Verwaltungsgericht Karlsruhe: Der Einsatz des Spitzels "Simon Brenner" in der Heidelberger Studentenszene war wohl rechtswidrig
Von Sandra Cartolano
Mittellange blonde Haare, Koteletten, sympathisches Gesicht - mit Spionen, wie man sie sich vorstellt, hatte der angebliche Heidelberger Germanistikstudent "Simon Brenner" auf den ersten Blick nichts gemein. Doch er bespitzelte im Jahr 2010 für das Landeskriminalamt neun Monate lang die linke Heidelberger Studentenszene. Und das offenbar zu Unrecht. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe gelangte am Mittwoch nach einer mündlichen Verhandlung zu der Auffassung, dass sein Einsatz wohl rechtswidrig war. Denn eine Gefahr für Recht und Ordnung ging von den Bespitzelten nicht aus.
Einen endgültigen Beschluss fasste das Gericht am Mittwoch noch nicht. Dazu seien weitere Beratungen nötig, sagte ein Sprecher. Aber aller Voraussicht nach werde der Klage stattgegeben. Die hatten sechs damalige Studenten eingereicht - einst Bekannte und Freunde von Brenner. Sie wollten erreichen, dass das Gericht den Einsatz rückwirkend als rechtswidrig einstuft. Dass Brenner ein Spion war, hatte keiner von ihnen vermutet.
In der Einsatzanordnung der Polizei von 2010 kamen die Sechs nicht vor, ganz anders als der siebte Kläger, Michael Dandl. Er war eine der vier Ziel- und Kontaktpersonen von Brenner, sollte also ausspioniert werden. Doch dafür konnte das Verwaltungsgericht am Mittwoch keinen eindeutigen Grund erkennen. Sie habe Probleme, eine konkrete Gefahr zu sehen, die von Dandl ausgegangen sein soll, sagte die Vorsitzende Richterin. Dass er Kontakt zu jemandem hatte, in dessen Keller Molotowcocktails gefunden worden waren, reiche nicht aus. Das Polizeipräsidium Mannheim, das im Prozess das Land Baden-Württemberg vertritt, begründete den Einsatz damit, politische Straftaten verhindern zu wollen.
Details wollte die Polizei auch auf Nachfrage des Gerichts nicht nennen. Und auch aus den Polizeiakten zum Spitzeleinsatz konnte es kaum etwas ableiten - die meisten Seiten waren zum Großteil geschwärzt, ein Teil der Akten lag gar nicht erst vor, aus "polizeitaktischen Gründen", wie es hieß. Auch wenn es berechtigte Gründe dafür gebe, die Nichtvorlage der Akten gehe zulasten der Beklagten, so die Vorsitzende Richterin.
Wen genau Brenner ausspioniert und was er dabei herausgefunden hat, konnte das Gericht nicht klären. Es schenkte aber den sechs ehemaligen Studenten Glauben, die nicht in der Einsatzanordnung auftauchten, aber dennoch nach eigenen Angaben bis ins Private von Brenner ausgeforscht wurden. Die Kläger, die Brenner nach seiner Enttarnung zur Rede stellten, sagten aus, er habe zugegeben, auch Daten über sie gesammelt zu haben. Er habe Datensätze über seine Bekannten angelegt und sie alle zwei Wochen weitergegeben. Es sei um politische und soziale Kontakte gegangen. Und sogar Wohnungsskizzen habe Brenner angefertigt. Die Polizei bestreitet dies.
Der Polizeispitzel habe von Hunderten Menschen im ganzen Bundesgebiet Daten gesammelt - nicht nur von Leuten aus dem linken Spektrum, sondern auch von ganz normalen Studenten und sogar von Eltern, sagt Dandl. Er vermutet, dass es Brenners Auftraggebern "um die Aufhellung der gesamten linken Szene" gegangen sei.
Hintergrund
Der Fall Simon Brenner beginnt 2010. Damals wird ein Ermittler unter diesem Decknamen in die linke Heidelberger Szene eingeschleust. In der Einsatzanordnung der Polizei aus diesem Jahr waren zwei Ziel- und zwei Kontaktpersonen aufgeführt, die Brenner bespitzeln sollte. Eine der Zielpersonen hat gegen den Einsatz geklagt. Zudem haben sechs damalige Studenten Klage erhoben, die nach eigenen Angaben von dem verdeckten Ermittler ausspioniert worden waren. Einem Arbeitskreis zufolge, der sich zu ihrer Unterstützung gegründet hat, soll Brenner neun Monate lang die politisch aktive studentische und linke Szene Heidelbergs ausspioniert haben. Im Dezember 2010 wird der Ermittler enttarnt, nachdem eine Urlaubsbekanntschaft den vermeintlichen Germanistikstudenten auf einer Party als Polizisten erkannt hatte. Der Anwalt der Kläger begrüßte gestern die vom Gericht angedeutete Entscheidung, dass der Spitzeleinsatz rechtswidrig war. Das Ziel, mehr über den Einsatz herauszufinden und zur Aufklärung beizutragen, habe man jedoch nicht erreicht. Noch immer sei ein Großteil der Polizeiakten dazu unter Verschluss. dpa