Geheimnisse um Blockupy

Erstveröffentlicht: 
08.05.2015

Wie konnte es bei der Eröffnung der Europäischen Zentralbank am 18. März zu den Randalen kommen? Polizei und Politik rätseln immer noch darüber. Wer genau hinschaut, sieht sie noch, die Spuren des Blockupy-Protestes. Etwa auf der Hanauer Landstraße, wo mehrere Barrikaden brannten. Die Beschädigungen auf dem Asphalt sind noch nicht ausgebessert. Oder an Straßenbahn- und Bushaltestellen. Dort sind die eingeworfenen Schaukästen zwar mittlerweile repariert. Doch noch immer (oder wieder) hängen an den Haltestellen Aufkleber. „1803 – ich nehm’ mir frei“, heißt es darauf. Eine Aufforderung, bei der EZB-Eröffnung am 18. März nicht zur Arbeit zu gehen, sondern zu demonstrierten. Zehntausende taten das auch. Nicht alle blieben friedlich.

 

Mehr als sieben Wochen sind seit Blockupy vergangen. Seit den „schlimmsten Krawallen, die es in Frankfurt in den vergangenen Jahrzehnten gegeben hat“, wie Polizeipräsident Gerhard Bereswill am Tag danach erklärte. Viel wurde seitdem darüber diskutiert, wie es zum Ausbruch der Gewalt im Morgengrauen kommen konnte. Fast immer ging es dabei hochemotional zu, bisweilen wurde es polemisch. Doch der Kenntnisstand hat sich seit dem 18. März kaum verändert.

 

Noch immer ist nicht klar, wer da eigentlich von 5.30 Uhr an randaliert hat. Waren es tatsächlich vorwiegend aus Frankreich und Italien angereiste Krawallmacher, wie gemutmaßt wurde? Fakt ist, dass die Polizei eine größere Gruppe aus Italien einkesselte. Ein Italiener, der Steine geworfen haben soll, sitzt noch immer in Untersuchungshaft. Seine Unterstützer sprechen mittlerweile von einem Exempel, das an ihm statuiert werden solle.

 

Doch woher hatten die Randalierer so gute Ortskenntnisse, wenn sie nicht aus Frankfurt stammten? Zielsicher steuerten sie etwa das 1. Polizeirevier auf der Zeil an und setzten die Einsatzwagen in Brand. Außerdem wussten sie ganz genau, welchen Platz sie in Frankfurt blockieren müssen, um den Verkehr komplett lahmzulegen, und der Polizei den Weg zur Randale zu erschweren: den Ratswegkreisel.

 

Ein großes Thema ist Blockupy im Polizeipräsidium nach wie vor – doch dringt kaum etwas nach außen. Der Einsatz werde aufgearbeitet, heißt es offiziell. Das gilt für so ziemlich jeden Einsatz der größer ist als die Festnahme eines Eierdiebs.

 

Bekannt ist, dass manche hochrangige Beamte es zwar genießen, von der Politik gefeiert zu werden, die Taktik an jenem 18. März aber durchaus kritisch sehen. Denn wenn Gerhard Bereswill sagt, es habe die schlimmsten Krawalle seit Jahrzehnten gegeben, schwingt darin ein unausgesprochener Nachsatz mit: „Und 10 000 Polizisten waren nicht in der Lage, sie zu verhindern.“ An der personellen Ausstattung der Polizei lag es jedenfalls nicht, dass die Straftäter rund drei Stunden lang weitgehend ungestört randalieren konnten, und es kaum mehr als 20 Festnahmen gab. Beamte aus allen Bundesländern waren im Einsatz. Sie hatten Wasserwerfer dabei und Räumfahrzeuge und sogar Geräte, mit denen sie Tränengasgranaten abschießen konnten – was sie dann im Laufe des Vormittags auch taten. 

 

Brennende Barrikaden


So liegt der Verdacht nahe, dass die Polizei zu sehr darauf bedacht war, den Doppelturm der EZB zu schützen. Dort standen zahlreiche Hundertschaften – und passten auf wenige Demonstranten auf, die sich zu Mahnwachen versammelt hatten. Außerdem lieferten sich die Beamten an der Flößerbrücke wahre Schlachten mit Autonomen, die zur EZB vordringen wollten. Es gelang, sie auf Distanz zu halten.

 

Doch währenddessen spielten sich in der Innenstadt und im Ostend beängstigende Szenen ab. Auf der Hanauer Landstraße brannten Barrikaden, Demonstranten standen drumherum, und es geschah nichts. Kaum ein Polizist ließ sich blicken.

 

Offen ist auch, welche Rolle die Linkspartei spielte. Bereswill war am Tag nach Blockupy in die Offensive gegangen und hatte die Partei kritisiert. In den Räumen der Linken an der Schönstraße seien Demonstranten aus der autonomen Szene ein- und ausgegangen.

 

Doch zum einen handelt es sich bei dem besagten Haus gar nicht um ein Gebäude der Linken. Und zum anderen hat die Polizei offenbar keine Hinweise darauf, dass in den Räumen irgendetwas Verbotenes geschehen ist. Jedenfalls hält sich die Justiz mit Ermittlungen zurück.

 

Dafür wurden die Linken zum Feindbild Nummer 1 in der Landes- und Stadtpolitik. Blockupy-Anmelder Ulrich Wilken wird bei jeder Gelegenheit aufgefordert, sein Amt als stellvertretender Landtagspräsident niederzulegen (siehe nebenstehenden Bericht). Und Martin Kliehm, der sicherheitspolitische Sprecher im Römer, musste sich im Parlament „Raus, raus, raus“-Rufe anhören, weil er kritische Fragen gestellt und zudem nicht geklatscht hatte, als Gerhard Bereswill im Rathaus begrüßt wurde.

 

Eine Veranstaltung wie Blockupy dürfe es in Frankfurt nie wieder geben, heißt es in einem sicherheitspolitischen Konzept, das die CDU-Fraktion im Römer kürzlich vorgelegt hat. Das sehen Vertreter der Interventionistischen Linke ganz anders. Sie sprachen kürzlich bei einer Podiumsdiskussion der Rosa-Luxemburg-Stiftung davon, der Tag sei ein Erfolg gewesen. Da protestierten selbst die Linkspartei-Anhänger im Saal.

 


 

 

Termin

 

Am kommenden Montag, 11. Mai, lädt die Frankfurter Rundschau zum Stadtgespräch zum Thema Blockupy ein. Unter dem Titel „Blockupy – Nach der Randale“ wird im Haus am Dom über die Proteste gegen die EZB am 18. März, die europäische Austeritätspolitik und die Zukunft linker Protestbewegungen gestritten. Moderiert wird der Abend, der um 19.30 Uhr beginnt, von den FR-Redakteuren Pitt von Bebenburg und Hanning Voigts.

 

Gäste

 

Als Gäste sind hessische Politiker, ein Blockupy-Aktivist und ein hessischer Polizist eingeladen. Holger Bellino ist innenpolitischer Sprecher der CDU im hessischen Landtag und ein scharfer Kritiker des Blockupy-Bündnisses. Nach den Ausschreitungen am 18. März warf er Abgeordneten der hessischen Linkspartei vor, „geistige Brandstifter“ zu sein. Aktuell fordert er schärfere Strafen für Angriffe auf Polizeibeamte.

 

Linke

 

Janine Wissler ist Fraktionschefin der hessischen Linken und von Beginn an Mitstreiterin von Blockupy. Sie hält eine breite Kritik an der EU-Krisenpolitik, die sie als „Verarmungsprogramme“ bezeichnet, für notwendig.

 

Polizei

 

Ewald Gerk ist stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Hessen und hat sich zuletzt gegen die geplante Nullrunde bei der Besoldung für hessische Beamte stark gemacht. Er kann aus der Sicht der Einsatzkräfte über die Blockupy-Proteste berichten.

 

Blockupy

 

Frederic Wester ist Aktivist und Sprecher des Blockupy-Bündnisses. Als Mitglied des linksradikalen Bündnisses „Ums Ganze“ hat er es nach dem 18. März abgelehnt, sich generell von militanten Aktionen und Regelverletzungen zu distanzieren. han