Protestaktionen überschatten Ratsversammlung

Erstveröffentlicht: 
21.05.2015

Wagenplatz-Bewohner streiten für ihren Lebensraum, Kita-Erzieherinnen für mehr Geld

 

Von Klaus Staeubert


Begleitet von Protestaktionen tagten gestern Leipzigs Stadträte. Vor dem Haupteingang des Rathauses hantierten "Bauarbeiter" lautstark mit Bagger und Presslufthammer, zerlegten Betonteile und ließen Bäume und Sträucher auf ausgestreutem Rindenmulch wachsen. "Renaturiertes Rathaus" nannten die Bewohner des Wagenplatzes in der Fockestraße 80 ihre Aktion, mit der sie gegen Eingriffe in ihr Wohnprojekt protestierten.


Wie berichtet, will die Stadt einen Teil der brachliegenden Fläche revitalisieren, die die Focke80-Leute mit ihren Wohnwagen okkupieren. Baufällige Gebäude dort sollen abgerissen, Grünflächen angelegt werden. "Mit den angekündigten Baumaßnahmen wäre ein Drittel von uns dazu gezwungen, den Stellplatz zu verlassen", erklärte ein Aktivist. Dass die Stadt bislang auf ihr Angebot, das Wagenplatz-Gelände zu kaufen, nicht mal reagiert habe, offenbare die "behördliche Kahlschlagsmentalität gegenüber alternativen, nichtkommerziellen Projekten". Das Argument einer erforderlichen Brachflächenrevitalisierung stinke zum Himmel. "Falls es das Liegenschaftsamt noch nicht bemerkt hat: Wir sind seit über zwölf Jahren ein selbstverwaltetes Wohn- und Kulturprojekt", hielten die Demonstranten den Stadt-Vertretern vor. Sie sollten "gefälligst vor ihrer eigenen Tür revitalisieren". Und wie das aussehen könnte, führten sie schon mal anschaulich vor.


Drinnen im Rathaus empfingen dann streikende Erzieherinnen die Stadträte. In der laufenden Tarifauseinandersetzung fordert das Personal an kommunalen Kitas und Horten zehn Prozent mehr Gehalt. Eine kurze Begegnung mit Finanzbürgermeister Torsten Bonew (CDU) brachte Diana Olschok auf die Palme. "Er nannte unsere Forderungen maßlos, unverhältnismäßig und überzogen", echauffierte sich die 40-Jährige, die einen Hort leitet. "Eine Erzieherin fängt mit 1100 Euro an", sagte sie. Ein Grund: Die Stadt Leipzig stellt in der Regel nur für 30 Wochenstunden ein. Eine Erzieherin müsse in der Kita im Schnitt 16 bis 20 Kinder betreuen, im Hort sogar bis zu 30. "Wir erwarten vom Stadtrat und vom Bürgermeister, dass sie uns wenigstens mit Respekt entgegenkommen", so Olschok.


Einigen ihrer Mitstreikenden gelang es in den Sitzungssaal zu kommen und sich am Pult von Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) zu versammeln. Der rief den Sicherheitsdienst, nachdem die Frauen seiner Aufforderung, den Saal zu verlassen, nicht nachkamen. In letzter Minute ließ er sich doch auf eine kurze Diskussion mit den Streikenden ein. "Tarifverhandlungen sind Sache der Tarifpartner, sie gehören nicht in den Stadtrat", sagte er ihnen. Schließlich verließen die Frauen den Saal und die Ratsversammlung konnte beginnen. Später bezog Jung vor den Stadträten zu den Streiks doch noch Stellung. 700 Kinder würden derzeit notdürftig betreut. Von den Streiks betroffen seien aber weit mehr Kinder, sagte Katharina Krefft. Auch ihre Kleinen seien zu Hause. "Wir sind jetzt in der zweiten Streikwoche. Das ist eine unglaubliche Belastung für die Eltern. Denn nicht alle kriegen das einfach so geregelt", sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende.
"So ist das in Streikzeiten", erwiderte der Oberbürgermeister. Würde sich die Gewerkschaft mit ihrer zehnprozentiger Lohnforderung durchsetzen, kämen auf die Stadt Leipzig ab 2016 jährlich Mehrausgaben von zehn Millionen Euro zu. "Dann werden auch die Kita-Beiträge der Eltern steigen", brachte Jung die logische Folge auf den Punkt.


Auch aus einem anderen Grund könnten die Kita-Ausgaben der Stadt noch steigen: Die Kommune und ihre Beteiligungsunternehmen erhalten künftig bei baulichen Investitionen für Kindertageseinrichtungen den Vorrang gegenüber privaten Investoren, sofern sie über die erforderlichen Grundstücke verfügen. Die Linken hatten das beantragt und fanden dafür eine große Mehrheit. Linken-Stadtrat Siegfried Schlegel begründete den Vorstoß so: Der Anteil Leipziger Kitas, der von der Kommune betrieben wird, liege bei unter 25 Prozent, in Mitteldeutschland seien 40 Prozent üblich.