Manche Leipziger Vereine erhalten jährlich mehrere Zehntausend Euro, andere bekamen noch nie einen Cent: Stellen Richter und Staatsanwälte Strafverfahren gegen Zahlung einer Geldauflage ein, bestimmen sie auch, welche gemeinnützige Einrichtung profitiert. Dieses System ruft zunehmend Kritiker auf den Plan.
von sabine kreuz
Straftäter werden zu den Zahlungen verdonnert - im Gegenzug wird das
Verfahren eingestellt. Doch die Verteilung des Geldes erscheint manchen
nicht transparent genug. Zu den Kritikern gehört sogar der sächsische
Rechnungshof. Beklagt wird mangelnde Kontrollierbarkeit und die Gefahr
von Korruption, Missbrauch oder Vetternwirtschaft. Mit seiner Datenbank
will das Recherchebüro Correctiv nun die Zuwendungen in allen
Bundesländern transparent machen. Seiner Liste zufolge gingen die
meisten Überweisungen in Leipzig - 2007 bis 2013 - an die Vereine
Kinderhospiz Bärenherz und Elternhilfe für krebskranke Kinder (siehe
Tabelle).
Stefan Blaschke, Sprecher des Amtsgerichtes Leipzig und selbst
Strafrichter, weist sämtliche Verdächtigungen zurück. Es gebe hier
keinen Korruptionsfall. "Ich sehe auch keinen Änderungsbedarf. Jeder
Richter ist unabhängig und frei in seiner Entscheidung, welcher
Einrichtung die Geldauflage zugewiesen werden soll. Einziges Kriterium
dafür ist: Sie muss gemeinnützig sein." So sehe es der Paragraf 153a der
Strafprozessordnung vor.
Auf einer Liste, die das Oberlandesgericht Dresden (OLG) führt, stehen
aktuell 2383 gemeinnützige Einrichtungen. Alle hoffen auf den Geldsegen
aus dem Füllhorn Justiz, mit dem sie beispielsweise Spielgeräte für
Kinder anschaffen oder ein Fahrzeug finanzieren wollen. Doch nur ein
Drittel der Einrichtungen kommt in der Regel in den Genuss. 2012 wurden,
wie OLG-Vizepräsidentin Birgit Munz auf LVZ-Anfrage mitteilte, exakt
772 Einrichtungen bei den Geldzuweisungen berücksichtigt, 2013 waren es
849 und 2014 dann 825. Die Summe, die auf diese entfiel, betrug 2,7
Millionen Euro (2014), in den beiden Vorjahren jeweils 3,1 Millionen
Euro.
Regelmäßig gehen die Vereine im Amtsgericht Leipzig von Tür zu Tür -
wie andernorts. Um sich ins Gedächtnis zu bringen. Blaschke hält selbst
"dieses Klinkenputzen" für legitim. Zudem bekomme jeder Strafrichter pro
Monat zwischen zehn und 20 Schreiben von gemeinnützigen Organisationen -
nicht nur aus Leipzig, sondern aus ganz Deutschland. Es sei
Information, kein Anbiedern. Geschenke dürften freilich nicht angenommen
werden.
Problematisch jedoch wird es, wenn Staatsanwälte oder Richter ein
eigenes Interesse am Geldempfänger haben. So hatte ein Amtsrichter aus
Würzburg den Reitverein seiner Tochter und Ehefrau mit Tausenden von
Euro aus diesen Geldbußen unterstützt. In einem anderen Fall soll eine
Münchner Richterin tatkräftig mitgeholfen haben, dass ein Verein für
archäologische Ausgrabungen in Ägypten, bei dem sie selbst Mitglied war,
Beträge auf diese Weise erhielt.
Die Geldauflagen kommen aus mehreren Kanälen: Einerseits handelt es sich
um Summen, die beispielsweise Kaufhausdieb oder Schwarzfahrer zahlen
sollen, stellen Staatsanwaltschaft oder Gericht das Strafverfahren ein.
Geld für den guten Zweck zu überweisen, kann auch eine Bewährungsauflage
sein. Zudem werden Jugendliche mit Geldbußen belangt. Nicht zu
verwechseln sind diese Auflagen jedoch mit den von Gerichten verhängten
Geldstrafen - diese fließen ausschließlich in die Staatskasse.
Allerdings müssen Richter und Staatsanwälte keineswegs auf Vereine
dieser OLG-Liste zurückgreifen, sie können auch jede andere Einrichtung
wählen - sofern sie gemeinnützig ist. "Nicht registrierte Einrichtungen
waren jedoch nicht verpflichtet, eine Meldung über den zugewiesenen
Betrag und die eingegangene Zahlung gegenüber dem Oberlandesgericht
Dresden abzugeben. Eine statistische Erfassung dieser Fälle als
Grundlage für korruptionsvorbeugende Maßnahmen war damit nicht
gewährleistet", stellt der sächsische Rechnungshof (SRH) in seinem
jüngsten Bericht fest und mahnt an: "Die Lücken der
Korruptionsvorbeugung sollten geschlossen werden." Ein Weg dahin sei die
Einrichtung eines Sammelfonds. "Dieser würde die von den Beschuldigten
gezahlten Geldauflagen vereinnahmen. Mit der Auf- und Verteilung der
Mittel wäre ein unabhängiges Gremium zu beauftragen."
Dazu meint OLG-Vizepräsidentin Munz: "Ungeachtet des Umstands, dass
bisher keine Hinweise auf Korruptionsfälle vorliegen, wird die
Einführung eines sogenannten Sammelfonds für Geldauflagen durchaus
erwogen. Die Meinungsbildung zu dieser Frage ist justizintern derzeit
noch nicht abgeschlossen." Sie weist aber darauf hin, dass zur
verbindlichen Einführung eines solchen Sammelfonds eine Änderung der
entsprechenden bundesgesetzlichen Vorschriften nötig sei.
Das sieht auch das Justizministerium so: "Die Einrichtung eines
Sammelfonds ist rechtlich problematisch, da zum einen das Bundesgesetz,
auf dessen Grundlage die Zuweisungen erfolgen, einen solchen Sammelfonds
ausdrücklich nicht vorsieht, zum anderen den Richtern aufgrund der
ihnen verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit keine Vorgaben
zur Zuweisung von Geldauflagen an einen Sammelfonds gemacht werden
können", so Sprecher Jörg Herold. Insoweit werde das derzeitige System
beibehalten.
Geprüft werde noch die statistische Erfassung jener Zuweisungen an
Empfänger, die nicht auf der OLG-Liste stehen, meint Herold. Laut Munz
hat sich dabei aber bereits ergeben, "dass eine statistische Erfassung
mit Hilfe der hier verwendeten elektronischen Fachverfahren derzeit
nicht umsetzbar erscheint".
www.correctiv.org
Kommentar Von björn meine
Funktionierendes System erhalten
Läuft etwas Grundsätzliches schief im System der Bezuschussung von
Vereinen über Richter und Staatsanwälte? Sind es deren Lieblingsclubs,
denen Finanzen zugeschoben werden, wenn ein Strafverfahren gegen
Auflagen eingestellt wird? Wird gar der Korruption Tür und Tor geöffnet?
Ganz klar: Nein - die wenigen zweifelhaften Fälle lassen eine solche
Verallgemeinerung nicht zu. Kinderhospiz, Elternhilfe für krebskranke
Kinder, Verkehrswacht: Ein Blick auf die Liste der Empfänger in Leipzig
lässt keinen Zweifel aufkommen, dass hier die Richtigen zum Zuge kommen.
Über Jahrzehnte ist ein funktionierendes System entstanden. Man sollte
es nicht zerstören. Etwas mehr Transparenz und ein paar Nachjustierungen
schaden aber natürlich nicht.
b.meine@lvz.de