Duisburg. Anwohner in Marxloh westlich der Weseler Straße haben sich in einem offenen Brief zu den ihrer Meinung nach unhaltbaren Zuständen im Stadtteil geäußert. Sie wollen, dass die Kanzlerin dies bei ihrem Besuch mitbekommt. Von Hildegard Chudobba
Die Verfasser des offenen Briefes sind gestandene Leute, größtenteils älter, selbstbewusst und überzeugte Marxloher. Sie wollen ihren Namen nicht nennen. Aus Angst! Zu oft haben sie schon zu hören bekommen: "Ich weiß, wo du wohnst" oder "Ich weiß, wo dein Auto steht", wenn sie sich bei denen, die ihrer Meinung nach den Stadtteil in Verruf bringen, beschwert haben.
Die meisten von ihnen sind schon auf offener Straße beklaut, von Kindern angespuckt, von Frauen beschimpft und von Männern belästigt worden. "Und alles haben wir hingenommen, weil wir wehrlos sind", sagen diejenigen, die sich nun anonym äußern. Die Verfasser des Briefes leben zum größten Teil westlich der Weseler Straße in dem Viertel zwischen Hagedorn-, Rolf- und Wilfriedstraße. Seit gut einem Jahr haben überwiegend Rumänen und Bulgaren dieses Quartier für sich entdeckt und prägen seitdem die Sitten und Gebräuche.
Egal ob Sonn- oder Feiertag, ob montags oder mittwochs, ob Weihnachten oder Ostern - ihr Leben spielt sich, wenn eben möglich, auf der Straße ab, und zwar vorwiegend abends und nachts. "Es wird dann so laut da draußen, dass ich mein Schlafzimmer schon nach hinten verlegt habe, nur, um Ruhe zu finden", sagt eine der Verfasserinnen des Briefes. Es werde laut gelacht und gestritten, geschrien und gekreischt, die Kinder tobten herum, und die Jugendlichen hingen in den Hauseingängen, um ihre Musik zu hören und sich unbeobachtet von den Erwachsenen zu amüsieren, und alle mit einer Lautstärke, "dass damit ein Party-Pegel weit überschritten wird", heißt es in dem Brief. Selbstverständlich werde dabei geraucht, gegessen und getrunken. "Und der Müll liegt anschließend auf den Bürgersteigen und Straßen."
Die Anwohner, die sich nun beschweren, sind meilenweit entfernt von jeder Form des Rassismus. Sie kamen in der Vergangenheit mit ihren überwiegend nicht-deutschstämmigen Nachbarschaft bestens aus, pflegen mit ihr Bekanntschaften oder sogar Freundschaften. "Aber egal ob deutsch- oder türkischstämmig - immer mehr wollen jetzt von hier weg", sagt eine Seniorin, die ihr Elternhaus inzwischen verkauft hat - "weil ich hier einfach nicht mehr leben kann."
Versuche, mit den Störenfrieden zu reden, seien vergebliche Liebesmüh. "Ich habe es sogar schon mit Fingersprache versucht, weil diese Leute vorgeben, kein Deutsch zu verstehen", sagt eine aus der Runde. Die Reaktion sei Ignoranz gewesen - im günstigen Fall. Häufiger werde man beschimpft und bedroht, und zwar auf Deutsch. "Neulich hat mich ein vielleicht gerade mal zweijähriges Mädchen bespuckt, weil ich nicht wollte, dass sie aus meiner Einkaufstasche meine Pfirsiche nimmt", erzählt eine ältere Marxloherin. "Nur wenn man dann "Polizia" ruft, hat man mal für kurze Zeit Ruhe." Einzelne Versuche von Anwohnern, die Behörden zum Handeln zu bringen, seien kläglich gescheitert. "Wir sollen uns ruhig verhalten, um uns nicht selbst zu gefährden. Das ist deren Tipp, wenn wir ihnen erläutern, warum wir Angst haben." In dem Brief heißt es: "Die Liste der angeführten, ablehnenden Argumente, die Zustände zu ändern und regulierend einzugreifen, ist mittlerweile lang und zeigt das mangelnde Verantwortungsbewusstsein gegenüber unseren Problem". Inzwischen überlegen die Verfasser, Strafanzeige zu stellen. "Denn wir kommen uns ausgeliefert vor. Und wir haben wirklich Angst." Es müsse dazu doch nicht erst einer von ihnen zusammengeschlagen werden. Wenn auf einem Gehweg zig Männer zusammenstehen und keiner Platz mache, damit man mit seinem Rollator durchkommt, dann verursache das mehr als nur ein ungutes Gefühl.
Keiner von ihnen bestreitet, dass in den vergangenen Jahren viel für Marxloh getan worden ist. "Aber das wird alles gerade wieder zerstört. Und wir fänden es ganz schrecklich, wenn Frau Merkel der Eindruck vermittelt wird, dass es hier eigentlich gar nicht so schlimm ist, wie es die Medien darstellen." In Wirklichkeit sei es doch noch viel schlimmer!