Anschläge auf Böhlener Asylheim

Erstveröffentlicht: 
16.07.2015

Wurde zwei Mal auf das Apart-Hotel geschossen?

 

Von André Neumann


Böhlen. Das Apart-Hotel in Böhlen (Kreis Leipzig), das Sachsen als Erstaufnahmeeinrichtung für bis zu 180 Asylbewerber nutzt, ist zur Zielscheibe von Anschlägen geworden. Unklar ist, welche Art von Waffen bei den zwei Vorfällen am Wochenende benutzt worden waren, die erst gestern bekannt wurden. Mehrere Elemente der gläsernen Fassadenverkleidung bis über die obere Fensterreihe hinaus gingen zu Bruch. Auch eine Scheibe soll getroffen worden sein. Knapp 150 Asylbewerber befanden sich zu der Zeit in dem Hotel.


Zum ersten Mal hatte der Wachdienst in der Nacht zum Sonnabend ungefähr eine Viertelstunde nach Mitternacht die Polizei in Borna gerufen. Die Rede war von Schüssen. Vor Ort fanden die Beamten die geborstenen Fassadenteile, Hinweise auf den tatsächlichen Einsatz einer Schusswaffe gab es zunächst nicht. In der Nacht darauf ging gegen 0.45 Uhr der nächste Alarmruf ein. Wieder sollten Schüsse gefallen sein, wieder waren die Beamten des Polizeireviers Borna die ersten, die den Tatort sicherten, ehe das Operative Abwehrzentrum Sachsen, zuständig für Extremismusabwehr, die weiteren Ermittlungen übernahm.


Bürgermeisterin spät informiert


Hotelbetreiber Wolfgang Seifert war gestern zu keiner Stellungnahme zu den Vorfällen bereit. Vor dem Hotel herrschte scheinbar friedlicher Alltag. Ein Bediensteter fegte vor dem Haus; eine Gruppe Asylbewerber saß auf Garten- stühlen in der Sonne. Mehrere Medienvertreter warteten vor dem Gebäude; ein Streifenwagen der Polizei rollte an.


Etwa zur selben Zeit telefonierte Böhlens Bürgermeisterin Maria Gangloff (Linke) mit dem Leipziger Polizeipräsidenten Bernd Merbitz. Und berichtete diesem zuerst von der neuerlichen Informationspanne. Denn von den Anschlägen am Wochenende in ihrer Stadt erfuhr die Bürgermeisterin erst gestern bei ihrem wöchentlichen Treffen mit den Betreuern der Asylbewerber, an dem diesmal auch Hotelbetreiber Seifert teilnahm, der sie fast beiläufig über die Vorfälle informierte. Nach dem Gespräch mit Merbitz geht Gangloff davon aus, "dass es sich nicht um scharfe Schusswaffen" handelte. Dennoch sieht sie mit den Anschlägen, bei denen auch Menschen hätten verletzt werden können, "eine Stufe der Eskalation" erreicht. "Das ist kein dummer Jungenstreich, sondern eine gezielte Aktion", sagte sie der Leipziger Volkszeitung. Vom nächsten Treffen mit dem Vizepräsidenten der Landesdirektion, Polizeivertretern der Polizei und dem Hotelbetreiber morgen erwarte sie genauere Informationen.


Holm Felber, der Sprecher der Landesdirektion Sachsen, die für den Freistaat die Plätze im Apart-Hotel Böhlen auf unbestimmte Zeit als Erstaufnahmeplätze angemietet hat, äußerte sich gestern zurückhaltend und verwies auf die Ermittlungen der Polizei. Diese wollte Fragen zu möglichen Waffen und zum Tathergang aus ermittlungstaktischen Gründen nicht beantworten. Felber: "Falls es tatsächlich ein Anschlag mit Schusswaffen war, steckt dahinter eine kriminelle Energie, gegen die man machtlos ist."


Politiker sehen neue Eskalationsstufe


Die Linken-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel urteilte schneller: "Wieder wird in Sachsen eine neue, erschreckende Stufe der Gewalt gegen Geflüchtete erreicht. Sie forderte von der Regierung, "für die Sicherheit an Unterkünften von Asylsuchenden zu sorgen". "Ich bin entsetzt", sagte Petra Zais (Grüne). Die Regierung - und in erster Linie Innenminister Markus Ulbig (CDU) - müsse sich vorwerfen lassen, die rassistische Gefahr lange verharmlost zu haben. Die Grünen forderten die Regierung zudem auf zu prüfen, ob sogenannte Bürgerwehren - wie die in Freital - verboten werden könnten. "Es ist erschreckend und zutiefst beschämend für uns alle, dass Menschen hier aufgrund ihrer Herkunft Angst haben, weil sie an Leib und Leben bedroht werden", sagte die designierte Generalsekretärin der SPD Sachsen, Daniela Kolbe. Uwe Wurlitzer (AfD) erklärte, man verurteile ausdrücklich jede Art von Gewalt gegen Asylbewerber und Asylbewerberheime.