Der Freiburger Tomás Elgorriago Kunze sitzt in U-Haft, seit er im November als verhaftet wurde. Zehn Jahre war er untergetaucht, arbeitete an der Universität Freiburg. Eine Spurensuche.
Von Jens Kitzler (Der Sonntag)
Seit langem befürchten Familie, Freunde und Sympathisanten seine Auslieferung, doch über Mannheim ist Tomás Elgorriaga Kunze in den letzten Monaten nicht hinausgekommen. Hier sitzt er seit November 2014 in Untersuchungshaft, eine Stunde Hofgang hat er am Tag, Sport- oder Bildungsangebote bleiben ihm als U-Häftling verwehrt. Kontakt zu Besuchern durfte er anfangs nur getrennt durch eine Scheibe aufnehmen, die sei inzwischen aber weg, sagt Rechtsanwältin Katja Barth. Ein Zeichen dafür, meint sie, dass der Staat seinen Gast nicht mehr als so schwergewichtigen Fall betrachte. "Ich glaube, die fahren das eher herunter."
Zehn Jahre im Untergrund
Als Tomás Elgorriaga Kunze im Oktober 2014 verhaftet wurde, war die Aufregung deutlich größer. "Kräfte des Hessischen Landeskriminalamts haben am heutigen Tag in Mannheim einen per internationalem Haftbefehl gesuchten, mutmaßlichen Terroristen der baskischen Untergrundorganisation ETA festgenommen", lautete die Meldung vom 31. Oktober 2014, "mit dem Zugriff gegen 12:30 Uhr wurde die seit 2004 andauernde Flucht des 49-Jährigen beendet."
Die vorerst letzte Station dieser Flucht war Freiburg. An der dortigen Universität hatte Elgorriaga Kunze zunächst studiert und schließlich auch gearbeitet, als wissenschaftliche Hilfskraft in einem bei der Soziologie angesiedelten Projekt, gefördert vom Bundesforschungsministerium. Seinen echten Namen kannten die Kollegen nicht – für sie hieß er José Gabriel Jiménez, so war er auch an der Uni registriert. "Die Identität des Mannes war professionell gefälscht" schreibt die Universität in einer Stellungnahme vorsorglich, "so dass es an der Universität keinerlei Hinweise auf die Täuschung gab."
Bis ihn seine Vergangenheit einholte, erwies sich Jiminéz alias Elgorriaga Kunze als sympathischer und engagierter wissenschaftlicher Mitarbeiter, der sich mit dem Forschungsvorhaben identifizierte, er verfasste Texte, recherchierte, organisierte Tagungen. Und wäre zu mehr berufen gewesen, für eine Promotionsstelle hatte der Spanier ein ansehnliches Exposé vorgelegt – doch mit über 40 Jahren war er älter, als es die Statuten des Nachwuchsforschungsprojekts für Doktoranden zuließen.
Zum 31. Dezember 2014 lief das Forschungsvorhaben aus. "Wir haben ihm verdientermaßen ein tadelloses Arbeitszeugnis ausgestellt", sagt Barbara Riedel, Co-Leiterin des Projektes. Immer, bestätigt man in seinem Umfeld, hatte Tomás Elgorriaga Kunze wie jemand gewirkt, der seine wissenschaftliche Karriere weiterverfolgen will – und nicht etwa nur die Uni als Tauchstation nutzt. Auch wenn im Nachhinein manches Detail plötzlich ins Ganze passte. Warum José Gabriel Jiménez als Einziger nie ein Foto in die Projekthomepage gesetzt hatte, beispielsweise. Oder die Lücke in seinem Lebenslauf, betitelt mit "kurzer Ausflug in die Privatwirtschaft" – was das war, weiß niemand.
Freunde und Sympathisanten bezweifeln die Vorwürfe der Behörden
Doch kann dieser Mann ein "hochrangiger Logistiker der baskischen Untergrundorganisation ETA" gewesen sein, wie es in der Pressemeldung des hessischen Landeskriminalamtes hieß? Der Sprengstoff für Anschläge der "Euskadi Ta Askatasuna" hergestellt und beschafft haben soll? Der in Verdacht steht, noch aus Freiburg für die ETA gearbeitet zu haben, womit die Polizei die Durchsuchung seiner Wohnung und der Uni-Räume in der Hansastraße begründete?
Die deutsche Polizei übernehme unhinterfragt zweifelhafte Vorwürfe der spanischen Behörden, kritisieren Freunde und Sympathisanten von Tomás Elgorriaga Kunze in Freiburg. Schon zwei Mal haben sie sich zu einem von linken Gruppen organisierten Abend getroffen, kommenden Dienstag um 19 Uhr soll es eine Kundgebung am Bertoldsbrunnen geben. "Nach seiner Verhaftung konnten wir viele seiner sympathischen und aufgeschlossenen Freundinnen und Freunde kennenlernen, die ihn ganz anders beschreiben, als in den reißerischen Statements der spanischen, französischen und deutschen Behörden unterstellt wird", erklärt die mit zur Kundgebung aufrufende Freiburger Antifa gegenüber dem Sonntag.
Als Tomás Elgorriago Kunze in Verdacht geriet, der ETA anzugehören, war er, das stützen spanische Medienberichte, Gemeinderat in der Kleinstadt Hondarribia nahe der französischen Grenze. Um die Behörden auf sich aufmerksam zu machen, musste man zu dieser Zeit nicht gleich Anschläge begehen – es konnte auch reichen, die falschen Personen zu kennen. In einem Fernsehausschnitt, der auf den Info-Abenden gezeigt wurde, erzählt Kunze, wie er 1998 verhaftet und dann tagelang gefoltert wurde, zum Repertoire soll "La Bolsa" gehört haben, eine Praxis, bei der man dem Delinquenten eine Plastiktüte über den Kopf zieht, um Erstickungsanfälle zu erzeugen, aber auch Schläge und Elektroschocks. Ein mögliches Szenario – in den Länderberichten von Amnesty International finden sich über Jahre hinweg Foltervorwürfe gegenüber spanischen Behörden im Rahmen von ETA-Ermittlungen.
War "Teo" ein zentraler ETA-Logistiker?
Nachdem er ein halbes Jahr später auf Kaution freigekommen war, tauchte Kunze unter. Aus Angst vor weiterer staatlicher Gewalt? Kurze Zeit später jedenfalls stand er dann weit oben in den Fahndungslisten der Spanier. Schlicht weil er abgehauen war, wie mancher Sympathisant vermutet, oder wegen durch Folter erpressten Geständnissen?
Dem gegenüber stehen in Berichten spanischer Medien voluminöse und detaillierte Anschuldigungen gegen den Geflohenen, die meist auf Berichten des spanischen Innenministeriums basieren.
Demnach sei Elgorriaga Kunze unter dem Decknamen "Teo" eine zentrale Figur in der Logistik der Untergrundorganisation ETA gewesen und zudem ein versierter Elektroniker, der Zeitzünder für Bomben entwickelt habe, operiert habe er nach seinem Untertauchen aus Frankreich. Wie das ermittelt wurde, ist nirgendwo beschrieben. Doch auch in der berühmten Geheimdokumente-Plattform Wikileaks steht ein Dossier, das die Spanier 2009 an den US-Geheimdienst CIA geliefert haben sollen. Darin wird der damals 46-Jährige als Elektronik-Experte beschrieben, dessen Passion es sei, die Effizienz der ETA-Bomben weiter zu steigern.
Nicht Spanien fordert seine Auslieferung, sondern Frankreich
Ist Elgorriaga Kunze diese "Karriere" in der undokumentierten Zeit zwischen seinem Untertauchen und seinem späteren Studium in Freiburg gelungen?
Erstaunlich allerdings dann, dass kein spanischer Auslieferungsantrag in Deutschland vorliegt. Der EU-Haftbefehl, dessen Prüfung Kunze in U-Haft abwarten muss, komme von den Franzosen, bestätigt Richter Ralf Kraus vom Oberlandesgericht Karlsruhe. Und offenbar bezieht er sich nur auf Urkundenfälschung im Zusammenhang mit Zugehörigkeit zur ETA. Inhaltlich prüfen dürfen die deutschen Behörden einen EU- Haftbefehl nicht, nur die Einhaltung der Formalien wird gecheckt.
Beim Bundesgerichtshof heißt es, die Ermittlungen liefen noch, man sehe die eigenen Vorwürfe mit dem EU-Haftbefehl aber als abgegolten. Ermittelt hatte man hier vor allem zum Paragraphen 129a/b, kurz "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung", der zu RAF-Zeiten in Kraft gesetzt wurde. Sein Ansatz ist umstritten. "Es reicht, dass sich jemand in inkriminerten Strukturen bewegt", sagt Anwältin Katja Barth. Bei der Durchsuchung von Kunzes Räumen in Freiburg fand die Polizei falsche Papiere, von Sprengstoff oder Waffen allerdings keine Spur. Und Hinweise, wonach Tomas Elgorriaga Kunze von Freiburg aus weiter für die ETA gearbeitet hat? Die Bundesanwaltschaft sagt dazu nichts.
In den nächsten Wochen soll nach Schätzung der Behörden die Entscheidung über die Auslieferung fallen. Freunde und Familie von Tomás Elgorriaga Kunze fürchten, dass die Franzosen ihn dann postwendend an Spanien ausliefern – und "El Bolsa" wieder zur Anwendung kommt.