Berthold Seliger plädiert für die Abschaffung des gebührenfinanzierten Staatsfernsehens - Teil 1
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat 2014 durch den Rundfunkbeitrag über 8 Milliarden Euro eingenommen. Nach Meinung von Berthold Seliger kommen ARD und ZDF mit diesem Geld aber nicht ihrem staatlich verankerten Bildungs- und Informationsauftrag nach, sondern produzieren und senden niveaulose Unterhaltung und staatspropagandistische Berichterstattung. In seinem neuen Buch I Have A Stream plädiert er deshalb für ein Ende der teuren Kitschfabriken.
Herr Seliger, bildet das öffentlich-rechtliche Fernsehen die gesellschaftliche Realität in relevantem Maß ab oder verschleiert es eher unsere Zustände?
Berthold Seliger: Natürlich bildet das öffentlich-rechtliche Fernsehen die Realität nicht annähernd ab. Wenn das Luhmannsche Diktum stimmt, nach dem wir das, was wir über unsere Gesellschaft und über die Welt wissen, durch die Massenmedien erfahren, dann muss man sich damit auseinandersetzen, welche Realität das Fernsehen überhaupt anbietet - und wie sie erzeugt wird. Tatsache ist, dass das sogenannte öffentlich-rechtliche Fernsehen eine unpolitische Märchenwelt transportiert. Es zeigt nicht, was in der Politik oder in der Gesellschaft geschieht, und es erklärt nichts.
Und es bildet in dem Sinne auch nicht die Realität ab, als in den Fernsehfilmen nur Ober- und Mittelschicht, nicht aber die Unterschicht oder das Prekariat vorkommen - es sei denn stilisiert und stereotypisiert. Die Kitsch- und Märchenwelt, die das deutsche Staatsfernsehen durch Firmen wie Degeto darstellt, beinhaltet nicht die Realität und bietet nichts, was den Leuten, die in dieser Realität zu leben haben, auf irgendeine Weise weiterhelfen könnte.
Das Interessante dabei ist, dass es für das öffentlich-rechtliche Fernsehen ja ein Gesetz gibt, in dem die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Fernsehens eindeutig geregelt sind: den Rundfunkstaatsvertrag. Dort steht, dass die Angebote der "Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen" haben und Beiträge "insbesondere zur Kultur" anbieten sollen. Diese Kriterien werden eindeutig nicht erfüllt - einzig das vierte Kriterium, nämlich Unterhaltung, wird permanent und drastisch übererfüllt. Wir haben es also beim öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehen eigentlich mit einem ständigen Gesetzesverstoß zu tun.
Schlechtes Kitschfernsehen
Ich bin in den Siebziger und Achtziger zu meinem Vorteil viel vor dem Fernseher gesessen: Wann hat denn der Trend zu diesem viel schlechteren Fernsehen angefangen?
Berthold Seliger: Man muss sich davor hüten, sich das Fernsehen dieser Zeit als die ideale Bildungsanstalt vorzustellen, denn die Problematik als Manipulationsmedium und Ideologiemaschine war auch damals vorhanden. Dennoch war das Fernsehen der Siebziger Jahre durchaus besser: Es wurden Fragen gestellt, die heutzutage in unserer niedlichen Fernsehwelt nicht mehr beantwortet werden, es gab anspruchsvolle Kindersendungen wie die "Rappelkiste", es gab Bildungsfernsehen in den dritten Programmen, und es gab Leute, die anspruchsvolle Fernsehfilme und Dokumentationen gemacht oder interessante Gespräche geführt haben, wie es auch selbstbewusste Redakteure und Redaktionen gab.
Der große Dammbruch war die Einführung des Privatfernsehens, welches ja auch eine politisch gewünschte und nachgerade herbeigeführte konservative Funktion besitzt. Eigentlich hätten aber die durch Zwangsgebühren finanzierten Öffentlich-Rechtlichen hier sagen können: "Lass die ihren durch Werbeeinnahmen gesponserten Mist zeigen, während wir unser anspruchsvolleres Fernsehen machen." Doch das Gegenteil ist eingetreten: Sie haben sich am Privatfernsehen orientiert, haben es imitiert und haben dem nachgeeifert, was die Privaten sowieso besser können, nämlich schlechtes Kitschfernsehen.