Wenn ein Asylbewerber in Deutschland einen Unfall verursacht, bleibt der Geschädigte bislang auf den Kosten sitzen. Denn Asylbewerber sind nicht versichert. Das gilt auch für Sachsen. Ein Versicherer hat dem Landkreistag nun ein Angebot gemacht: Über eine Gruppenversicherung speziell für Flüchtlinge sollen Asylbewerber haftpflichtversichert werden. Kostenpunkt: jährlich 100 Euro pro Kopf. Das wirft viele Fragen auf: Wittert hier eine geschäftstüchtige Versicherung einen neuen lukrativen Markt? Werden Asylsuchende pauschal als Schadensverursacher stigmatisiert? Die Meinungen dazu sind geteilt. Fakt ist: Zahlen zu Haftpflichtschäden, die Asylbewerber verursachen, werden nicht statistisch erfasst. Bundesweit sind nur Einzelfälle bekannt.
Vor einigen Wochen hat ein Versicherungsunternehmen dem Sächsischen Landkreistag angeboten, Asylbewerber zu versichern. Wie die stellvertretende Geschäftsführerin des Gremiums, Veronika Lowke, sagte, handele es sich bei dem Angebot um "ganz normale Haftpflichtverträge". Lowke erklärte MDR 1 RADIO SACHSEN: "Es besteht jetzt die Möglichkeit, Haftpflichtversicherungen für Asylbewerber abzuschließen als Gruppenversicherung. Damit sollen Schäden durch Asylbewerber wie Wasserschäden oder Brände abgedeckt werden."
Landkreise sollen selbst entscheiden
Der Landkreistag werde die Landkreise über die Vorteile und über die Bedingungen informieren und dann sei es jedem selbst überlassen, solche Rahmenverträge abzuschließen und das Angebot der Versicherer anzunehmen, so die Vize-Geschäftsführerin.
Versicherungsnehmer wird der Asylsuchende sein. Er oder sie muss den Vertrag abschließen und selbst unterschreiben. Für 100 Euro pro Jahr und Person können Asylbewerber nach den vorliegenden Angeboten versichert werden. Die Finanzierung ist noch offen.
Von der Unterbringungspauschale, die die Landkreise und Städte erhalten, ist der Versicherungsbeitrag derzeit nicht abgedeckt, so Lowke. Deshalb will der Landkreistag jetzt an den Freistaat herantreten, konkret an das Finanz- und das Innenministerium.
Ministerien fühlen sich nicht zuständig
Das Innenministerium sei hier nicht zuständig, erklärte allerdings Sprecher Martin Strunden. Die sogenannte Privathaftpflicht sei keine Pflichtversicherung, sondern Privatsache. Vielmehr sieht das Innenministerium das neugeschaffene Integrationsministerium unter Leitung von SPD-Ministerin Petra Köpping in der Pflicht, das für die Betreuung und Integration der Asylbewerber zuständig sei. Dort wiederum spielt man den Ball zurück zum Innenressort, das für die Unterbringung der Asylbewerber verantwortlich ist.
Allerdings räumt Integrationsminsterium-Sprecherin Katja Mäder durchaus eine Lücke in der Versicherungsfrage ein. Das Thema sei am Rande der Integrationsministerkonferenz auf Anfrage von MDR1 RADIO SACHSEN besprochen worden.
Hoffnung auf bundesweite Lösung
Das Problem könne nicht auf Landesebene geklärt werden, so Mäder. Zudem sehe man in dieser Debatte eine Stigmatisierung der Asylbewerber als eine Gruppe, von der besonders viele Gefahren ausgehe. Nicht zu vergessen sei der Umstand, dass eine vom Staat finanzierte Haftpflicht für Asylbewerber ein Geschenk an die Versicherungswirtschaft wäre. Das könne möglicherweise sogar die Rechnungshofprüfer auf den Plan rufen.
Aktuell sind den Behörden keine Fälle bekannt, in denen Privathaftpflicht-Schäden gegen Asylbewerber geltend gemacht worden sind. Das Integrationsministerium schätzt dies als ein "Kleines Thema" ein, das nicht massenhaft auftritt, so Sprecherin Katja Mäder. Mit Blick auf Deutschland sind private Haftpflichtschäden alles andere als marginal.
Zudem raten Verbraucherschützer, Stiftung Warentest und die Versicherungswirtschaft in seltener Einigkeit zum Abschluss einer solchen Versicherung, eine Privathaftpflicht sei für jeden Bundesbürger ein Muss, so der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft. So sind einer repräsentativen Umfrage des Statistischen Bundesamts zufolge 85 Prozent aller Haushalte in Deutschland privat Haftpflicht versichert.
Die Schadensquote beträgt laut Gesamtverband der Versicherungswirtschaft 66 Prozent. Die Versicherten zahlten im vergangenen Jahr 7,4 Milliarden Euro Beiträge ein. Im Gegenzug mussten die Versicherer in Höhe von rund fünf Milliarden Euro leisten.
Landtagsfraktionen geteilter Meinung
Keine der Landtagsfraktionen hatte sich bisher näher mit dem Thema befasst - und keine wollte sich auf ein klares Pro oder Contra festlegen. Für den innenpolitischen Sprecher der CDU, Christian Hartmann, liegt die Privathaftpflicht in der Verantwortung des Einzelnen. Allerdings räumt der Innenpolitiker der Union ein, dass Asylbewerber nicht über die finanziellen Möglichkeiten einer solchen Vorsorge verfügen.
Eine bundeseinheitliche Regelung im
Asylbewerberleistungsgesetz favorisiert auch der Koalitionspartner SPD.
Henning Homann von der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag wies darauf
hin, wenn Asylbewerber anerkannt seien, müssten sie sich selbst um ihre
Versicherung kümmern.
Die Migrationspolitikerin der Grünen, Petra
Zais, kann sich eine Lösung nach dem Vorbild der Sportvereine
vorstellen. Asylbewerber sind dort über eine Gruppenversicherung
unfallversichert. Die Linken tun sich mit solch einer pauschalen Lösung
schwer. Sie wollen das Asylsuchende so wie Deutsche ihre Haftpflicht
freiwillig abschließen können. Allerdings müsse es dafür eine
finanzielle Zusatzausstattung über den Regelsatz hinaus geben, fordert
Juliane Nagel, Sprecherin für Flüchtlings- und Migrationspolitik.
Aus Sicht der AfD kann sich jeder Asylbewerber eine Privathaftpflicht leisten, denn diese koste pro Erwachsenen zwischen 20 und 25 Euro pro Jahr. Die Flüchtlinge müssen schon in der Erstaufnahme aufgeklärt werden, wie wichtig eine solche Versicherung ist, so der AfD-Abgeordnete Jörg Urban und dann könne jeder selbst entscheiden, welches Risiko er tragen wolle. Den Staat sieht Urban hier nicht in der Pflicht.
Die Stadt Dresden hat mit dem kommunalen Schadensausgleich indessen eine Sonderregelung getroffen. Für Schäden, die im Zusammenhang mit der Unterbringung in den Übergangswohnheimen und den rund 400 angemieteten Wohnungen entstehen, erfolgt ein Ausgleich durch die Stadt, so Marco Fiedler, persönlicher Referent des Sozialbürgermeisters. In diesen Fällen übernehme dann der Kommunale Schadensausgleich - eine Art Selbstversicherung der Kommunen - abseits der Versicherungswirtschaft.