Blockiert, besetzt, markiert, transparent gemacht: Mit unterschiedlichen Aktionsformen protestierten Aktivist_innen vom 18.-23. August 2015 im Rahmen des “Aktionscamps gegen Tierfabriken” in Balge nahe Nienburg gegen die Fleischindustrie und deren desaströsen Folgen für Mensch, Tier und Natur. Unter dem Motto „Das System Wiesenhof markieren und stören“ richtet sich ihre Kritik an die insbesondere kapitalistisch-industrielle Tierproduktion und im Speziellen gegen die PHW-Gruppe und ihre international bekannte Marke Wiesenhof. Neben einer Blockadeaktion, einer Aktions-Fahrradtour, mehreren Kundgebungen und kreativen Aktionen tauschten sich die 60-70 Teilnehmer_innen auf dem Camp im Rahmen von Workshops und Vorträgen, Musik- und Kunstbeiträgen über verschiedene Aspekte der kapitalistischen Tierproduktion, ihre Ursachen und Folgen sowie mögliche Gegenstrategien und Protesformen aus. Polizei und Staatsschutz versuchten indessen die Profite der PHW-Gruppe und ihrer Geschäftspartner_innen vor den Protesten zu schützen. Dabei wurden mehrere Aktivist_innen verletzt, in Gewahrsam genommen, erkennungsdienstlich behandelt und schikaniert.
Die Unternehmensgruppe PHW ist schwerpunktmäßig im Wachstumsmarkt der Geflügelbranche tätig. Neben Zucht und Fleischproduktion verwertet sie Hühner, Puten und Enten bis auf die letzte Feder und den letzten Tropfen Blut zur Herstellung von Nahrungsergänzungsmitteln sowie für Rohkomponenten der Human- und Tierernährung sowie ihr Fett zur Gewinnung von Treibstoff. Selbst der Kot der Tiere wird noch zur Ware und dem Kompost für die Pilzzucht beigemengt. Die Gewalt, die dabei von PHW ausgeht, ist immens: In den elf konzerneigenen Schlachtfabriken und Verarbeitungsbetrieben werden nicht nur täglich Millionen Tiere umgebracht, die zuvor von Vertragsmästern in Mastanlagen ihrer Freiheit und jeglicher Chance auf ein Leben in gewaltfreier Selbstständigkeit beraubt wurden; auch Arbeiter_innen, vor allem aus osteuropäischen Ländern, werden unter erbärmlichen Arbeitsbedingungen beschäftigt und in eine prekäre Existenz gezwungen. Daneben bescheren Schlacht-, Mast- und Futtermittelanlagen der Anwohnerschaft nicht nur angebliche Arbeitsplätze, sondern auch gesundheitsschädliche Emissionen und teils frapperiende Boden- und Trinkwasserverschmutzungen. Menschen des globalen Südens, in dem Rohstoffe des Tierfutters (v.a. Soja) angebaut werden, leiden wiederum nicht nur unter den Folgen der Futtermittelproduktion, sondern zusätzlich unter der steten Expansion der Anbauflächen. Großflächige Waldrodung, unwirtliche Brachflächen und Vertreibung von Mensch und Tier sind die systematischen Begleitphänomene des ökonomischen Gewinnstrebens.
In kämpferischer Solidarität mit all den Tieren und Menschen, die für die Profitinteressen der PHW-Gruppe Unterdrückung, Ausschließung, Ausbeutung und Gewalt erfahren, kamen Aktivist_innen der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung sowie anderer emanzipatorischer Kämpfe mit Unterstützung einiger Internationals während der sechs Tage des “Aktionscamps gegen Tierfabriken” zusammen. Mit einer Reihe von Aktionen machten sie auf das mit der Tierindustrie verbundene Elend aufmerksam und störten Betriebe in ihrem grausigen Treiben. Am Donnerstagmittag blockierten etwa 35 Aktivist_innen die Zufahrtsstraße zum Gelände der PHW-Zentrale im niedersächsischen Rechterfeld/Visbek mitsamt der dort befindlichen PHW-Betriebe Mega-Tierernährung und Pilzland. Durch eine Sitzblockade hatten sie zunächst einen Transporter des Mischfutterherrstellers Mega gestoppt. Kurz darauf kletterten drei Aktivist_innen auf den Transporter und ketteten sich mit Fahrradschlössern aneinander, ein weiterer Aktivist kettete sich später mit einem Fahrradschloss um seinen Hals an der Zugmaschine fest. Andere Aktivist_innen versperrten unterdessen die Straße mit einem Tripod, in dessen Spitze ein Aktivist Platz nahm, und mit Rohren, in denen sich drei Aktivist_innen festmachten. Sechseinhalb Stunden konnte die Blockade so aufrecht erhalten werden, bis sie schließlich gewaltsam von der Polizei geräumt wurde.
Der Schlag gegen den Firmensitz der PHW-Gruppe bildete den spektakulären
Höhepunkt einer ereignisreichen Woche, in deren Verlauf verschiedene
Bereiche der PHW-Produktionskette und wichtige Geschäftspartner_innen
des Konzerns markiert wurden. So durfte bereits am Mittwoch die in
Stuhr/Brinkum ansässige D+S Montage GmbH stundenlang dem lautstarken
Protest der Campteilnehmer_innen lauschen. Seit zwanzig Jahren ist das
Bauunternehmen an der Planung und Ausführung von PHW-Schlachtanlagen
beteiligt und organisiert nun auch den Neubau des Schlachthofes in
Holte/Wietzen bis zur, nach eigenen Angaben, „schlüsselfertigen Abgabe“.
Der Geschäftsführer Daniel Lampe kommentiert auf Nachfrage der
Kreiszeitung die Aktion mit den Worten: „Wir sind uns bewusst, was wir
machen, und müssen uns damit auseinandersetzen.“
Der bisherigen Anlage in Holte galt hingegen am Freitag die
Aufmerksamkeit der Aktivist_innen. Im Rahmen einer Aktions-Fahrradtour
versammelten sie sich vor der Schlachtfabrik, besichtigten ihren
Energielieferanten, die Biogasanlage der Bioenergie Holte GmbH & Co.
KG, und statteten dem im Ort wohnenden Geschäftsführer des Gemetzels
einen kurzen, aber unüberhöhrbaren Besuch ab. Zeitgleich demonstrierten
andere Aktivist_innen des Camps vor der Firma A. Kessing Brunnenbau GmbH
in Damme, die bislang die Förderbrunnen für PHWs Anlagen baute und auch
die Grundwasserversorgung der erweiterten Schlachtfabrik in Holte
sicherstellen will. Anschließend nahmen die Demonstrant_innen noch an
einer kritischen Besichtigung des PHW-Werks GePro in Diepholz teil, das
die sogenannten “Schlachtnebenprodukte” in Wert nimmt.
Am Samstag brachten die Aktivist_innen ihren Protest schließlich mittels
einer Kundgebung in die Nienburger Innenstadt. Transparente,
Redebeiträge, Informationsmaterial, eine gemeinsame Kunstausstellung von
Katharina Rot und Mia Mandel sowie persönliche Gespräche klärten
Umstehende und Passant_innen über die Tierindustrie, das gewaltförmige
Mensch-Tier-Verhältnis und andere gesellschaftliche Probleme des
Kapitalismus auf. Neben den geradezu obligatorischen Begleiter_innen von
Polizei und Staatsschutz war auch der Nienburger Nazi Christopher
Siedler vor Ort, um Aktivistin_innen zu fotografieren und verbal wie
auch körperlich zu bedrohen. Dank ihres entschlossenen Entgegentretens
konnten die Campteilnehmer_innen letztendlich jedoch erreichen, dass die
zunächst sehr zögerlich und unmotiviert agierende Polizei dem als
gewaltbereit bekannten Nazi einen Platzverweis erteilte. Im Anschluss an
die Kundgebung ging es dann erneut zur Schlachtfabrik in Holte. Um dem
Widerstand gegen die Ausbaupläne von PHW symbolischen Ausdruck zu
verleihen, wurde die geplante Baufläche vor der Schlachtfabrik für
einige Zeit mit einem überdimensional großen Huhn, einem Transparent und
einem Zelt besetzt.
Neben der hohen Präsenz von Polizist_innen bei den Aktionen und der
Observation von Autos von Aktivist_innen kam es auch zu weiteren
Schikanen und Übergriffen seitens der Staatsdiener_innen. So trugen bei
der Räumung der Blockade in Rechterfeld mehrere Aktivist_innen blaue
Flecken und leichte Schürfwunden davon, einige Aktivist_innen wurden für
mehrere Stunden zur Identitätsfeststellung festgenommen und
erkennungsdienstlich behandelt. Am Freitag sind fünf Aktivist_innen, die
sich auf dem Rückweg von der Kundgebung in Damme befanden, gewaltsam
von mehreren Zivilpolizist_innen gestoppt, kontrolliert, durchsucht und
eine Person vorrübergehend mit nach Nienburg ins Gewahrsam verschleppt
worden, da sie keinen Personalausweis dabei hatte.
Das gewaltsame und repressive Vorgehen der Polizei macht nur einmal mehr
deutlich, auf welcher Seite diese im Kampf für eine Gesellschaft frei
von Herrschaftsverhältnissen steht und welche Interessen sie gewillt
ist, zu verteidigen.
Seit geraumer Zeit plant PHW den Schlachthof in Holte auszubauen, um die
Schlachtkapazität von derzeit 140.000 auf 250.000 getötete Tiere pro
Tag zu erhöhen. Mit dieser und weiteren geplanten Erweiterungen von
PHW-Anlagen könnte Deutschland, das bereits jetzt hinsichtlich der
Schweine- und Rinderschlachtungen als das Schlachthaus Europas gilt,
dies auch bald für die Schlachtung von Vögeln erreicht haben. Dieser
Tendenz entgegen forderten die Campteilnehmer_innen, das Schlachten
mitsamt seiner negativen Folgen für Mensch, Tier und Natur unverzüglich
zu beenden. Unabdingbar, so ihre Forderungen weiter, ist in diesem Sinne
zugleich eine radikale Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse
im Ganzen. Ihren somit umfassenden Veränderungsimpetus stützen die
Aktivist_innen dabei auf kritische Gesellschaftsanalysen, die mitunter
im Theorieprogramm des Camps behandelt wurden.
Auf die Zusammenhänge zwischen Tierausbeutung und Kapitalismus sowie
mögliche Ansatzpunkte für eine grundlegende gesellschaftliche
Veränderung machte beispielsweise der Soziologe Dr. Athanasios
Karathanassis in seinem Vortrag “Kapitalismus, Wachstum und
Naturzerstörung” aufmerksam. Lobbyismus und Werbestrategien der
Tierindustrie legte hingegen die Philosophin und Aktivistin Dr.
Friederike Schmitz in ihrem Vortrag dar, während der
Politikwissenschaftler und Aktivist Christof Mackinger wiederum aus
seinem Buch “Radikale Ökologie” las. Anhand ausgewählter historischer
Beispiele verdeutlichte er Themen, Inhalte und Strategien einer ebenso
radikalen wie progressiven Ökologie-Bewegung.
Darüberhinaus wurden auf dem Aktionscamp Workshops angeboten, die sich
der konkreten Protestpraxis widmeten, so etwa zu kreativen
Aktionsformen, Streetart, Pressearbeit, Antirepression und zur
Anti-Pelz-Kampagne. Die Awarenessgruppe des Camps bot unterdessen
mehrfach offene Treffen an, um sich über die Awarenessarbeit und ihre
Grundlagen auszutauschen. In persönlicher Unterstützung und durch
erläuterndes Textmaterial halfen sie Diskriminierungen und
Machtstrukturen auch innerhalb des Camps kritisch zu beleuchten und
abzubauen. Einen musikalischen Zugang zur Gesellschaftskritik schafften
wiederum die Auftritte von Faulenz_A und Augustins Aufruhr.
Nicht zuletzt stellte die Kampagne gegen Tierfabriken, die das
Aktionscamp organisiert hat, in ihrem Vortrag “Hühner, Spitzel,
Widerstand” ihre vergangene und aktuelle Arbeit sowie einen Ausblick auf
zukünftige Arbeitsfelder und Strategien dar. Ob die Kampagne nach nun
drei durchgeführten Aktionscamps in Folge im kommenden Jahr erneut ein
Camp organisieren wird, wird nach einer gemeinsamen Auswertung mit allen
interessierten Campteilnehmer_innen und Unterstützer_innen des Camps
besprochen. Widerstand und Aktionen in der Region bleiben also bestehen –
wie wird sich zeigen.
Aktionscamp gegen Tierfabriken
Bildmaterial und weitere Informationen:
http://kampagne-gegen-tierfabriken.info/Aktionscamp/
Kontakt
Email: kampagne-gegen-tierfabriken@riseup.net