Spalter und Intimfeinde

Erstveröffentlicht: 
29.05.2015

Der von AfD-Chef Bernd Lucke gegründete „Weckruf“ macht die längst vorhandenen Abgründe innerhalb der „Alternative für Deutschland“ überdeutlich –  wenige Wochen vor dem Kasseler Delegiertentreffen steht die Partei vor einem Scherbenhaufen.

 

Beinahe im Tagesrhythmus scheint Bernd Lucke „seine“ Partei mehr und mehr zu entgleiten. Gemeinsam mit denen, die ihm nun über den Kopf wachsen, hat er vor zwei Jahren die AfD gegründet – und muss nun erleben, wie er, der einst persönlich und politisch im Zentrum der Partei stand, an den Rand gerät. Einen Verein namens „Weckruf 2015“ hat Lucke gegründet. Um die Partei so zu erhalten, wie sie (von ihm) gedacht war, sagt er. Um damit eine Partei in der Partei zu bilden, die Keimzelle für eine Abspaltung, sagen seine Gegner. So oder so: Je näher der Parteitag Mitte Juni rückt, umso wahrscheinlicher wird es, dass aus Luckes „Weckruf“ ein „Notruf“ wird – und nach dem Delegiertentreffen in Kassel aus dem „Notruf“ ein „Nachruf“. Szenen aus der AfD, zwei Wochen vor ihrem Parteitag:

 

Durchmarsch beim Nachwuchs

Im hessischen Karben trifft sich am Wochenende die „Junge Alternative“ (JA). Luckes Gegner proben zunächst beim Nachwuchs den Durchmarsch. Nur vier Monate nachdem man mit Philipp Meyer einen Lucke-Anhänger zum Vorsitzenden gekürt hatte, steht schon wieder eine Neuwahl an. Vermutet werden darf, dass der baden-württembergische JA-Landeschef Markus Frohnmaier und sein nordrhein-westfälischer Kollege Sven Tritschler, die zuletzt bereits die Strippen zogen, künftig auch offiziell Regie führen.

Was die „Junge Alternative“ sagt, ist nicht ohne Gewicht, obwohl sie nur rund 800 Mitglieder zählen soll. Zehn der 16 AfD-Landesverbände haben sie als Nachwuchsorganisation offiziell anerkannt. In manchen Ländern haben sich ihre Akteure unentbehrlich gemacht: als Mehrheitsbeschaffer, als Wadenbeißer gegen innerparteiliche Kontrahenten oder als Wahlkämpfer mit viel Zeit, wie etwa in NRW, wo sie den Landeschef und Lucke-Intimfeind Marcus Pretzell stützen. Anderswo sind sie ein Quell ständiger Unruhe, wie in Baden-Württemberg, wo sie den dortigen Landeschef und Lucke-Intimus Bernd Kölmel am liebsten stürzen sähen.

 

Schrumpfung der Thüringer AfD-Fraktion

Wer wissen will, welche Umgangsformen sogar unter AfD-Parlamentariern Usus geworden sind, kann einen Blick nach Thüringen werfen. Von den ursprünglich elf AfD-Landtagsabgeordneten sind nur noch acht geblieben. Siegfried Gentele wurde aus der Fraktion ausgeschlossen. Oskar Helmerich ist mehr oder weniger freiwillig gegangen. Dem thüringischen Landtagspräsident Carius zufolge ist jetzt auch Jens Krumpe ausgetreten, berichtet focus.de. Alle drei haben gemeinsam, dass sie mit den Sympathien, die Landes- und Fraktionschef Björn Lucke für neu-rechte Ideen aufbringt, nichts zu tun haben wollen.

Insbesondere was Krumpe und Helmerich über sich ergehen lassen mussten, dürfte einmalig sein. Über Helmerich befand die AfD, er habe „eine mangelhafte Arbeitseinstellung gezeigt. Weder hat er sich in die parlamentarische Arbeit ausreichend eingebracht, noch hat er die Termine, für die er zuständig war, zuverlässig wahrgenommen“. Aber: Er erhielt noch eine Chance. In einer „Bewährungszeit“ könne er „beweisen, dass er willens und fähig ist, unsere politische Arbeit umzusetzen und voranzubringen“. Zu Krumpe hieß es, „seine mangelhafte Teamfähigkeit“ habe „zu großen Konflikten“ geführt. Auch er erhielt eine Chance zur Bewährung: Er werde „zeitlich begrenzt von den Fraktionssitzungen freigestellt, um sich dem Abbau der genannten Defizite widmen zu können“. Helmerichs Bewährungsauflagen enthielten eine Besonderheit. O-Ton Höcke: „Herr Helmerich erhält den Auftrag, im Rahmen eines geplanten Informationsabends im Landtag einen 45-minütigen Vortrag zu halten, in dem die politische Arbeit und das politische Wollen der AfD-Fraktion dargestellt wird.“

 

„Verengte Ideologie von der Homogenität der Gesellschaft“

Meinte man es wohl mit Höcke, könnte man mutmaßen, Geist und Gestus des Oberstudienrats, der er vor seiner Beurlaubung für die Politik war, wären wieder an die Oberfläche gedrungen (was allerdings ernste Fragen nach der Qualität der Lehrerausbildung aufwerfen würde). Meinte man es weniger wohl mit Höcke, könnte man fragen, ob der in die Politik gewechselte Geschichtslehrer Sujets seines Fachunterrichts in die AfD transformiert: ob also das in kommunistischen Parteien praktizierte Prinzip von „Kritik und Selbstkritik“, das im Stalinismus auf eine perverse Spitze getrieben wurde, in AfD-Kreisen Wiederauferstehung feiern soll? Meinte man es weder wohl noch unwohl mit Höcke, bliebe zu konstatieren, dass kaum zuvor die Spitze einer Partei so scham- und würdelos versucht hat, eigene Abgeordnete bloßzustellen und zu demontieren. „Eine Art pubertierender Wohlfahrtsausschuss“ habe „ein Erniedrigungsritual“ vollzogen, befand der Kommentator der „Thüringer Allgemeinen“.

Die Delinquenten gaben freilich nicht klein bei. Helmerich hielt seinem nunmehr ehemaligen Fraktionschef Medienberichten zufolge einen „missionarischen Eifer“ vor. Höcke wolle „seine verengte Ideologie von der Homogenität der Gesellschaft“ sowohl der AfD als auch dem Land aufdrücken. „Das erinnert mich an die Idee der Volksgemeinschaft der NSDAP.“ Gentele wusste im MDR zu berichten, die Fraktion habe geplant, in rechten Zeitschriften wie „Zuerst!“ und der von Götz Kubitschek herausgegebenen „Sezession“ Anzeigen zu schalten. In mindestens einem Fall hat Kubitschek von seiner freundschaftlichen Nähe zu Björn Höcke bereits profitiert: Ende vergangenen Jahres veranstaltete dessen Fraktion ein Treffen auf Kubitscheks Rittergut Schnellroda.

 

„Die Partei von diesen Elementen säubern“

Einen neuen Beleg für Höckes Nähe zur extremen Rechten steuerten am Freitag einige Medien bei. Sie berichteten über eine Mail, die der Landes- und Fraktionschef im vorigen Jahr an einen Parteifreund geschrieben haben soll. Höcke habe darin die Abschaffung der Strafgesetzbuch-Paragrafen 86 und 130 gefordert, die Volksverhetzung und das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen unter Strafe stellen. „Wir brauchen keine Begriffstabuisierung, keine Antidiskriminierungsgesetze und keine politische Strafjustiz. Hinfort damit – und zwar schnell“, heißt es in dem Schreiben. Höcke erklärte, er könne sich an die Mail nicht erinnern.

Der Ruf nach Säuberungen ist nicht auf einen Flügel der AfD beschränkt. Hans-Olaf Henkel, der hier und da als „Liberaler“ gehandelt wird, brachte ihn zum Ausdruck, als er im „Spiegel“ forderte: „Wir müssen die Partei von diesen Elementen säubern.“ Petry oder Gauland, wie es allgemein verstanden wurde, habe er nicht gemeint, beteuerte er später – offen lassend, von welchen „Elementen“ genau die Partei gereinigt werden müsse. Zwar nicht aus der Partei befördert, aber doch abgestraft, wurde mittlerweile Beatrix von Storch, Kontrahentin von Henkel in der AfD-Gruppe im Europaparlament. In dieser Woche verlor sie ihr Amt als Parlamentarische Geschäftsführerin. Für die Mehrheit der AfD-Abgeordneten war sie untragbar geworden, weil sie den „Weckruf“-Initiatoren unterstellt hatte, nichts anderes als die Gründung einer neuen Partei im Sinn zu haben.

Der „Weckruf“ selbst spaltet – vor allem aber macht er längst vorhandene Abgründe in der Partei überdeutlich. Die sächsische AfD wollte gar zum richtigen Großreinemachen ansetzen und eine Mitgliedschaft in Luckes Verein für unvereinbar mit der Zugehörigkeit zur Partei erklären. Der Bundesvorstand stoppte in dieser Woche die Drohung mit dem kollektiven Rauswurf. Im Kleinen aber beharkt man sich weiter.

 

Familiäre Bande

Zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen. Im NRW-Landesvorstand wurde Beate Forner am Mittwoch die Zuständigkeit für die Aufnahme neuer Mitglieder entzogen. Nicht nur aus familiären Gründen – sie ist Luckes Schwester – gilt sie als Gegnerin von Landeschef Pretzell. Der begründete die Degradierung gegenüber „Zeit Online“ zunächst damit, dass während ihrer Amtszeit bei der Abarbeitung der Aufnahmeanträge „ein größerer Rückstau entstanden“ sei. Zudem sei sie die einzige gewesen, „die eine 400-Euro-Kraft brauchte, um ihre Arbeit zu schaffen“. Allerdings mochte sich Pretzell auch den Seitenhieb nicht verkneifen, Forner werde wohl „nicht eine Partei stärken, die ihr Bruder gerade abschaffen möchte“. Zufall oder nicht: Just am Tag, nachdem der Vorstand ihr die Mitgliederaufnahme entzogen hatte, wurden Hinweise gestreut, dass Forner an der Installation von Landeskoordinatoren für den „Weckruf“-Verein ihres Bruders beteiligt sei.

Die Mitgliederaufnahme in NRW übernimmt nun ein Vorstandsmitglied, das erst nachträglich in das Gremium kooptiert worden war: Markus Wagner. In Sachen Rechtspopulismus kennt er sich aus. Von März 2004 bis Dezember 2006 amtierte er als Bundesvorsitzender der „Offensive D“, der früheren „Schill-Partei“. Damals fiel er durch eine freundliche Gratulation an Jörg Haider nach einem Wahlerfolg der FPÖ auf. Vorgeworfen wurde ihm zudem, er habe Ex-Mitgliedern der Republikaner und der DVU den Eintritt in die „Offensive D“ ermöglicht und Gespräche mit dem REP-Vorstand geführt, bei denen es um eine Fusion gegangen sei. Seinen neuerlichen Aufstieg – diesmal in Diensten der AfD – konnten solche Hinweise nicht bremsen.