Kantinenboykott im Freiburger Gefängnis: "Außergewöhnlicher Fall"

Erstveröffentlicht: 
11.05.2015

70 Insassen der JVA Freiburg haben das Essen verweigert, weil in der Küche ein homosexueller Häftling arbeitete. Das hält der Strafvollzugsexperte Bernd Maelicke für außergewöhnlich. Im Gefängnis würde sowas eigentlich anders gelöst. Mit Prügel. Oder Vergewaltigung.

 

BZ: Das Justizministerium vermutet hinter der Aktion im Freiburger Gefängnis eine Machtdemonstration russlanddeutscher Insassen. Macht das Sinn für Sie?
Strafvollzugsexperte Bernd Maelicke: Homosexuelle stehen generell in der Knasthierarchie ganz unten, sie sind häufig Opfer von Gewalt. In dieser Logik kann es durchaus eine Machtdemonstration sein, nach dem Motto: "Wir lassen uns von einem Schwulen das Essen nicht bereiten." Homophobie gehört ja in Russland regelrecht zur politischen Linie. Um den Fall gut beurteilen zu können, ist aber noch zu wenig bekannt darüber.

BZ: Wie gewöhnlich oder außergewöhnlich sind solche Protestaktionen in Deutschland?
Maelicke: Wenn es wirklich eine Art Hungerstreik gab, ist es ein außergewöhnlicher Fall. Im Gefängnis gibt es eine eigene Subkultur, die ihre eigenen Machtstrukturen hat. Normalerweise werden solche Probleme innerhalb der Subkultur erledigt: Der betreffende Häftling wird bedroht, verprügelt oder vergewaltigt, bis er den Platz verlässt. Es ist äußerst unüblich, daraus eine Machtdemonstration gegenüber der Anstaltsleitung zu machen.

BZ: Hat ein Einzelner die Chance, sich gegen diese Subkultur zu wehren?
Maelicke: Nein. Sie müssen sich das im Gefängnis so vorstellen: Es gibt die Hochkultur, den Behandlungsvollzug, den Beamte, Werkstätten und Programme dominieren. Und die Subkultur, die Unterwelt: Sie ist in allen unkontrollierten Räumen im Gefängnis präsent – in den Werkstätten, Duschen, beim Hofgang – und häufig auch dominant.

"In diesem Kampf der Gruppen muss sich jeder Gefangene überlegen."


BZ: Der Freiburger JVA-Leiter Harald Egerer sagt, dass seit einigen Jahren subkulturelle Netze erhebliche Probleme bereiten. Was hat sich da verändert?
Maelicke: Der Ausländeranteil ist gestiegen. Durch den Wegfall der Grenzen gibt es zahlreiche Gruppen in den Gefängnissen: Russen, Albaner, Schwarzafrikaner, nun kommen noch die Islamisten neu dazu. Die Auseinandersetzungen haben zugenommen. In diesem Kampf der Gruppen muss sich jeder Gefangene überlegen, wem er sich anschließt. Das hängt vom Delikt ab, von der ethnischen Zugehörigkeit, vom Alter.

BZ: Was haben die Leitungen der Haftanstalten für Möglichkeiten, dagegen vorzugehen? Anders gefragt: Wie erpressbar ist eine Anstaltsleitung durch die Häftlinge?
Maelicke: Eine gute Leitung ist nicht erpressbar. Wenn ihr negative Einflüsse der Subkultur bekannt werden, muss sie intervenieren.

BZ: Und eine Form der Intervention ist dann die Verlegung von Problemhäftlingen, wie im Freiburger Fall?
Maelicke: Ja, das wird besonders bei gefährlichen Häftlingen gemacht, die werden nach einem bundesweiten System verlegt, sobald sie beginnen, wieder ein Netzwerk zu entwickeln. Das ist ein bewährtes Instrument. Allerdings löst es das Problem nicht – Gruppen gibt es ja in der neuen Anstalt auch. Sonst gibt es noch Strafverfahren oder Disziplinarmaßnahmen wie Einzelunterbringung oder das Streichen von Privilegien.

BZ: Im Jugendgefängnis Adelsheim wird nach einer Massenschlägerei zwischen Häftlingen russischer und albanischer Herkunft der Hofbereich stärker überwacht und mit Zäunen abgeteilt. Sind das die neuen Realitäten im Strafvollzug?
Maelicke: Ich nenne das Notwehrmaßnahmen. Es hat nichts mit den intendierten Zielen zu tun, gerade im Jugendstrafvollzug. Aber es gibt wohl zurzeit keine andere Lösung.

BZ: Was könnte denn eine Lösung sein?
Maelicke: Kleinere Anstalten oder solche mit Dorfcharakter, die mehr Gruppenorientierung zulassen. Vor allem aber kann man Schädigungen durch die Subkultur verhindern, indem möglichst wenige Leute ins Gefängnis kommen – indem ambulante Programme und die Bewährungshilfe ausgebaut werden.