Proppenvolle Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge spaltet die Ellwanger

Erstveröffentlicht: 
27.07.2015

Ellwangen. Vor vier Monaten ist die Landeserstaufnahmestelle in Ellwangen eröffnet worden. Das hat die Bürger polarisiert: Die einen ärgert die massive Überbelegung. Die anderen spornt das an zu helfen.

 

Noch ist es kühl im Schatten vor dem Café. Die Altstadtzeile gegenüber heizt sich aber schon auf, wieder ein heißer Tag. Das Treiben in der Spitalstraße ist gedämpft. Mütter im langsamen Geh- und schnellen Plaudertempo schieben Kinderwägen vorbei, aus dem Auto heraus scherzt ein Fahrer mit Passanten. Ellwangen mit seinen 24 000 Einwohnern wirkt vertraut, geordnet. Nur das einstige Kaufhaus „Woha“ mit den abgeklebten Fenstern fällt aus dem Rahmen. „Refugees welcome“ steht da und: „Wir sammeln für die LEA“. Bürger geben Kleider ab, Freiwillige bringen sie in die Reinhardt-Kaserne: Dort, am Stadtrand, kommen Woche um Woche hunderte Flüchtlinge an. Seit März ist dort eine Landeserstaufnahmestelle (LEA) untergebracht.

 

Das hat die Gemeinde verändert, sagt OB Karl Hilsenbeck. Der Blick aus dem Fenster seines Büros geht hinüber auf das „Woha“. Auf dem Schreibtisch stapeln sich Akten, ein Ficus spendet bescheidenes Grün. Der drahtige Mann, 57 Jahre alt, parteilos, ist seit 16 Jahren Schultes der Ostalbkreis-Stadt. „Bei uns läuft es gut“, sagt er. Wirtschaftsboom, Vollbeschäftigung, Tourismus-Plus – „hervorragende Perspektiven“. Daran habe die LEA nichts geändert. Dass das Lager spürbar sein wird, sei klar gewesen. Aber dass es so geballt kommt? Feuer-Fehlalarme, Polizeieinsätze, Ruhestörungen, Ladendiebstähle. Die Stimmung polarisiere sich.

 

„Der LEA-Betrieb ist nicht, wie er angedacht war“, sagt der OB. „Das ärgert die Leute.“ Mit dem Land sei vereinbart: 500 Flüchtlinge, höchstens 1000 sollten kommen. Nun sind es mehr 1600. „Ich verstehe das Land. Mit solchen Flüchtlingszahlen hat keiner gerechnet.“ Aber die Zustimmung des Gemeinderats zur LEA sei ein „Riesen-Zugeständnis Ellwangens“. Nun müsse das Land den Vertrag auch einhalten.

 

Zurück auf der Straße: Im Brunnen baden Kinder aus der LEA. Heiterkeit, Mütter lachen, ein Vater macht Handyfotos. Wer ohne viel Habe ankommt, besitzt zumindest ein Smartphone – als Verbindung zur Heimat, als mobiles Fotoalbum und als Internetzugang. Ahmad Tamim sitzt auf einer Treppe. Der 28-Jährige nutzt das freie W-Lan der Stadt wie viele Flüchtlinge. Tamim lebt seit drei Wochen in der LEA. Ellwangen gefällt dem Krankenpfleger aus Damaskus. Nur wüssten das nicht alle Flüchtlinge zu schätzen. „Sie trinken, machen Probleme, werfen Müll auf den Boden“, sagt er. Ärgerlich sei das.

 

Ein Bummel vorbei an Läden, Cafés, Marktständen. „Diebstähle hat es früher auch gegeben“, sagt die Gemüsefrau. „In so einer Situation schiebt man das schnell auf die Flüchtlinge.“ Die Supermarkt-Verkäuferin sieht das nicht so entspannt. Die Inventur zeige, dass mehr geklaut wird – trotz Extra-Securityeinsatz. „Ich sage nichts gegen die Leute, da sind viele nette dabei. Aber es gibt eben die üblichen fünf Prozent, die sind nicht nett.“

 

Von der B 290 gibt es eine Abzweigung zum hinteren Kasernenteil – im vorderen Bereich sitzt das Sprachenzentrum Süd der Bundeswehr. Berthold Weiß wartet an der Pforte. Der Verwaltungsfachmann, seit 16 Jahren Grünen-Stadtrat, wollte diese Stelle als LEA-Leiter. „Interessanter Job, super Aufgabe, gesellschaftlich wichtig“, sagt der 52-Jährige, nun im maximal-spartanisch eingerichteten Büro angekommen. Plan war, „das Ding bis Juni langsam auf 600 bis 700 Mann Kapazität aufzubauen“. Doch die Unterkunft war schnell überfüllt. Ein Kraftakt für die 160 Leute, die sich um den LEA-Betrieb kümmern. Vieles habe man optimiert bei Registrierung, erkennungsdienstlicher Erfassung, Gesundheitscheck und Asylantragstellung. Aber: „Irgendwann kann man nicht mehr optimieren.“

 

Für vier Monate Betrieb laufe es erstaunlich gut – und friedlich. Als sich kürzlich zwei Gruppen von je 150 Leuten feindselig gegenüberstanden, waren es nur zwei Streithähne, hinter denen sich einerseits Syrer, andererseits Algerier gesammelt hatten. Einer der beiden hat es mit Querelen mittlerweile allein auf drei Zeitungsmeldungen gebracht.

 

Weiß führt übers Gelände. Familien sitzen im Schatten. Neben dem Bau für Sportangebote und Sprachunterricht wird Tischtennis gespielt. Als Weiß den „Hotelbetrieb“ erreicht – Infotheke, Zimmervergabe, Wäscheausgabe –, spricht ihn ein Mann an. Er soll verlegt werden, dabei hat er seinen Asylantrag noch nicht gestellt. „Das passiert oft“, sagt Weiß. Das Bundesamt für Flüchtlinge könne aus Bewerbermangel Stellen nicht besetzen. So werden Flüchtlinge ohne Asylantrag verlegt. Sie erhalten später Termine und müssen dann nach Ellwangen zurückkehren.

 

„Leute aus den Balkanstaaten bekommen alle einen Termin“, sagt Weiß. Sie haben kaum Chancen auf Anerkennung und sollen deshalb schnell abgeschoben werden. Das Ziel: Platz schaffen für die Bewerber mit besseren Aussichten. Nur: Diese Menschen warten nun länger auf den Bescheid – das frustet. „Uns bleibt nur die Wahl zwischen Pest und Cholera“, sagt Weiß. Die Leute da zu behalten, bedeute, keine Plätze mehr vergeben zu können. Schon jetzt stehen Betten, wo Kinder betreut werden sollten. Gut 60 Freiwillige arbeiten für die LEA, Tendenz steigend. Weiß macht das Mut. „Das sehe ich als Zeichen, dass die Stimmung ins Positive kippt.“ Auch die Dankbarkeit der Flüchtlinge motiviere ihn: Sie könnten nun durchatmen – auch, wenn das LEA-Leben nach europäischen Maßstäben spartanisch ist.

 

Zurück Richtung Zentrum: Ziel ist das Jugendzentrum. Am Tischkicker steht Thinesh Selvaratnam, Gymnasiast und aktiv beim Freundeskreis Asyl. Mit anderen hat er im Oktober die Jugendsparte „World family“ initiiert, um freitags Asylbewerber aus zwei Gemeinschaftsunterkünften einzuladen – LEA-Flüchtlinge erreichen sie nicht, die sind zu kurz da. „Wir sind für den spaßigen Teil zuständig“, sagt er. Das Jugendzentrum lade dazu ein, „abzuschalten und ins Gespräch zu kommen“.

 

Der 20-Jährige – seine Eltern kommen aus Sri Lanka – hat selbst schon Situationen erlebt, in denen Leute dachten, er sei ein Flüchtling. Es endete mal absurd, mal befremdlich – wobei stets ein paar Wörter in akzentfreiem Hochdeutsch reichten, um Weltbilder zu erschüttern. Nicht mehr lustig sei, was auf einschlägigen Facebook-Seiten passiere: „Das ist heftig, was da zur LEA gepostet wird.“ In der Stadt erlebe man nichts dergleichen. Doch mancher rufe in den Facebook-Foren schon auf, „mal was zu machen“, berichtet Selvaratnam. „Wir hoffen, dass es nicht soweit kommt.“