Am 24. Mai 2015 eröffnete die Kleinstpartei DIE RECHTE im kleinen Ort (ca. 900 Einwohner) Stammheim am Main, nur etwa 30 km von Würzburg entfernt, ihre neue Landeszentrale mitten im Dorf und in dessen größten Gebäude. Wir waren dort, um diesem Treiben antifaschistischen Protest entgegenzuhalten – und wir waren fast die einzigen. Denn was das örtliche Bündnis „Stammheim ist bunt“ auf die Beine stellte, besser gesagt, was es nicht auf die Beine stellte, ist in jedem Falle kritisch zu sehen (so auch geschehen in Artikeln der bürgerlichen Main-Post). Die Neonazis haben indes weitere Aktionen angekündigt, die von Stammheim ausgehen werden. Deshalb erscheint es uns wichtig den beschriebenen Tag und die Aktionen, sowie die Gesamtsituation vor Ort kritisch zu durchleuchten, ein weiteres Mal auf die Gefährlichkeit der Nazis hinzuweisen – und gemeinsam zu überlegen wie denn nun in Zukunft mit dem dortigen Nazi-Zentrum umgegangen werden soll.
Wer ist DIE RECHTE?
Die 2012 von Christian Worch gegründete Kleinstpartei wird von vielen als Nachfolgeorganisation und Sammelbecken der verbotenen Kameradschaften „Nationaler Widerstand Dortmund (NWDO)“ und „Kameradschaft Hamm (KH)“ sowie der Partei DVU angesehen.
Worch leugnet den Holocaust, ist Anmelder der Rudolph-Heß-Gedenkmärsche und war bereits in unzähligen mittlerweile verbotenen Nazi-Organisationen (z.B. der Wiking-Jugend) aktiv. Er kann somit als zentrale Figur der deutschen Nazi-Szene gesehen werden. Andere prominente Figuren der Partei sind u.a. Siegfried Borchert, gennant SS-Siggi, sowie Karl-Heinz Hoffmann. Dieser ist seit Ende der 1960er Jahre aktiv in der rechten Szene und einer der bekanntesten Neonazis in Deutschland. Er ist u.a. vorbestraft wegen Verstöße gegen das Waffensprengstoffgesetz, gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung, und saß deshalb auch schon mehrere Jahre im Gefängnis. Er war Gründer der neonazistischen „Wehrsportgruppe Hoffmann“, deren Anhänger für das Oktoberfestattentat 1980 in München verantwortlich waren, bei welchem 13 Menschen getötet und 211 verletzt worden sind.
In ihrem Programm verlangt DIE RECHTE beispielsweise "die Aufhebung der Duldung von Ausländern" und die „deutschen Gebiete östlich von Oder und Neiße“ zurück und Freilassung des Holocaustleugners Horst Mahler.
DIE RECHTE mag eine Kleinstpartei seien. Ihre Gefährlichkeit ist auf keinen Fall zu unterschätzen. Umso überraschender mutet demgegenüber das Konzept an, dass das örtliche Bündnis „Stammheim ist Bunt“ dieser braunen Bande entgegenhielt...
Der 24. Mai in Stammheim: Eröffnung der Landesparteizentrale der Nazis und die Gegenproteste
Bereits im Voraus wussten wir, dass zeitgleich zur Eröffnung ein „ökumenischer Gottesdienst“ stattfinden sollte, der sich – und zwar auch noch explizit „unpolitisch“ - mit dem Thema Frieden befassen sollte. Ob dies überhaupt noch als „Protestform“ zu bezeichnen ist oder vielmehr eine Parallelveranstaltung, die vom eigentlichen Thema, dem Widerstand gegen Rechts, ablenkt, sei hier nur am Rande erwähnt.
Damit aber nicht genug: Unsere Transparente waren den Veranstaltern zu politisch für diese Veranstaltung und sie verbannten uns mithilfe der Polizei an den äußersten Rand dieser mit dem ausdrücklichen Verbot zu skandieren oder sonstwie „zu stören“.
Nur wenige Minuten später begannen die Nazis dann allerdings ihre Boxen aufzudrehen und ihre widerlichen Parolen und Musik schallten auf den Dorfplatz, wo der Gottesdienst stattfinden sollte.
Etwa 40-50 AntifaschistInnen, BürgerInnen und sonstige empörte Menschen zogen daraufhin in die Nähe des Hinterhofs und versuchten die Hetzparolen durch Rufen zu übertönen.
Das allerdings störe nun den Gottesdienst, tobte ein Organisator daraufhin – und hetzte uns die Polizei auf den Hals, die sofort einen Kessel zog und mit ausdrücklicher Billigung der Stammheimer begann auf die AntifaschistInnen einzuschlagen und sie zu schubsen. Ein kollektiver Platzverweis wurde ausgesprochen.
Und das weil wir versuchten, den Nazi-Lärm zu übertönen! Dieses Verhalten, das den Protest spaltet, polizeiliche Gewalt gegen AntifaschistInnen billigt und letztlich den Nazi-Mist duldet, ist in keinster Weise nachzuvollziehen. Ähnlich fassten das die Reporter der anwesenden bürgerlichen Presse auf.
Nur durch viel Verhandlungsgeschick und eine ordentliche Portion Glück konnte der Platzverweis abgewendet werden. Allerdings befanden wir uns nun für zwei Stunden in einem Polizeikessel und wurden zum Stillsein gezwungen, andernfalls werde die Polizei uns konsequent wegprügeln. Uns blieb, aufgrund unserer doch eher geringen Anzahl, nichts anderes übrig, als dem zu folgen, wenn wir auch am Abend noch handlungsfähig sein wollten.
Klar, dass gegen den Nazi-Lärm nichts unternommen wurde und diese ungestört weiter hetzen durften. Mehr noch – feixend konnten sie in aller Ruhe aus ihrem Gebäude heraus Fotos anfertigen. In einer Situation versuchte sogar ein „Stammheim ist Bunt“ Aktivist den AntifaschistInnen das Transpi, welches diese zum Schutz gegen Fotos hochhielten, zu entwenden.
Halten wir fest: „Stammheim ist Bunt“ hat die angereisten AntifaschistInnen, die nichts taten außer gegen die Beschallung durch DIE RECHTE anzuschreien, in eine höchst bedrohliche Lage gebracht und hätte auch eine gewaltsame Räumung in Kauf genommen. Lieber als „Nazis Raus“ wollte man die rechten Parolen im Hintergrund des Gottesdienstes hören.
Auch der zweite Teil des Tages begann nicht sehr vielversprechend. Die Rechten hatten eine Demonstration durch den Ort angemeldet. Und auch dafür hatte Stammheim ein glorreiches Konzept parat: Die BürgerInnen sollten doch einfach ihr Dorf verlassen und die Rollläden herunterlassen. Was klingt wie eine traurige Karikatur, war leider absoluter Ernst. Dass man den Nazis damit, mindestens symbolisch, den Ort überließ, erschien den Stammheimern wohl nicht so dramatisch. Man wolle ihnen eben nicht zuhören.
Wir sind geblieben. Mit uns einige wenige Menschen, die dieses Konzept auch als das bewerteten was es letztlich ist: Schwachsinn. Ach ja, und unzählige Bullen waren auch noch da.
Einigen wenigen Menschen gelang dennoch eine symbolische Blockade auf der Route, die von der Staatsmacht mit unter Gewaltanwendung geräumt wurde (Zitat Bullenführer zu seinen Leuten: „Ey, Männer, nicht so grob“). Und so konnten 70 Neonazis nahezu unbehelligt durch den Ort ziehen. In ihrer Auftaktkundgebung glorifizierten sie das Jahr 1933 und hetzten in widerlichster Manier gegen alle, die nicht in ihr Weltbild passen. „Hier marschierst der nationale Widerstand“ und „Antisemiten kann man nicht verbieten“ hallte durch die Straßen. Wir schrien uns die Lungen aus dem Leib, doch es war fast vergeblich und das konnte man auch in den triumphierenden Fressen der Nazis sehen.
All das hätte nicht sein müssen!
Aber statt mit uns gegen die sich ja selbst so titulierenden Antisemiten zu kämpfen, wendeten sich die Stammheimer erst gegen uns und ließen uns dann mit den Nazis in ihrem Dorf alleine.
1000 Menschen kamen zu dem Gottesdienst. Den Aufmarsch zu verhindern, wäre ein Leichtes gewesen. Die Eröffnung der Landesparteizentrale ordentlich zu stören wäre ein Leichtes gewesen, alles mit Mitteln des Zivilen Ungehorsams. Das wäre ein Signal gegen Rechts gewesen! Ein Signal, dass auch alle Refugees die in der Region in dezentralen Unterkünften untergebracht sind, gut hätten sehen können, ja müssen!
Stattdessen: Ein unpolitischer Gottesdienst (komisch auch nach dem Beten waren die Faschos noch da) und die gute, alte Wegschau-Taktik.
Eine Einladung für Rechts! Das wollte uns an dem Tag noch niemand glauben, doch wirft man nun einen Blick auf die Facebook-Seite der Nazis, wird man natürlich eines besseren belehrt...
Und wie soll es nun weiter gehen?
Ja wie nur? Müssen erst die Menschen, die den Nazis nicht passen, gewöhnlich ohnehin die Benachteiligsten dieser Gesellschaft überfallen werden, müssen erst wieder Häuser brennen, bis man die Gefahr endlich erkennt und Ernst nimmt?
Die Nazis gehen nicht von selber wieder weg, dafür ist hier Haus zu schön und die Willkommenskultur ihnen gegenüber viel zu freundlich. Nein, sie kündigen bereits öffentlich an, was in näherer Zukunft alles so geschehen soll: „Viele Veranstaltungen sind für die kommenden Monate in der konkreten Planung, u.a. Vorträge, Kundgebungen und ein Sommerfest.“
Konkret ist das zunächst ein Grillfest mit politischen Vorträgen und anschließendem Rechtsrock-Konzert am 20. Juni um 15:00.
Die Situation ist für uns schwierig. Das Bündnis „Stammheim ist Bunt“ wird es wohl auch in Zukunft nicht schaffen den Nazis konkreten Widerstand entgegen zu bringen und bezüglich der kommenden Nazi-Aktivitäten befürchten wir das Schlimmste.
Natürlich können und werden wir nicht wegsehen, wenn Nazis sich in unserer Nachbarschaft breitmachen, niemals werden wir ihre Hetze unwidersprochen hinnehmen, bis zum Ende werden wir gegen sie ankämpfen, damit ihr menschenverachtender Terror niemals wieder über die Menschheit kommt.
Aber alleine können wir das nicht schaffen. Wir fordern daher dringend alle Gruppen der Region auf sich mit dem Thema zu fassen, kurz- und langfristig selbst tätig zu werden und sich auch mit uns zu vernetzen!
Gemeinsam
können wir DIE RECHTE stoppen!
Und wenn der Rest der Welt
wegschaut – wir werden diese Zustände niemals hinnehmen!
Nie wieder Faschismus!
Siamo tutti antifascisti!