JedeR Reisende in Lateinamerika kennt sie: Artesanos – junge Leute, die in touristischen Orten ihr Kunsthandwerk anbieten. Ohrringe, Armbänder und Halsketten mit Perlen, Muscheln und anderen Gegenständen verziert. Manche der Kunsthandwerker veranstalten am Abend Feuershows und geben dabei ihre Jonglierkünste zum Besten – andere spielen Musik in Bars oder einfach auf der Straße. Ich habe mich für die Informationsstelle Lateinamerika in Costa Rica umgesehen und mich mit einigen von ihnen unterhalten.
Aus allen Teilen der Welt treffen sich junge Leute in Costa Rica, um ihre Produkte anzubieten. Rucksackreisende aus Europa und Nordamerika, die eine günstigere Art zu Reisen suchen, finden sich hier ebenso wie Argentinier, Israelis, Chilenen und Mexikaner, die sich teilweise in Costa Rica niedergelassen haben. Selbstverständlich gibt es auch KünstlerInnen, die schon immer in Costa Rica leben und Kunsthandwerk verkaufen.
Die meisten aber sind Reisende, die sehr lange von zu Hause weg sind und sich unterwegs Geld hinzu verdienen.
Die Geschichten, die sie zu erzählen haben, sind vielfältig. Pablo zum Beispiel kommt aus Mexiko und ist zusammen mit seiner Freundin Richtung Süden gereist, um Mittelamerika zu bereisen. Anfangs hatten die beiden noch mexikanisches Kunsthandwerk dabei, das sie selbst in Mexiko gekauft hatten, um es teurer auf ihrem Weg wieder zu verkaufen. Nach und nach gingen ihnen die Kunstwerke aus und sie lernten von anderen Straßenkünstlern selbst Armbänder und Ohrringe herzustellen. Die Steine und Perlen, die sie noch aus Mexiko hatten, tauschten sie gegen Gegenstände aus Indien, Kolumbien und Brasilien. Durch diesen Austausch von Waren und Wissen können die Artesanos sehr facettenreiche Kunststücke anbieten. Von einem Kollegen in Panama bekam Pablo ein Einrad geschenkt, auf dem er fleißig trainiert. Außerdem hat er Keulen gekauft, mit denen er jongliert. Sein Ziel ist es, am Ende der Reise auf dem Einrad mit Keulen zu jonglieren und so an Ampeln und an den Stränden sein Geld zu verdienen.
Artistische Shows haben den Vorteil, dass man als KünstlerIn weniger Gepäck mit sich herumtragen muss. Allerdings ist es schwieriger, ein guter Jongleur oder Musiker zu sein, als einige Armbänder oder Ohrringe herzustellen. Ein weiterer Grund, durch Jongliershows Geld zu verdienen, ist die größere Toleranz seitens der Gemeindepolizei. Jedes Land, manchmal sogar jede Gemeinde, hat eigene Vorschriften für Artesanos und Jongleure. So kommt es in Guatemala Stadt beispielsweise darauf an, in welchem Stadtviertel man sich befindet. Oft gibt es keine formellen Gesetze, auf die sich die lokalen Ordnungshüter berufen. Die Laune des Beamten und die informellen Vorschriften aus der Stadtverwaltung entscheiden über Toleranz oder Repression.
Eine Erlaubnis für den Verkauf von Kunsthandwerk im öffentlichen Raum haben die wenigsten der jungen Reisenden. Nicht nur der bürokratische Aufwand und die Unkosten, sondern auch die Vorgaben, die von den Gemeindeverwaltungen gemacht werden, machen den legalen Weg unattraktiv. So kann es beispielsweise sein, dass die Verwaltung dem Artesano einen Platz zuweist, an dem er verkaufen darf. Im schlimmsten Fall sitzt der Artesano an einem Platz, an dem kaum Passanten vorbeikommen und er bleibt auf seinen Waren und den Unkosten für die Lizenz sitzen. Die Artesanos bewegen sich also in einer rechtlichen Grauzone. Das bedeutet für sie, dass sie ständig wachsam sein müssen. Wenn die Gemeindepolizei auftaucht, alarmieren sich die Artesanos gegenseitig und flüchten mit ihren Produkten. Falls die Polizei die Künstler beim Verkauf erwischt, bekommen diese meist eine Verwarnung. Wenn sie aber schon das zweite mal erwischt werden, kann es sein, dass die Polizei die Kunsthandwerke beschlagnahmt. Dann müssen die Artesanos eine Strafe bezahlen, um ihre wertvollen Schätze wiederzubekommen.
Für viele ist die Hauptstadt San Jose lediglich eine Durchgangsstation. Die meisten der reisenden KünstlerInnen halten sich an den Stränden Costa Ricas auf und kommen nur zu den offiziellen Märkten und kulturellen Großevents nach San Jose.
Die lokalen Artesanos in Costa Rica, also diejenigen die nicht unterwegs sind, haben andere Möglichkeiten gefunden ihre Produkte anzubieten. In San José existiert ein kleiner Markt für Kunsthandwerk, der vor einigen Jahren die etablierten Artesanos an einem Platz zusammen gefasst hat. Allerdings gibt es dort viele Händler, die eigentlich kein Kunsthandwerk herstellen, sondern nur verkaufen, was sie vorher selbst im Großhandel gekauft haben.
Für die jungen Artesanos aus San José bietet dieser Markt kaum Möglichkeiten, da es wenige Plätze gibt und diese bereits von etablierten Verkäufern besetzt sind. Die Gemeindeverwaltung in San José organisiert für diejenigen, die nicht auf dem Markt verkaufen, drei Märkte auf denen die Artesanos ihre Waren legal anbieten können. Außerdem können die Artesanos bei kulturellen Veranstaltungen, wie zum Beispiel der Internationalen Kunstmesse FIA, die alle zwei Jahre für zwei Wochen stattfindet, ihre Produkte anbieten.
Karolina ist eine dieser lokalen VerkäuferInnen, die die offiziellen Märkte dem informellen Straßenverkauf vorziehen. Sie berichtet von den langwierigen Bewerbungsverfahren für die offiziellen Märkte, die dazu führen, dass ausschließlich VerkäuferInnen zugelassen werden, die ihre Produkte selbst herstellen. Bei den informellen VerkäuferInnen auf der Straße und am Strand ist das nicht sicher. Viel von dem Kunsthandwerk, das feilgeboten wird, wird in großen Mengen aus Kolumbien importiert und billiger verkauft, als die handgefertigten Produkte. Außerdem wird darauf geachtet, dass unterschiedliches Kunsthandwerk an den offiziellen Märkten angeboten wird und nicht jedeR das gleiche verkauft. An dem Bewerbungsverfahren für die von der Gemeinde organisierten Märkten nahmen das letzte Jahr 400 Artesanos teil, von denen lediglich 150 ausgewählt wurden. Die Auserwählten dürfen an allen offiziellen Märkten der Stadt in diesem Jahr verkaufen.
Karolina versucht für ihr Kunsthandwerk die meisten ihrer Rohmaterialien zu recyceln. Karton, Getränkedosen, Flaschendeckel und alte Kleidung wird zu Handtaschen, Ohrringen, Lesezeichen und Armbändern verarbeitet.
Neben den Artesanos gibt es in San José auch noch andere Möglichkeiten für junge Menschen mit Kunst Geld zu verdienen. An mehreren großen Straßenkreuzungen sieht man täglich Jongleuere, die tagsüber mit Keulen und Stäben und nachts mit Feuer jonglieren. Die Jongleure an den großen Kreuzungen haben es etwas einfacher als die Artesanos. Autos gibt es immer und die rechtliche Lage ist etwas unklarer. In Costa Rica haben die Jongleure kaum Probleme mit der Polizei. Nur wenn AutofahrerInnen die Polizei rufen, weil sie sich und ihr Auto durch die Feuershows bedroht fühlen. Außerdem werden die Jongleuere von Organisationen und Firmen für Events angeheuert, um Shows für die Gäste zu machen. Die Jongleure treffen sich jeden Donnerstag in einem Park in San José, um zu üben und sich auszutauschen. Aufgrund dieses festen Treffpunkts, an dem sich bis zu 80 Jongleure treffen, ist San José auch eines der Zentren der Jongleure in Mittelamerika. Dank dieser aktiven Jonglierszene fand in Costa Rica vor vier Jahren auch das erste internationale Festival für Jongleure in Mittelamerika statt.
Einige der Jongleure versuchen auch Workshops für Anfänger anzubieten, um damit ihr Geld zu verdienen. Im Allgemeinen funktioniert das aber nicht wirklich gut, weil die meisten die Anfänge der Jonglierkunst durch Freunde lernen und sich dann mit Jongleuren im Parque Morazan jeden Donnerstag austauschen.
Neben der großen Gemeinde der lokalen Jongleure gibt es auch viele Reisenden, vor allem aus Argentinien und Chile, die an den Ampeln und an den Stränden ihre Shows inszenieren.
Neben den Jongleuren und Kunsthandwerkern gibt es auch reisende Musiker, die entweder auf der Straße ohne Verstärker spielen oder aber für eine gewisse Zeit an einem Strand bleiben und dort in den Bars auftreten. Allerdings sind die Musiker seltener anzutreffen als Jongleure und Artesanos.
In meinen Interviews haben mir die Artesanos immer wieder beschrieben, wie traurig es ist, wenn die Menschen an ihnen vorbeiziehen und sie völlig ignorieren. Viele Reisende wollen sich nicht mit den Artesanos unterhalten, weil sie glauben, dass sie dann zu einem Verkauf verpflichtet sind. „Schlimmer aber als nichts zu verkaufen ist das Gefühl nicht zu existieren,“ bestätigt mir Karolina am Ende unseres Interviews.
Dieser Artikel erschien außerdem in der Dezember Ausgabe der Informationsstelle Lateinamerika.