Wagenplatz-Bewohner streiten für ihren Lebensraum, Kita-Erzieherinnen für mehr Geld
Von Klaus Staeubert
Begleitet von Protestaktionen tagten gestern Leipzigs Stadträte. Vor
dem Haupteingang des Rathauses hantierten "Bauarbeiter" lautstark mit
Bagger und Presslufthammer, zerlegten Betonteile und ließen Bäume und
Sträucher auf ausgestreutem Rindenmulch wachsen. "Renaturiertes Rathaus"
nannten die Bewohner des Wagenplatzes in der Fockestraße 80 ihre
Aktion, mit der sie gegen Eingriffe in ihr Wohnprojekt protestierten.
Wie berichtet, will die Stadt einen Teil der brachliegenden Fläche
revitalisieren, die die Focke80-Leute mit ihren Wohnwagen okkupieren.
Baufällige Gebäude dort sollen abgerissen, Grünflächen angelegt werden.
"Mit den angekündigten Baumaßnahmen wäre ein Drittel von uns dazu
gezwungen, den Stellplatz zu verlassen", erklärte ein Aktivist. Dass die
Stadt bislang auf ihr Angebot, das Wagenplatz-Gelände zu kaufen, nicht
mal reagiert habe, offenbare die "behördliche Kahlschlagsmentalität
gegenüber alternativen, nichtkommerziellen Projekten". Das Argument
einer erforderlichen Brachflächenrevitalisierung stinke zum Himmel.
"Falls es das Liegenschaftsamt noch nicht bemerkt hat: Wir sind seit
über zwölf Jahren ein selbstverwaltetes Wohn- und Kulturprojekt",
hielten die Demonstranten den Stadt-Vertretern vor. Sie sollten
"gefälligst vor ihrer eigenen Tür revitalisieren". Und wie das aussehen
könnte, führten sie schon mal anschaulich vor.
Drinnen im Rathaus empfingen dann streikende Erzieherinnen die
Stadträte. In der laufenden Tarifauseinandersetzung fordert das Personal
an kommunalen Kitas und Horten zehn Prozent mehr Gehalt. Eine kurze
Begegnung mit Finanzbürgermeister Torsten Bonew (CDU) brachte Diana
Olschok auf die Palme. "Er nannte unsere Forderungen maßlos,
unverhältnismäßig und überzogen", echauffierte sich die 40-Jährige, die
einen Hort leitet. "Eine Erzieherin fängt mit 1100 Euro an", sagte sie.
Ein Grund: Die Stadt Leipzig stellt in der Regel nur für 30
Wochenstunden ein. Eine Erzieherin müsse in der Kita im Schnitt 16 bis
20 Kinder betreuen, im Hort sogar bis zu 30. "Wir erwarten vom Stadtrat
und vom Bürgermeister, dass sie uns wenigstens mit Respekt
entgegenkommen", so Olschok.
Einigen ihrer Mitstreikenden gelang es in den Sitzungssaal zu kommen und
sich am Pult von Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) zu versammeln.
Der rief den Sicherheitsdienst, nachdem die Frauen seiner Aufforderung,
den Saal zu verlassen, nicht nachkamen. In letzter Minute ließ er sich
doch auf eine kurze Diskussion mit den Streikenden ein.
"Tarifverhandlungen sind Sache der Tarifpartner, sie gehören nicht in
den Stadtrat", sagte er ihnen. Schließlich verließen die Frauen den Saal
und die Ratsversammlung konnte beginnen. Später bezog Jung vor den
Stadträten zu den Streiks doch noch Stellung. 700 Kinder würden derzeit
notdürftig betreut. Von den Streiks betroffen seien aber weit mehr
Kinder, sagte Katharina Krefft. Auch ihre Kleinen seien zu Hause. "Wir
sind jetzt in der zweiten Streikwoche. Das ist eine unglaubliche
Belastung für die Eltern. Denn nicht alle kriegen das einfach so
geregelt", sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende.
"So ist das in Streikzeiten", erwiderte der Oberbürgermeister. Würde
sich die Gewerkschaft mit ihrer zehnprozentiger Lohnforderung
durchsetzen, kämen auf die Stadt Leipzig ab 2016 jährlich Mehrausgaben
von zehn Millionen Euro zu. "Dann werden auch die Kita-Beiträge der
Eltern steigen", brachte Jung die logische Folge auf den Punkt.
Auch aus einem anderen Grund könnten die Kita-Ausgaben der Stadt noch
steigen: Die Kommune und ihre Beteiligungsunternehmen erhalten künftig
bei baulichen Investitionen für Kindertageseinrichtungen den Vorrang
gegenüber privaten Investoren, sofern sie über die erforderlichen
Grundstücke verfügen. Die Linken hatten das beantragt und fanden dafür
eine große Mehrheit. Linken-Stadtrat Siegfried Schlegel begründete den
Vorstoß so: Der Anteil Leipziger Kitas, der von der Kommune betrieben
wird, liege bei unter 25 Prozent, in Mitteldeutschland seien 40 Prozent
üblich.