Anti-Legida-Demo am 3. August: Demonstranten und Augenzeugen werfen Beamten Gewalt vor / Polizei weist Vorwürfe zurück
Von Mark Daniel und Jürgen Kleindienst
Ein paar Scharmützel, ein paar Flaschenwürfe - ansonsten weitgehend
ruhig. So etwa lautete die Bilanz der jüngsten Legida-Demo am 3. August
in Leipzig, bei der 600 Teilnehmer und 1000 Gegendemonstranten gezählt
wurden. Laut verschiedener Beobachter haben sich jedoch in der Bose- und
Gottschedstraße offenbar Jagd- und Gewaltszenen abgespielt, die nicht
im offiziellen Polizeibericht auftauchen. Gegendemonstranten
beschuldigen die Beamten. Sie seien geschlagen worden, ihnen sei Gewalt
angedroht worden. Der Einsatz sei völlig unverhältnismäßig gewesen. Die
Polizei weist die Vorwürfe vehement zurück. Darüber, was an diesem Abend
passiert ist, gehen die Darstellungen massiv ausein-ander.
Demo-Teilnehmer, die sich erst jetzt gemeldet haben, und von der LVZ
befragte Augenzeugen wollen ihre Namen nicht nennen. Ihre Berichte
werfen jedoch Fragen auf. Andererseits liegen laut Polizei keine
Anzeigen vor.
Ist der Einsatz zum Teil aus dem Ruder gelaufen? Ja, sagt Friedrich
Rückert*, Anfang 20: "Wir hatten uns spontan zusammengefunden, niemand
war bewaffnet, niemand hatte etwas in der Hand, niemand war schwarz
gekleidet. Wir waren viele junge Leute, aber es waren auch erheblich
ältere dabei", berichtet er. Sie haben nur ein gemeinsames Ziel: Den
Legida-Rednern, die von "Asylanten-Flut", "Invasoren" und "Bürgerkrieg"
reden und ihren Mitläufern, die am Ende alle drei Strophen des
Deutschlandlieds anstimmen werden, lautstark entgegenzutreten.
Demonstrant: Leute wurden von Beamten geschlagen
Was in den nächsten rund zwei Stunden passiert, hat Rückert nachhaltig
verstört. "In der Bosestraße waren wir auf eine Polizeikette am Ring
zugelaufen. Plötzlich rannten 15 bis 20 Polizisten auf uns zu, schrien
'Verpisst euch', wir rannten in die andere Richtung, man hörte Schreie."
Während er selbst in Panik flüchtete, habe er mitbekommen, wie
Polizisten auf Leute einschlugen, die hingefallen waren. Rückerts
Beschreibung deckt sich mit einem Bericht der Leipziger Initiative
Demo-Beobachtung: "Die Einsatzkräfte traten und schlugen auf die sich
wieder in die andere Richtung bewegenden Menschen ein. Einzelne
Demonstrierende wurden zu Fall gebracht, eine Person wurde gezielt aus
dem Sprung heraus in den unteren Rücken getreten", heißt es in einer
Pressemitteilung. Die Polizeibeamten, so Rückert weiter, seien extrem
aggressiv aufgetreten. ",Haut ab', brüllten die immer wieder. Doch wohin
wir uns auch bewegten, überall gerieten wir wieder an Beamte, die das
Gleiche schrien."
In der Gottschedstraße entsteht so mehreren Berichten zufolge eine
bizarre Szenerie: auf der einen Straßenseite Schreie, Einschüchterungen -
auf der anderen Feierabendstimmung auf den Freisitzen. Dort sorgten die
Vorgänge für Fassungslosigkeit, wie eine Kellnerin des Sol y Mar
berichtet: "Unsere Gäste haben alles schockiert beobachtet. An einem
Tisch saß eine Familie mit Kindern, die große Angst hatten."
Prügelszenen will ein weiterer Beobachter gesehen haben, der sich zu
der Zeit an der Ecke Gottsched-/Zentralstraße aufhielt. "Ich sah, wie
eine Gruppe ganz junger Leute in der Zentralstraße von Polizisten
bedrängt wurde. Von den Demonstranten ging keinerlei Aggressivität aus.
Ich habe keine Flasche oder sonst etwas in ihren Händen gesehen. Doch
einzelne Polizisten schlugen zu", sagt der 36-Jährige. Mit der Faust sei
ein junges Mädchen von einem etwa zwei Meter großen Polizisten ins
Gesicht geschlagen worden. "Als zwei Jungs den Polizisten zur Rede
stellen wollten, schlug er auch auf sie ein. Ich war entsetzt", sagt er.
"Wir leben in einer Demokratie. Ich bin dafür, dass die Anhänger von
Legida ihre Meinung auf der Straße sagen können. Genauso bin ich dafür,
dass die Gegendemonstrationen stattfinden können. Aber so ein brutales
Auftreten der Polizei ist nicht hinnehmbar. Egal gegen wen. Als ich
gegenüber der Polizei mein Unverständnis zum Ausdruck brachte, wurde ich
nur barsch aufgefordert, die Straße zu verlassen." Ein Anwohner in der
Zentralstraße hat solche Prügelszenen nicht gesehen. "Ich sah nur, wie
ein Polizist einen Demonstranten ins Gebüsch schubste", berichtet er.
Später, es ist jetzt ungefähr 20.15 Uhr, wird ein Teil der Demonstranten
auf dem eingezäunten Parkplatz an der Ecke Bosestraße/Gottschedstraße
eingekesselt, um die Personalien aufzunehmen. Friedrich Rückert: "Wenn
wir telefonierten, wurden uns die Handys weggenommen. Die von anderen,
die zu filmen versuchten, wurden auf den Boden geworfen." Wer die
Verhältnismäßigkeit anzweifelte, habe unmissverständliche Ansagen von
den Beamten bekommen, berichtet er: "Wenn Sie noch einmal Widerworte
geben, führen wir das unter Gewalt durch. Dann schlafen Sie heute nicht
zu Hause." Es sei um Einschüchterung, Demütigung gegangen. Dazu noch
einmal die Kellnerin des Sol y Mar, die sah, wie einige auf dem
Parkplatz Eingekesselte über den Zaun zu klettern versuchten. "Sie
wurden von Polizisten zurückgerissen und verprügelt."
Polizei: Gewalt ging von Gegendemonstranten aus
Die Polizei widerspricht diesen Darstellungen entschieden: Die
Behauptung, Beamte hätten Personen vor den Augen erschrockener
Gaststättenbesucher verprügelt, "entbehrt jeglicher Realität und wird
entschieden zurückgewiesen. Gleiches gilt für den Vorwurf der
Sachbeschädigung durch Polizeibeamte; es wurden keine Mobiltelefone
entrissen, weggeschleudert oder zerstört", sagt dazu Polizeisprecher
Andreas Loepki.
Laut Darstellung der Polizei ist die Gewalt von den Gegendemonstranten
ausgegangen: Eine "offenbar dem NoLegida-Lager zuzuordnende Gruppe von
etwa 50 Personen" sei auf eine seitens der Polizei eingerichtete Sperre
getroffen. "Die Gruppe bewarf dort eingesetzte Beamte massiv mit
Flaschen sowie diversen Zuckerstreuern und Aschenbechern, welche von
Freisitzen in der Nähe befindlicher Lokalitäten entwendet wurden." Das
stimme definitiv nicht, sagt dazu wiederum Friedrich Rückert. Es habe
keinen Angriff der Gegendemonstranten gegeben.
Weiter heißt es seitens der Polizei: "Die ,Einkesselung von
Gegendemonstranten' war eine nachfolgende Identitätsfeststellung auf
strafprozessualer Grundlage, da die vorherige Handlung den Tatbestand
des Landfriedensbruchs nach §125 StGB erfüllt." Da eine ganze Reihe der
Tatverdächtigen versucht habe zu flüchten, "waren die Beamten aufgrund
der Verpflichtung zur Strafverfolgung berechtigt - auch durch Einsatz
unmittelbaren Zwangs -, dieses Verhalten zu unterbinden", so Loepki.
Aber: "Ein unverhältnismäßiges oder aggressives Auftreten wird
bestritten. Insofern entspricht es der Wahrheit, dass Personen vom Zaun
gezogen wurden."
Unvereinbar steht so Aussage gegen Aussage. Erst gegen 21.30 Uhr können
die Demonstranten gehen. "Wir haben einen Platzverweis für die gesamte
Innenstadt bekommen." Trotz dieser Erfahrung steht für Rückert fest: Er
wird auch bei der nächsten Gegendemo dabei sein.
*Name geändert, richtiger Name der Redaktion bekannt