Griechenland zwischen Depression,über Leben und Widerstand

Einladung zum 133. Jour Fixe am Mittwoch, 7. Oktober um 18 Uhr 30 im Curiohaus, Rothenbaumchaussee 15 Griechenland zwischen Depression, überleben und Widerstand nach dem Scheitern des parlamentarischen Weges - Wie sind die Perspektiven?  Berichte von Martin Klingele (zurück von der Delegationsreise in Griechenland) und Irene Hatzidimou (Hamburg/Griechenland)


Seit vier Jahren gibt es einen regelmäßigen Austausch zwischen aktiven GewerkschafterInnen aus Griechenland und Deutschland. Es wurden mehrere Solidaritätsreisen organisiert und auf zahlreichen Infoveranstaltungen in Deutschland über die unterschiedlichen Projekte und sozialen Kämpfe zu informieren.
Unser Referent, Manfred Klingele, hat den Austausch von Beginn an mit organisiert. Er bedindet sich zur Zeit mit der Delegation
aus dem deutschsprachigen Raum in Griechenland.

Wie in den Jahren zuvor schicken sie zwischendurch ihre politischen Reiseberichte. (Siehe unten).
Griechenland ist ein Land in Depression und Widerstand.
Der Widerstand zeigt sich im Überlebenswillen und in der Bildung von solidarischen Strukturen.

Im März d.J. berichteten griechische Kollegen auf einem Jour Fixe über die Strukturen ihres sozialen Widerstandes.

Die TeilnehmerInnen der Delegationen haben bei ihren Besuchen in Griechenland viele AktivistInnen und viele Einrichtungen und Betriebe kennengelernt und können an frühere Treffen anknüpfen und Vergleiche anstellen.

Es stellen sich die Fragen:
Wie ist die Situation nach den Wahlen?
Die Mehheit der Bevölkerung hatte im Referendeum mit OXI (Nein) gestimmt. Aber die Mehrheit in der Syriza-Regierung kapitulierte vor den
Erpressungen der Troika.
Wie sehen die BasisaktivistInnen jetzt die Perspektive nach dem Scheitern des parlamentarischen Weges? (Die Troika konnte auf parlamentarischem Weg nicht bezwungen werden).

Bericht von Manfred Klingele


Die Kollegin Irene Hatzidimou ist griechischer Herkunft, arbeitet in Hamburg und war bis vor kurzem einige Monate in Griechenland:
Jenseits der Verhandlungen - welche Handlungsspielräume gibt es für Syriza unter den Bedingungen des Memorandums?
Sie berichtet über das Referendum, über die Einführung der Kapitalsverkehrskontrollen und über Erlebnisse und Ereignisse während des Sommers als sie in Griechenland war.


Infos zum Treffen:

Solidaritätsreise nach Griechenland im September 2015

Wie auch schon durch die Reiseberichte in den Jahren 2012, 2013 und 2014 bekommt ihr durch die Lektüre einen unmittelbaren und anschaulichen Einblick in die Verhältnisse dort. Die Analysen erfolgen später.
Erste Reiseberichte der Basisdelegation aus Deutschland nach Griechenland
Bereits vor dem offiziellen Start der diesjährigen Soli-Reise nach Griechenland haben sich einige Mitfahrer*innen auf den Weg gemacht - hier die ersten Berichte aus Heraklion (Kreta) und Athen:

Heraklion, Mittwoch, 16. September 2015 - Wir sind angekommen.
"Es ist ja noch vier Tage vor dem gemeinsamen Programm der Gruppe „Solireise nach Griechenland“. Wir haben unsere Erkundungen auf Kreta ausgeweitet, eine Insel, die viele nur von ihren Ferienreisen kennen und wegen ihrer Schönheit und dem milden Mittelmeerklima schätzen. (…) Die Entscheidung (eines Teils von uns) nach Kreta zu fahren, fiel relativ kurzfristig und wir hatten noch keine Antwort auf unsere Anfragen an verschiedene Projekte der Selbstorganisation, sie zu besuchen, bekommen. Wie zum Beispiel der sozialen Klink der Solidarität in Heraklion. (…) Die Gruppe „becollective“ ist offensichtlich gut vernetzt. Jedenfalls brachte ein Anruf bei Alex, einem der Initiatoren von „becollective“, den Kontakt zu Mara, einer Aktivistin der solidarischen Gesundheitsstation. Sie nahm uns mit,  zu einer Versammlung  der insgesamt rund 300 von ehrenamtlichen Helfer_innen, die am Abend in den Räumen der Klinik, die in der Universität von Heraklion untergebracht ist, stattfand. So hatten wir die Gelegenheit, gleich mit einer ganzen Gruppe von Menschen zu sprechen…"
http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2015/09/solireise2015-bericht1609.pdf

Athen, Mittwoch, 16. September 2015
“Heute im heißen Athen angekommen, die Athener meinen allerdings, es sei Frühherbst… oha! …” und: “Wahlkampfveranstaltung der kommunistischen KKE auf dem Syntagma-Platz”.
http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2015/09/solireise2015-bericht2-1609.pdf

γεια σας! καλημέρα σας! Guten Morgen und guten Tag zusammen!
"... Ich sprach noch mit ihrem Mann, was er denn wählen werde. Er meinte, er werde wohl wählen gehen, aber wahrscheinlich ungültig. Auf meine Frage, warum er denn überhaupt hingehe, meinte er, er sei nicht so enttäuscht wie viele andere. Er habe nie daran geglaubt, dass Tsipras Griechenland retten könne. Das sei völlig unrealistisch gewesen. Was er Tsipras allerdings übelnehme, sei, dass er den Mund zu voll genommen habe. Z.B. habe er vor dem Referendum gesagt, er werde kein Ministerpräsident „für jedes Wetter“ sein. Ein griechischer Ausdruck für: Ich stehe nicht für alles zur Verfügung. Und jetzt wolle er genau das werden, ein „Allwetter“-Präsident. Deshalb wolle er ungültig wählen..."
http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2015/09/solireise2015-tagebuch2.pdf

Besuch bei der Nachbarschaftsinitiative Perama

Demo zum Jahrestag der Ermordung von Pablos Fissas - Besuch bei der „Volkseinheit“
http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2015/09/solireise2015-tagebuch3.pdf


Auszug aus einem Artikel der Zeitung Arbeiterpolitik (August 2015)
(Er ist leider nicht als link vorhanden, deshalb dieser Textauszug)

Die Gewerkschaftsfrage
… Im September 2014, während unseres letzten Solidaritätsbesuches, fragte ich den für internationale Beziehungen zuständigen Sekretär (der KKE. dw), warum denn die PAME bei den Demonstrationen anlässlich der »Generalstreiks« immer zu getrennten Routen und Kundgebungen aufrufe, und bekam folgende Antwort: »Die ideologische Klarheit müsse auch organisatorisch zum Ausdruck kommen.« Die Antwort ist für mich charakteristisch für die sektiererische Politik der KKE in den letzten Jahren.

Die Gewerkschaften sind in Griechenland traditionell auf betrieblicher Ebene organisiert. Die Betriebsgewerkschaften sind auf nationaler Ebene Mitglied in den beiden Dachverbänden – ADEDY für öffentlicher Dienst und GSEE für die Privatwirtschaft. 1991 beschloss die KKE, die von ihr dominierten Gewerkschaften in einem eigenen Verband, der Allgemeinen Kämpferischen Arbeiterfront (PAME), zusammenzufassen. Die in der PAME organisierten Gewerkschaften blieben zwar Teil der beiden Dachverbände, nehmen aber nicht an deren Aktivitäten teil und agieren nach außen unabhängig. Die PAME organisiert vor allem in den traditionellen Kernbereichen der Lohnabhängigen (in Häfen, in der Stahl-, Bau- und Textilindustrie) zahlreiche kämpferische KollegInnen. Diese Tatsache wird auch von vielen scharfen Kritikern der KKE-Politik nicht bestritten.

Allerdings sind diese Industriebereiche besonders hart von der Wirtschaftskrise getroffen und liegen am Boden. Der wirtschaftliche Niedergang hat den Gewerkschaften die Grundlagen für ihr Kerngeschäft entzogen. Freie Tarifverhandlungen gibt es seit Jahren nicht mehr. Insofern kann auch die PAME keine tarifpolitischen Erfolge vorweisen und ist dem gewerkschaftlichen Niedergang in gleicher Weise unterworfen wie alle anderen Gewerkschaften auch.

Der Abwehrkampf hat sich von der tariflichen auf die politische Ebene verschoben und fand seinen Ausdruck in den zahlreichen »Generalstreiks« der letzten Jahre. Es waren zumeist durch die gewerkschaftlichen Dachverbände ausgerufene, eintägige, demonstrative Arbeitsniederlegungen. Sie waren nie gedacht als Kraftprobe mit der Regierung sondern dienten zum Dampfablassen für die unzufriedenen Mitglieder.

Bei unseren Besuchen wurden wir immer wieder konfrontiert mit der Kritik, Ablehnung und Wut der einfachen Beschäftigten auf die gewerkschaftlichen Dachverbände, denen man ihre Kumpanei mit den Regierungsparteien ND und PASOK vorhielt. Tatsächlich wurde die Mehrheit der Vorstandsmitglieder in den beiden Dachverbänden von Funktionären aus der PASOK und ND gestellt. Statt diese weit verbreitete Stimmung gegen die gewerkschaftlichen Spitzenfunktionäre aufzugreifen und ihr gemeinsam mit anderen linken Kräften eine politische Richtung zu geben, separierte sich die PAME mit eigenen Demonstrationszügen und Kundgebungen. Sie konnte so keinen Einfluss auf die unzufriedenen Gewerkschaftsmitglieder außerhalb der eigenen Reihen (PAME) gewinnen.

Anlässlich des durch die Lehrergewerkschaft OLME durchgeführten einwöchigen Streiks an den Schulen im Sommer 2013 gab es innerhalb der Gewerkschaften die Bestrebung, die Arbeitsniederlegung unbefristet fortzusetzen und in einen längeren Generalstreik münden zu lassen. Vor allem Gewerkschaftsdelegierte, die dem linken Flügel von Syriza oder der Antarsia angehörten, brachten entsprechende Anträge ein. Funktionäre der PAME, die in den Führungsgremien der Branchengewerkschaften und der Dachverbände vertreten waren, traten auf die Bremse. Sie blockten die Initiative ab, gemeinsam mit den Delegierten von PASOK und ND.

Es hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Chancen gegeben, um die Widersprüche in den Gewerkschaften als auch zwischen Gewerkschaften und Regierung zuzuspitzen. Die KKE hat diese Möglichkeiten nicht nutzen können. Sie ist teilweise sogar entsprechenden Initiativen entgegengetreten, weil sie sich hätte einordnen müssen in ein Bündnis linker Kräfte. Dies widerspricht ihrem Führungsanspruch, dem sie offensichtlich in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen nicht gerecht werden kann. Sie beschränkt sich auf die propagandistische Entlarvung des Reformismus und das eigenständige Auftreten ihrer Gewerkschaftsorganisation, der PAME. Nur in diesem engen Korsett ist sie bereit den Kampf aufzunehmen.

Die Integration der Arbeiterklasse ist nicht das Werk sozialdemokratischer und reformistischer Kräfte; deren Existenz ist vielmehr Ausdruck für die Integrationsfähigkeit des Kapitalismus. Insofern spiegelt der Reformismus, ob in den Gewerkschaften oder in Gestalt sozialdemokratischer Parteien, die Hoffnung der Mehrheit der Lohnabhängigen wider, ihre materiellen Interessen innerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung wahren zu können. Der Reformismus lässt sich also nicht allein durch Propaganda, durch seine Entlarvung überwinden. Der in der Krise steckende Kapitalismus selbst entzieht dem Reformismus die materielle Grundlage, weil zunehmend an die Stelle des sozialen Kompromisses das einseitige Diktat des Kapitals tritt, die Beseitigung bisheriger sozialer Standards und demokratischer Rechte. Angesichts dieser Tatsachen verliert der Reformismus an Bindungskraft, zersetzt sich – aber nicht als plötzlicher Akt, sondern als ein langsam in verschiedenen Etappen sich vollziehender Prozess. An dessen Ende steht nicht automatisch die Hinwendung der Massen zur revolutionären Alternative, es kann auch mit einer tiefgreifenden Niederlage der Arbeiterbewegung, in einer reaktionären oder konterrevolutionären Lösung enden.

Anmerkung:
In diesen Prozeß wirksam einzugreifen sind KKE und PAME angesichts ihres „bequemen Dogmatismus, (der) Alterskrankheit der KKE“ unfähig. Aber allein vollzieht sich dieser Zerfallsprozeß des Reformismus nicht! "Der in der Krise steckende Kapitalismus selbst entzieht dem Reformismus die materielle Grundlage" aber dennoch muß er gestoßen werden und zwar bedarf es des Eingreifens einer geeinten, eigenständigen, nicht am Parlamentarismus orientierten Arbeiterklasse! (DW)