"Ruinieren Sie sich und Ihre Familie nicht!": Mit TV-Spots und Print-Anzeigen wollen europäische Länder Flüchtlinge fernhalten. Auch Deutschland zeigt auf dem Balkan bald einen drastischen Spot.
Das Flüchtlingsproblem lässt viele europäische Länder zu zweifelhaften Maßnahmen greifen. So will Ungarn an der Grenze zu Serbien einen vier Meter hohen Grenzzaun bauen. Tschechien sperrt illegale Flüchtlinge in Internierungslager. Andere Länder, wie Deutschland, wollen die unerwünschten Asylbewerber dagegen davon überzeugen, gar nicht erst aufzubrechen - mit Abschreckungskampagnen vor Ort.
Denn die Flüchtlingskrise hat sich in den vergangenen Monaten in Deutschland und anderen europäischen Ländern zugespitzt. Im ersten Halbjahr 2015 wurden laut Europäischem Statistikamt rund 400.000 Asylanträge in den 28 EU-Staaten gestellt, das sind fast doppelt so viele wie im Vergleichszeitraum 2014. Auch in Deutschland ist die Zahl drastisch gestiegen: Seit Jahresbeginn wurden fast 190.000 Asylanträge gezählt - ein Anstieg von mehr als 130 Prozent im Vergleich zu 2014.
Aber nicht nur Menschen aus Kriegs- und Krisenregionen strömen nach Westeuropa. Zehntausende machen sich aus Balkanstaaten auf den Weg. Ihre Anerkennungsquote ist gering. Trotzdem binden sie Kapazitäten der Behörden, die Bearbeitung aller Asylanträge dauert dadurch länger.
Vor allem an die Staaten des Balkan richten sich daher die Abschreckungskampagnen, die in mehreren europäischen Ländern derzeit angeschoben werden. Ein Überblick:
Deutschland: "Rückführungsvideo" soll Reiselust verderben
Ein Bus biegt im Nieselregen auf eine enge Auffahrt ein. Darin sitzen Dutzende Menschen, einige haben kleine Kinder dabei, ihre Habseligkeiten in Tüten verpackt. "Nicht wenige haben den falschen Versprechungen von Betrügern geglaubt, dass es einfach wäre, in Deutschland und anderen EU-Staaten als Asylbewerber zu bleiben und viel Geld zu verdienen", sagt eine Stimme aus dem Off.
Die Szene stammt aus einem TV-Spot, produziert von der Bundespolizei. Zu sehen sind abgelehnte Asylbewerber, die aus Deutschland abgeschoben werden. "Rückführungsvideo" nennt das Innenministerium den knapp vierminütigen Film, der jetzt veröffentlicht wurde.
Hier sehen Sie das Originalvideo der Bundespolizei:
http://www.spiegel.de/video/fluechtlinge-aufklaerungsvideo-des-innenmini...
In Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien soll er in den Landessprachen gezeigt werden - und Menschen davon abhalten, sich auf den Weg nach Deutschland zu machen. "Ruinieren Sie nicht sich und Ihre Familie finanziell und wirtschaftlich für eine Schleusung nach Deutschland", mahnt die Bundesregierung in dem Spot.
Das Video des Innenministeriums ist nicht die erste Aktion der deutschen Behörden, die sich an potenzielle Asylbewerber vom Balkan richtet. "Kein Wirtschaftsasyl in Deutschland" - diese Anzeige schaltete die deutsche Botschaft in Tirana in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Ende Juni in sechs großen Zeitungen in Albanien. "Aus wirtschaftlichen Gründen in Deutschland gestellte Anträge auf Asyl werden grundsätzlich abgelehnt", steht darin. "Suche nach Arbeit, Armut oder Krankheit werden als Gründe nicht anerkannt."
Laut BAMF kommen 42 Prozent der Asylbewerber in Deutschland seit Jahresbeginn aus Staaten des Westbalkans - also aus Serbien, Albanien, Mazedonien und dem Kosovo (den Hintergrund zur Balkan-Debatte finden Sie hier). Die meisten Balkan-Flüchtlinge stammen aus dem Kosovo und Albanien (zu den Irrtümern in der Debatte um Balkan-Flüchtlinge können Sie sich hier informieren).
Schweiz: "Information, nicht Abschreckung"
Die Schweiz versucht potenzielle Asylsuchende mit einem weniger drastischen Video abzuhalten. Neben Strichmännchen und allerlei Illustrationen ist darin Mario Gattiker, Direktor der Schweizer Migrationsbehörde, zu sehen. "Wir brauchen den Platz in unseren Unterkünften für bedrohte Menschen, die aus Krisenregionen stammen und unseren Schutz wirklich benötigen", sagt er. "Verfolgungssichere Länder aus dem Westbalkan gehören nicht dazu."
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) teilte dem "Tagesanzeiger" mit, das Video sei Teil von "Kampagnen zur Information, nicht zur Abschreckung". Damit sollten den Versprechungen von Schleppern über Arbeitsmöglichkeiten und öffentliche Wohltaten in Westeuropa "realistische Informationen" entgegengesetzt und über die Risiken einer illegalen Reise aufgeklärt werden.
Österreich: Zeitungsanzeigen gegen Schlepper
Niemand solle den Schleppern glauben, denn die wollten sich nur bereichern - so sollte eine Anzeige der österreichischen Regierung Fluchtwillige abhalten. Geschaltet wurde sie im Februar in den beiden größten Zeitungen im Kosovo. Darin sollte auch klargestellt werden, dass auf Asylsuchende in Österreich weder ein Arbeitsplatz noch eine Heimkehrprämie warte. Insgesamt 15 Mal wurde die Anzeige abgedruckt, die Kosten dafür sollen bei etwa 7000 Euro liegen.
Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) bekam bei einem Besuch im Kosovo von Premier Isa Mustafa nach einem ORF-Bericht Rückendeckung für die Aktion. Das Kosovo sei ein stabiles Land, das Sicherheit biete, sagte er. Mustafa betonte, dass die Menschen das Land nicht verlassen dürften. Die Regierung unternehme alles, um den Flüchtlingsstrom einzudämmen. Inzwischen hat Österreich den Kurs gegen Flüchtlinge noch deutlich verschärft.
Dänemark: Kein attraktives Ziel für Flucht
Dänemark hat ebenfalls eine Anzeigenkampagne zur Abschreckung angekündigt. Die Botschaft: Das Land ist für Flüchtlinge nicht attraktiv. Integrationsministerin Inger Støjberg von der liberalen Partei Venstre sagte laut einem Bericht des Deutschlandfunks, dass Länder wie die Türkei oder andere Knotenpunkte des Menschenschmuggels im Zentrum der Kampagne stehen sollen. Sie rechne damit, dass die Anzeigen einen Dominoeffekt hätten und sich zudem in den sozialen Netzwerken verbreiteten.
Bei der Parlamentswahl im Juni waren die Rechtspopulisten in Dänemark überraschend erfolgreich. Die rechtspopulistische Dänische Volkspartei DF holte 21 Prozent der Stimmen - sie verfolgt eine Anti-Ausländer-Politik und hatte im Wahlkampf damit geworben, gar keine Flüchtlinge mehr aufnehmen zu wollen. Die neue Regierung verfolgt diese Linie konsequent: Asylbewerber sollen ab September bis zu 45 Prozent weniger Unterstützung vom Staat bekommen.
Großbritannien: Vermietungsverbot für Menschen ohne Papiere
Die britische Regierung fährt ebenfalls einen harten Kurs gegen Flüchtlinge. Die aggressive Stimmung im Land wird durch die Bilder vom Euro-Tunnel angeheizt. Abend für Abend versuchen derzeit Flüchtlinge in der nordfranzösischen Hafenstadt Calais Züge zu erreichen, die durch den Tunnel unter dem Ärmelkanal nach Südengland fahren. Es gab bereits mehrere Todesfälle.
Premier David Cameron versucht es mit Abschreckung. Zwar ist noch keine Plakat- oder Videokampagne geplant, die Regierung kündigt aber medienwirksam immer neue Gesetze an, mit denen Asylbewerber abgeschreckt werden sollen. So dürfen Wohnungen künftig nicht mehr an Menschen ohne gültige Papiere vermietet werden, auch finanzielle Leistungen sollen gekürzt werden.
In einem gemeinsamen Beitrag mit ihrem französischen Amtskollegen warnte die britische Innenministerin Theresa May Flüchtlinge, falsche Erwartungen vom Leben in Europa zu haben. "Viele sehen Europa und besonders Großbritannien als einen Ort, der die Aussicht auf finanziellen Gewinn bietet", schrieb May. "Das trifft nicht zu - unsere Straßen sind nicht mit Gold gepflastert." Ähnlich äußerte sich Einwanderungsminister James Brokenshire: Man müsse jenen, die kommen wollen, zeigen, dass Großbritannien kein Land sei, in dem "Milch und Honig" fließe.
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