Wie Gipfel-Gegner und die Einwohner von Garmisch-Partenkirchen zusammenleben
Ach, was hat man doch schlimmes gehört aus diesem Garmisch-Partenkirchen, im tiefsten, konservativen Bayern, wo die G7-Gegner ihre Zelte aufschlagen wollten, um gegen das Gipfeltreffen der sieben mächtigsten Staatschefs zu demonstrieren: Keiner im Ort wolle die Gäste – weder die Regierungschefs noch den Protest. Der Gastwirt, der seine Wiese für die Gipfelgegner zur Verfügung gestellt hat, wurde angefeindet: Die Scheune seines Nachbarn wurde besprüht: »Heimatverräter« – die Sprüher hatten sich im Gebäude vertan.
Wenn man in Garmisch-Partenkirchen ankommt, bewahrheitet sich nur ein Aspekt, über den man zuvor in den Medien gelesen hat: Es gibt eine massive Polizeipräsenz. In jeder Straße fahren sie umher, stehen herum, kontrollieren willkürlich, aber die Beamten regeln auch den Verkehr, wenn sich wie am Freitag spontan eine Demonstration aus dem Camp zum George-C.-Marshall-Center aufmacht, wo eine Kundgebung angemeldet war gegen das dort ansässige deutsch-amerikanische»sicherheits- und verteidigungspolitische Studienzentrum«.
Was man in ersten Gesprächen mit Anwohnern aber erfährt, zerstört das Bild, das man sich durch Medienlektüre aufgebaut hat. Eine fast 80-Jährige, die zum Protest-Camp mit ihrem Fahrrad nun schon zum zweiten Mal Kuchen bringt, streitet sich auf ihrem Weg mit Polizisten, die sie aufhalten, um ihren Korb zu kontrollieren. »Was meinen Sie, was ich da drin habe? Eine Bombe?« Die Gipfelgegner seien schon vorab als »Straftäter« gebrandmarkt worden, schimpft sie. »Ist es ein Verbrechen, seine Meinung zu äußern?« Seit Wochen erlebe sie einen Polizeistaat. Mit Demokratie habe das nichts zu tun.
Drei Viertel der Garmisch-Partenkirchener seien gegen die Ausrichtung des G7-Treffens in der Region. »Aber wir wurden nicht gefragt.« Alle Gäste hätten ihre Buchungen für diese Tage storniert, als sie von dem Gipfeltermin in Elmau hörten, sagt eine Vermieterin von Ferienwohnungen. Schon Anfang des Jahres 2015 war für sie klar: »Bei mir werde ich nur Gegner übernachten lassen.« Tatsächlich ist im Verhältnis zu anderen Wochenenden wenig los in Garmisch-Partenkirchen. Die Touristen bleiben aus. Der örtliche Juwelier nutzt die Tage zur Renovierung seiner Geschäftsräume. Der Inhaber eines Dönerladens macht am Freitag vor dem Gipfel kaum Umsatz und wird in den beiden darauffolgenden Tagen schließen. Nein, nicht weil er Angst vor Demonstranten habe, »die Leute vom Camp sind nicht das Problem«. Es lohne sich finanziell einfach nicht. So habe er mal zwei freie Tage, freut er sich.
Seit das Camp aufgebaut wird und immer mehr Aktivisten vor Ort sind, vor denen Politik, Polizei und Presse gewarnt haben, kommen auch Anwohner, um sich die »jungen Leute« und ihr Zeltlager anzusehen. Das Leben auf dem Camp und die geschaffene Infrastruktur fasziniert viele. Alles sei so gut organisiert und an alles gedacht. Sogar die Mülltrennung funktioniere besser als bei den Bewohnern im Ort.
Für viele Besucher des Camps ist es fremd, dass offene Fragen mit allen gemeinsam diskutiert und so Entscheidungen gefällt werden – anstatt durch einen Chef. So wurde beispielsweise beschlossen, dass Pressevertreter mit Kameras das Campgelände nicht betreten dürfen. »Die Jungen werden das schon richtig machen«, meint eine ältere Besucherin. »Sie haben ihr Leben noch vor sich und müssen dafür eintreten, dass die Welt nicht zugrunde geht.«
Auch von einem Camper als »alternative Dorfjugend« charakterisierte Jugendliche kamen in das Zeltlager und machten es sich dort bequem; ebenso Trachtenträger aus der Stadt, die dort bis spät in die Nacht ihr Bier tranken. Wiederholt kommen auch Anwohner mit Angeboten wie diesem: »In meinem Garten können noch zehn Personen zelten. Waschen können sie sich in meiner Wohnung.
Die Welt, die man dieser Tage in Garmisch-Partenkirchen erlebt, ist eine andere als die, die durch Medien in den vergangenen Wochen und Monaten vermittelt wurde. Es ist jedes Mal wieder beeindruckend, solchen Zuspruch aus der Bevölkerung zu erleben, wie man das von vergangenen Camps kennt – beispielsweise in Reddelich bei Heiligendamm, wo der G8-Gipfel 2007 stattfand oder beim Blockupy-Camp 2013 in Frankfurt am Main.
Das zeigt die Notwendigkeit solcher Proteste. Sie ändern nicht grundlegend die Verhältnisse im konservativen Oberbayern. Aber der gelebte Ferienkommunismus auf dem Stop-G7-Camp, das Engagement von so vielen Menschen, die für ihre politischen Interessen kämpfen, wird der einen und dem anderen in Erinnerung bleiben und ein wenig Einfluss auf ihre weiteren Lebenswege haben.