood & Honour“-Szene anzusetzen. Meyer-Plath chauffierte ihn dorthin, angeblich ohne den bis heute unklaren Auftrag gekannt zu haben und ohne sich an Details der Gespräche mit dem Rassisten im Staatsdienst erinnern zu können. Hier tut Aufklärung not, denn „Piatto“ tauchte just in Chemnitz auf, als sich das NSU-Trio dort mithilfe von B&H-Mitgliedern häuslich eingerichtet hatte.

Der Einsatz war aus Geheimdienst-Sicht durchaus erfolgreich. Tatsächlich berichtete der V-Mann im Spätsommer und Herbst 1998 mehrfach ausführlich über das untergetauchte Trio, über namhafte sächsische Unterstützer sowie deren Versuche, Waffen, Geld und Ausweisdokumente zu beschaffen. Nur die Handschellen klickten nicht.

 

Grund: Die klaren Hinweise auf Rechtsterrorismus wurden dem sächsischen „Verfassungsschutz“ mitgeteilt, der eigentlich zuständigen Polizei jedoch absichtlich vorenthalten. Zielfahndern des Thüringer LKA fiel bei einer Telefonüberwachung zwar selber auf, dass der sächsische B&H-Anführer Jan W. Kontakt zu einem Handyanschluss hielt, das auf das brandenburgische Innenministerium registriert war. Meyer-Plath und Kollegen erfuhren das aber sofort vom Großen Bruder, dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Szczepanski erhielt einen neuen Apparat, diesmal auf einen ordentlichen Decknamen, und schon war die frische Spur der Polizei dahin.

 

Bei kritischen Nachfragen vor Untersuchungsausschüssen beharrte Meyer-Plath darauf, mit solchen Entscheidungen nichts zu tun gehabt, sondern nur „V-Mann-Fahrer“ gewesen zu sein. Dabei war der „Top-Geheimdienstler“ und sein „Top-Spitzel“ per Du. Und mehrere der brisanten Treffberichte mit „Piatto“ aus dem Jahr 1998 tragen unverkennbar die Unterschrift des V-Mann-Führers. Es war Meyer-Plath.

 

Plath und die Burschenschaft


Für nicht weniger als „Ehre, Freiheit, Vaterland“ streitet die Burschenschaft Marchia Bonn. Ihr zweiter Wahlspruch „Fest, Treu, Wahr“ gilt aber nicht immer. Denn mit der Wahrheit rückte ein Marche erst nach Presserecherchen heraus: Gordian Meyer-Plath, ist in der schlagenden Verbindung aktiv. Der Mediävist hatte 1987 bis 1993 unter anderem an der Universität Bonn studiert, war dort zur Marchia gestoßen.

 

Bis heute ist er als „Alter Herr“ aktiv. Der Geheimdienstler bezeichnet sein Engagement in den Medien als „reine Privatsache“. Die Marchia machte Ende 2011 durch den Austritt aus dem Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ (DB) von sich reden. Hintergrund war der schon länger schwelende und weiter anhaltende Rechtsruck der DB. Auch die Reihen der Marchia blieben davon nicht verschont: Im Jahr 2007 hat sie Matthias B. ausgeschlossen, nachdem er auf dem Marchia-Gelände ein Holzkreuz im Ku-Klux-Klan-Stil verbrannt und „Heil White Power!“ gerufen hatte.

 

Der Zwischenfall wurde erst später und wiederum durch Medienrecherchen bekannt. Der DB-Funktionär B. wechselte kurzerhand zu den einschlägigen Bonner Raczeks, die mit ihrer Forderung nach Einführung eines „Ariernachweises“ ein stramm-rechter Protagonist der DB-Entwicklung ist.

 

Den Austritt aus dem Dachverband begründete die Marchia mit in der DB verbreiteten Standpunkten, die „mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unseres Staates und mit den Prinzipien unserer Marchia unvereinbar“ seien. Allerdings fordert die Marchia selbst ein „Europa der Vaterländer“ sowie die „Sicherung kultureller Eigenarten“ und Traditionen der „Völker in ihren jeweiligen Regionen und Lebensräumen“.

 

Alles nur „Pannen“


Entgegen der derzeitig dominierenden Darstellung kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Tätigkeit der VS-Ämter gegen Nazis in den letzten Jahrzehnten, wie es so gern behauptet wird, eine Reihe von „Pannen“, Fehleinschätzung und mangelnder Vernetzung der Behörden war. Vielmehr muss klar benannt werden, dass diese Behörden Neonazi-Gruppen, wie den “Thüringer Heimatschutz” aus dem sich der spätere NSU entwickelte, finanzielle Aufbauhilfe gaben. So wurde allein in diesem Umfeld etwa 40 V-Leute von verschiedenen Verfassungsschutz-Ämter bezahlt.

 

Von den Untersuchungsausschüssen zum NSU-Komplex wissen wir, dass nicht nur hunderttausende D-Mark an V-Mann-Gehältern in die Szene geflossen sind, sondern auch logistische Unterstützung geleistet wurde. Zum Beispiel mit geliehenen Autos, V-Mann-Führern als Chauffeuren, Telefonkostenpauschalen, Druckkostenerstattung für Propaganda-Flyer und vielem mehr. Zusätzlich profitiert die Neonazi-Szene durch Schutz vor Strafverfolgung anderer Behörden. In einem internen Brandbrief hatte sich bereits 1996 das Bundeskriminalamt darüber beklagt, dass Neonazis durch den VS vor bevorstehenden Razzien gewarnt würden. Ermittlungsverfahren gegen neonazistische Straftäter versickerten häufig im Sande, wenn der VS sie als nützliche Quellen betrachtete.

 

Pointiert ausgedrückt bedeutet das: Über Gehälter der V-Leute und faktisch gesponserte Strukturen werden Nazi-Strukturen vom Staat aufgebaut. Strukturen, die seit 1990 mehr als 180 Menschen in diesem Land auf dem Gewissen haben. Sie sind ebenso für eine Vielzahl von Brand- und Bombenanschlägen, schlicht, rechten Terror verantwortlich, der gerade in den letzten Monaten wieder massiv zu nimmt. Die nicht enden wollenden „Pannenreihe“ namens Aktenvernichtungen über Nazi-Strukturen scheinen da nur eine folgerichtige Handlung aus Sicht dieser Ämter.

 

Die einzig richtige Konsequenz


Angesichts der Geschichte und Arbeitsweise des VS fragt man sich, warum dieses Amt nicht schon längst aufgelöst wurde. Sogar die Demokrat_innen aus der selbsternannten Mitte und die Bürgerrechtler_innen aus der ehemaligen DDR müssen einsehen, dass sich das Treiben der Behörden nicht mir ihrem Gebot der Rechtsstaatlichkeit in Einklang bringen lässt. Auch jetzt, nach der Offenlegung etlicher Skandale, im Zuge der Ermittlungen zum NSU reagiert die Regierung, wie eine Regierung reagiert: mit Reformvorschlägen zu einer Zentralisierung, Kompetenzerweiterung und besseren Vernetzung der Dienste mit den Polizeibehörden. Paradoxerweise werden die Befugnisse des Inlandsgeheimdienstes damit noch gestärkt und seine Deutungsmacht ist nach wie vor ungebrochen. Er kann weiterhin neonazistische Strukturen verharmlosen, vertuschen und unterstützen. Er darf weiter Antifaschist_innen kriminalisieren. Er wird weiter als DIE Informationsquelle zur Beurteilung der politischen Landschaft begriffen und ekelhafterweise von vielen zum Hohepriester der deutschen Demokratie erhoben.

 

Nicht mit uns. Die Verfassungsschutzbehörden gehören abgeschafft! Und so lange das nicht geschafft ist, gehört ihnen die Propagandashow vermiest. In Leipzig und auch überall sonst!

 

Bündnis „Weg mit dem VS!“



Demonstration: 6.10.2015 um 17Uhr Markt/Grimmaische Str.



Die Podiumsdiskussion mit dem VS findet am Dienstag, den 6.Oktober, im Pavillon „FREI_RAUM für Dialog und Demokratie“ auf dem Leipziger Wilhelm-Leuschner-Platz von 19-20:30 Uhr statt. Am Podium nehmen teil:


Roland Jahn (Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde)
Gordian Meyer-Plath (Präsident Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen)
Constanze Kurz (Sprecherin des Chaos Computer Clubs, arbeitet als Redakteurin für netzpolitik.org)
Moderation: Stefan Nölke (MDR-Figaro)

 

Die Stiftung der Friedlichen Revolution stellt die Veranstaltungreihe wie folgt vor:

 

Aktueller Schwerpunkt ist die Auseinandersetzung mit der "Bewegung der Unzufriedenen"


Nach dem "Herbstsalon" im vergangenen Jahr bereitet die Stiftung Friedliche Revolution auch für diesen Herbst einen Pavillon für Austausch und Begegnung auf dem Leipziger Wilhelm-Leuschner-Platz vor. Er trägt den Namen „FREI_RAUM für Dialog und Demokratie“ und will vom 25. September bis 11. Oktober mit einem breiten Veranstaltungsprogramm sowohl die Friedliche Revolution von 1989 als auch die deutsche Wiedervereinigung von 1990 beleuchten und erlebbar machen. Ein aktueller Schwerpunkt besteht zudem in der Auseinandersetzung mit Ursachen und Folgen der "Bewegung der Unzufriedenen" wie Pegida, Legida und anderen.

 

Im Zentrum des FREI_RAUMs stehen Diskussionen und Veranstaltungen zu folgenden Themen:
- Wahrnehmung, Teilhabe und Ausgestaltung der repräsentativen Demokratie in Deutschland
- deutsche Einheit und was von den Visionen vor 25 Jahren übrig geblieben ist
- Asylpolitik und die Forderungen an eine Willkommenskultur in Deutschland
- Anforderungen an ein modernes Einwanderungsland sowie
- Ursachen und Folgen totalitärer Systeme in Deutschland.

 

Als FREI_RAUM wird wieder der für den „Herbstsalon“ entworfene Veranstaltungspavillon aufgebaut. Der weiße, nachts erleuchtete Kubus mit einer Grundfläche von etwa 100 m2 bietet als multifunktional nutzbarer Veranstaltungsraum Platz für bis zu 80 Besucherinnen und Besucher. Auf dem Programm stehen offene Diskussionsforen, politisch-kulturelle Veranstaltungen und themenbezogene Filmaufführungen.

 

Angestrebt wird, aus unterschiedlichsten Perspektiven ein möglichst facettenreiches Bild der politischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte entstehen zu lassen. Die emanzipatorische Leistung der Jahre 1989/90 soll dabei nicht museal dargestellt, sondern für die heutige Situation lebendig gemacht werden. Im FREI_RAUM darf erzählt, vorgestellt, gestritten, diskutiert - soll Dissens ausgehalten, informiert, unterhalten und begeistert werden. So kann eine Kultur der lebendigen Auseinandersetzung im öffentlichen Raum erprobt und eingeübt werden.

 

Das Projekt wird gefördert durch den Freistaat Sachsen, die Bundeszentrale für politische Bildung, die Stadt Leipzig und das Archiv Bürgerbewegung Leipzig.