Der erste Einschlag in Leipzig erfolgte vor nunmehr fast einem Jahr. Am 27. Juni 2014 kracht es kurz nach 2 Uhr an der Ausländerbehörde in der Pragerstraße, bald am Bürgerbüro der Grünen und der CDU. Farbbeutel, Steine mitten in der Nacht und Bekennerschreiben auf Indymedia. Dann zieht kurzzeitig etwas Ruhe ein. Bis am 8. Januar eine Gruppe von 50 Personen am Polizeiposten in Connewitz auftaucht und eine Reihe von weiteren Übergriffen einleitet. Nach der Nacht vom 5. Juni 2015 ist nach wenigen Taten nun wieder Zeit für starke Worte.
Seit einem Jahr ist in Leipzig eine sich aufschaukelnde Situation zu beobachten. Während die seit 2011 stetig um rund 10.000 Menschen jährlich wachsende Messestadt mit ihren Polizeibeamten zunehmend haushalten muss und nachweislich unterbesetzt agiert, mehren sich die Übergriffe gewaltbereiter Linksextremer. Meist auf Gebäude, Polizeistationen, Gerichte, Banken – die Insignien der Macht stehen im Zentrum der Aktivitäten einer offenkundig organisiert agierenden Gruppe.
Eine Vielzahl von Bekennerschreiben belegen den Willen der seit damals von etwa 20 auf mittlerweile bis zu 100 Personen starken Vereinigung, welche Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzungen in Leipzig etabliert hat. Immer geht es dabei um Asylrecht, staatliches Gewaltmonopol und als sichtbare Vertreter – die Polizei. Mal, wie beim Angriff von 50 Vermummten auf die Polizeistation am Wiedebachplatz, welcher mit dem Todestag von Oury Jalloh gerechtfertigt wurde. Der Dessauer war vor genau 10 Jahren unter polizeilicher Aufsicht in seiner Zelle verbrannt. Dann gab es einen erneuten Angriff auf die Ausländerbehörde Leipzigs, im Bekennerschreiben danach ging es um die rigide Abschiebepraxis in Sachsen. (siehe Chronik am Ende).
Das Muster ist bei allen Aktionen gleich
Eine Gruppe taucht urplötzlich auf, Gebäude werden beschädigt, die Polizei ist überrascht und anschließend ratlos. Seit einem Jahr gibt es zu den Vorgängen an der Ausländerbehörde Pragerstraße ebenso keine Ermittlungserfolge, wie zu den Überfällen auf Polizeistationen oder zu den Tätern innerhalb einer Spontandemo am 15. Januar 2015. Dabei hatte eine Gruppe aus der 600 Personen starken Spontandemo vom Leipziger Zentrum kommend am Amtsgericht in der Bernhard-Göring-Straße randaliert, hatte die ersten Polizeifahrzeuge attackiert und war anschließend verschwunden.
Der Einsatzpolizei, teils in Zivil und spät am Einsatzort erschienen, blieb nur, etwa 100 verbleibende Personen fünf Stunden lang in einem Kessel zu halten, die Mobiltelefone und die Personaldaten der mutmaßlich nicht an den Übergriffen Beteiligten einzusammeln. Zwei Verhaftungen folgten noch am Abend, bis heute sind keine weiteren Ergebnisse bekannt. Stattdessen gab es im Nachgang Ärger seitens der Datenschützer, da die lange Dauer des Einbehaltes der Telefone fraglich wurde.
Kraftmeiereien und Abwiegeln statt politischer Kurskorrekturen in Sachsen
Wie nach jedem Vorfall dieser Art meldet sich die Politik über alle Parteien hinweg. Was der Politik in Leipzig bleibt, sind die immer gleichen Statements, um sich von einer Gewalt abzugrenzen, deren Eindämmung mit politischen Mitteln auf kommunaler Ebene kaum möglich scheint.
Interessant sind unter all den gutgemeinten Statements gegen Gewalt, Kriminalität und solche Übergriffe eigentlich nur die seitens der CDU und neuerdings auch der SPD auf Landesebene. Nur diese beiden Regierungskoalitionäre haben in unterschiedlicher Machtverteilung die Möglichkeiten, auf gleich mehreren Ebenen zu wirken. Auf der Ebene der Polizeistrukturen selbst, der Umsetzung des Asylrechtes in Sachsen und der Präventionsarbeit. Federführend in beiden Fragen das CDU-geführte Innenministerium mit Markus Ulbig an der Spitze. Vertreten wird dieser meist in den Äußerungen nach Vorkommnissen wie dem vom 5. Juni durch Christian Hartmann, innenpolitischer Sprecher der CDU-Landesfraktion und Kandidat für die Nachfolge auf dem Innenministerposten.
Weiterhin fehlende Polizisten auf allen Ebenen
Dem gelernten Polizisten fiel just heute ein, dass die CDU sich „für eine erhöhte Polizeipräsenz in der Messestadt einsetzen wird. Gleichzeitig ist zu überlegen, das Operative Abwehrzentrum um eine Komponente zu verstärken, die sich konkret mit der Aufklärung von Straftaten des linksextremen Spektrums in Leipzig befasst“. Der Laie hat was zum Aufregen, weil er vermutet, das würde nicht geschehen und der Fachmann lacht an dieser Stelle. Das Operative Abwehrzentrum (OAZ) unter der Leitung des Leipziger Polizeipräsidenten Bernd Merbitz ist von Beginn an mit Ermittlungen in alle extremistischen Richtungen, also auch gegen Linksaußen beauftragt.
Doch offenbar fehlt es, wie bei der Einsatzpolizei auch hier an Personal und der Kompetenz einer frühzeitigen Lageanalyse trotz des Abbaustopps der neuen Koalition in Sachsen. So ist es wenig überraschend, dass im Umfeld des G7-Gipfels im bayrischen Elmau und einer Gruppe gewaltbereiter Linksextremer in Leipzig Aktionen zu erwarten waren. Doch selbst jetzt – trotz eines eindeutigen Frontbanners der Aktion, wird noch gemutmaßt und orakelt, es könnte sich um eine Aktion in diesem Zusammenhang handeln. Anfang 2015 hatte zudem der MDR von einer abnehmenden Zahl von Fallbearbeitungen im Landeskriminalamt Sachsen berichtet. Die Beamten werden auch dort der Menge der Vorgänge längst nicht mehr Herr, ganz gleich um welche Delikte es sich handelt. Der Verfassungsschutz Sachsens steht schon seit Jahren im Verdacht, irgendwie nicht auf der Höhe des Gefechtes zu agieren.
Wie dreist jedoch diese Aussage Hartmanns selbst eingefleischten Law-and-order-Freunden vorkommen muss, zeigt der Vorgang am 21. Januar 2015 im Leipziger Stadtrat. Da verkündete Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung eine ablehnende Antwort von Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich auf seine Bitte nach mehr Polizeibeamten in Leipzig. Vielleicht sollte Leipzigs OBM einfach noch einen Brief schreiben – so alle halbe Jahre?
Ein eher vergiftetes Lob
Kein Wunder eigentlich, dass der sächsische CDU-Innenexperte die unterbesetzte Leipziger Polizei und den persönlich am 5. Juni herbeigeeilten Bernd Merbitz für ihren Einsatz lobt, eine Entschuldigung wäre dennoch angebrachter. Denn der Ruf auch des Leipziger Polizeipräsidenten nach mehr Polizei in Leipzig ist noch älter. Er datiert auf Ende 2013, ebenfalls im Leipziger Stadtrat im Rahmen der sicherheitspolitischen Stunde durch Bernd Merbitz persönlich vorgebracht. Die Leipziger Polizei selbst äußert sich derzeit, was den sofortigen Erfolg vor Ort betrifft, eher zurückhaltend gegenüber der Presse. Man hätte die Gruppe der 100 Personen „zerstreuen können“ hieß es gegenüber N24. In der Pressemitteilung formuliert man, „in der Wächterstraße löste sich die Ansammlung in alle Richtungen auf. Ein Mann konnte festgenommen werden.“ Während die erste Äußerung, welche später getroffen wurde, offensiv klingt, steht in der Mitteilung vom Samstagmorgen wohl der wahrere Satz.
Die eingesetzten Beamten hatten kaum eine Chance, Verhaftungen vor Ort vorzunehmen, die Selbstverteidigung der eintreffenden Beamten stand, wie schon am 15. Januar 2015 erneut im Vordergrund. Von 100 Personen eine festhalten zu können, zeugt von einem defensiven Einsatz.
Nun sei nicht auszuschließen, „dass diese Aktion auch eine Resonanzreaktion auf die hohen Sicherheitsvorkehrungen des G7-Treffens sein kann.“ Wer lesen kann, liest das Transparent (Bild) und weiß, dass es so war. Was also soll der Satz bedeuten? Dass nun nicht genügend Polizei in Leipzig war, weil diese alle ein Schlösschen in Bayern bewachen? Oder dass man überrascht bleibt? Auch darüber, dass zunehmend die Polizei Ziel von Gewalt wird?
Unaufgearbeitete Konflikte
Dazu besteht in Leipzig längst kein Grund mehr. Eine Häufung der Übergriffe, wie die beschriebene seit Anfang 2014, fällt nicht vom Himmel, die Radikalisierung einer Szenerie geschieht nie ohne Kontextrahmen einer Gesellschaft. Neben der Tatsache, dass die bisherigen Übergriffe von linksextremer, gewaltsuchender Seite weitgehend folgenlos für die Täter blieben, haben sich weitere Vorgänge ins kollektive Gedächtnis geschlichen. Die mindestens drei gravierenden Härtefälle von Einsatzbeamten gegenüber nicht gewalttätigen, als links eingeordneten Anti-Legida-Demonstranten und einem Journalisten sowie die Fraternisierung von wenigstens drei Einsatzbeamten mit rechtsextremen Kreisen im Umfeld ihrer Legida-Einsätze.
Darüber hinaus gilt Sachsen längst als Abschiebeland Nummer 1, noch vor Bayern. Die Fälle der Abschiebung einer hochintegrierten Tschetschenin aus Leipzig und zuletzt der Abschiebeversuch einer syrischen „Vorzeigefamilie“ aus Stollberg im Rahmen der DUBLIN II-Kriterien nach Bulgarien werden bis in weite Kreise des liberalen Bürgertums hinein als staatliche Gewalt ohne Ziel und Sinn wahrgenommen. Durchgeführt von überlasteten Polizeieinheiten mitten in der Nacht in Sachsen. Statt Integrationsbemühungen ist derzeit Sachsen eher für die repressive und einzelfallunabhängige Anwendung von Abschiebungen und den Bau von Massenunterkünften ebenso bekannt, wie einer durchgehend verspäteten Reaktion auf neue Entwicklungen bei der Flüchtlingsfrage.
Während ganz Europa an neuen Regeln der Asyl- und Integrationspolitik feilt, besucht ein sächsischer Innenminister im Wahlkampf um den Dresdner OBM-Posten eine syrische Familie mit deutschem Freundeskreis, um sie willkommen zu heißen. Und wenige Tage später verhindert die Fluglinie die Abschiebung. So geht „Integration auf Sächsisch“ derzeit.
Kein Grund den Stellvertreterkriegern gegen G7, Frontex und Polizei von letzter Nacht deshalb zuzujubeln oder, was gegen eine differenziertere Sicht gern vorgebracht wird, etwa Gewalt zu honorieren. Dies tut die CDU, indem sie nun angesichts des Kindes im Brunnen vielleicht darüber nachdenken möchte, über mehr Polizeibeamte in Leipzig zu beraten. Im zweiten Resonanzraum, der Asyl- und Integrationspolitik, ist sie nach wie vor noch weniger veränderungswillig. Zumindest ist bei allen Wortmeldungen des heutigen Tages davon kein Wort zu lesen.
Eine kleine L-IZ – Chronik von 2014 bis zum 5. Juni 2015
8. Januar 2015. Der Polizeiposten in Connewitz wird attackiert.
25. Januar 2015. Stanislaw Tillich verkündet “der Islam gehört nicht zu Sachen”.
29. Januar. Der Polizeiposten in der Weißenfelser Straße wird attackiert.
30. Januar 2015. Ein Polizeibeamter schlägt einem Journalisten ins Gesicht.
Januar, Februar, März, April 2015. (Der Überblick über alle Berichte unter dem “Tag” Legida/Pegida) Legida marschiert unter der Beteiligung von NPD und weiteren Rechtsextremisten bei abnehmenden Teilnehmerzahlen in Leipzig, es finden vor allem zu Beginn gewaltsame Gegenaktionen statt. Vor allem vor den Toren von Leipzig werden Stellanlagen der Bahn sabotiert, um Demoteilnehmer an der Reise nach Leipzig zu hindern. Es gibt Gerüchte, die Hamburger Szene wäre in Leipzig involviert. Es folgen Anschläge auf Pkw von führenden Legida-Mitgliedern.
3. März 2015. Es erfolgen Angriffe auf rechte Legida-Teilnehmer.
3. März 2015. Radio Blau zeichnet Gespräche von rechtsextremen Demoteilnehmern bei Legida auf.
24. April 2015. Erneuter Angriff auf die Ausländerbehörde Prager Straße.
4. Juni 2015. Markus Ulbig verweigert Auskünfte über seine Kontakte zu Pegida.
5. Juni 2015. Es beginnt erneut im Zentrum Leipzigs. Ein Fronttransparent belegt: Diesmal gegen den G7-Gipfel, die Troika und die militärische Organisation Frontex, welche eine Abschirmfunktion gegenüber Flüchtlingen im Mittelmeer wahrnimmt. Die Attacken richten sich diesmal gegen das Bundesverwaltungsgericht und die Polizei. Vier Beamte werden dabei verletzt.
Die Meldung der Polizei zum 5. Juni 2015 im originalen Wortlaut
Ausschreitungen nahe des Simsonplatzes
„In dieser Nacht kam es gegen 22:20 Uhr, nahe des Simsonplatzes, zu heftigen Ausschreitungen. Ca. 100 Personen versammelten sich im Johannapark, um anschließend gemeinsam – zum Teil vermummt – in Richtung Karl-Tauchnitz-Straße/Harkortstraße zu laufen. Auf ihrem Weg bauten sie Höhe Grassistraße eine Barrikade aus Altreifen und entzündeten diese. Außerdem warfen sie Steine, Molotowcocktails und zündeten Pyrotechnik. Sie entglasten die Haltestellenhäuschen der Straßenbahnhaltestellen Neues Rathaus, und zertrümmerten etliche Fenster am Medizinischen Versorgungszentrum. Sie beschmierten Gehweg und Fassaden, sie zerschlugen die Frontscheibe eines vorbeifahrenden Reisebusses und warfen Pflastersteine auf Autos von Unbeteiligten. Außerdem streuten sie Krähenfüße aus, wodurch mindestens zwei unbeteiligte Fahrzeuge beschädigt wurden. Noch vor der Kreuzung Karl-Tauchnitz-Straße/Harkortstraße konnten die Randalierer durch erste Polizeikräfte abfangen werden, woraufhin diese in Richtung Bundesverwaltungsgericht und schließlich in die Wächterstraße liefen.
Auf ihrem Weg zerstörten sie mehrere Fenster des Bundesverwaltungsgerichtes und warfen Steine und Flaschen auf die das amerikanische Konsulat bewachenden Kräfte. Außerdem attackierten sie die Einsatzkräfte der Polizei verbal und diffamierten sie. In der Wächterstraße löste sich die Ansammlung in alle Richtungen auf. Ein Mann konnte festgenommen werden.
Resümee der Ausschreitungen: In dieser Nacht wurden mehrere Gebäude und Fahrzeug sehr stark beschädigt, wobei die Höhe des Sachschadens noch nicht beziffert werden kann. Es wurden mehr als 200 Pflastersteine geworfen, es wurden mehrere Polizeibeamte verletzt und drei Polizeifahrzeuge so stark beschädigt, dass diese nicht mehr einsatzbereit sind. Für die Dauer des Polizeieinsatzes und die sich anschließende kriminaltechnische Tatortarbeit musste die Kreuzung Karl-Tauchnitz-Straße/Harkortstraße und angrenzende Straßen bis ca. 02:00 Uhr gesperrt werden. Die Polizei ermittelt nun wegen Landfriedensbruch und bezüglich des Motivs in alle Richtungen. Wobei nicht auszuschließen ist, dass diese Aktion auch eine Resonanzreaktion auf die hohen Sicherheitsvorkehrungen des G7-Treffens sein kann.“