Ukraine im Burg­erkrieg

Ukraine im Bürgerkrieg
Erstveröffentlicht: 
25.03.2015

Am 14. März 2015 fand im Amer­ling­haus in Wien eine sehr inter­es­sante Ver­anstal­tung zum „Kon­flikt in der Ukraine“ statt. Die Ver­anstal­tung, an der ein Genosse von „Borotba“ aus der Ukrain teil­nahm wurde von der „Ini­tia­tive gegen Mil­i­taris­mus und Krieg“ organ­isiert.  

 

Eine Vertreterin der Ini­tia­tive und zugle­ich der Inter­naionalen Plat­tform gegen Iso­la­tion über­nahm die Mod­er­a­tion, wobei dem Ref­er­enten zunächst Fra­gen vom Podium aus gestellt wur­den und anschließend Fra­gen aus dem Pub­likum beant­wortet wurden.

Her­zlichen Dank an die/​den Genossin/​Genossen, die/​der sich die wertvolle Mühe machte, die lange und span­nende Ver­anstal­tung zu tran­skrip­ieren.

- Hallo, ich begrüße euch ganz her­zlich als Teil der Ini­tia­tive. Zu Beginn wird der Genosse von Borotba eine kurze Ein­leitung machen zu dem, was konkret in der Ukraine vorgeht.

- Ich über­bringe euch Grüße von der Organ­i­sa­tion Borotba. Borotba ist ein Zusam­men­schluss in der Ukraine und ver­steht sich selbst als eine radikal marx­is­tis­che Organ­i­sa­tion. Sie wurde vor nicht allzu langer Zeit, im Jahr 2011, gegründet.

Wie ihr wahrschein­lich wisst, haben wir zur Zeit in der Ukraine eine ern­sthafte Krise, einen Bürg­erkrieg. Wir haben die Repres­sion durch die Regierung. Es ist eine sehr schwierige Sit­u­a­tion, die zu einem echten Krieg führen kann, der nicht mehr auf eine Region beschränkt ist, son­dern sich über das gesamte Land ausbreitet.

Borotba beteiligt sich am poli­tis­chen Leben im Land als eine antifaschis­tis­che, antikap­i­tal­is­tis­che und gegen die Regierung gerichtete Kraft. Sie wird von der Regierung und von recht­sex­tremen Nation­al­is­ten in der Ukraine ver­folgt.
Zur Geschichte des gegen­wär­ti­gen Kon­flikts in der Ukraine: Es gibt eine lange Geschichte von Spal­tun­gen in der Ukraine, das ist ziem­lich kom­pliziert. Aber kurz zusam­menge­fasst kann sie charak­ter­isiert wer­den als zwei gegen­sät­zliche Konzepte der Staats­bil­dung der Ukraine.

Es gibt das Konzept, dass die Ukraine Erbe der ukrainis­chen Sow­je­tre­pub­lik ist, als ehe­ma­liger Teil der Sow­je­tu­nion, und das Konzept einer nation­al­is­tis­chen Ukraine als Nach­fahre der von den Nazis beset­zten Ukraine.

Dieser Gegen­satz zwis­chen pro-​sowjetischer und pro-​Nazi-​Ukraine wurde im let­zten Jahr kün­stlich noch ver­stärkt und ver­tieft durch den Kampf zwis­chen unter­schiedlichen Grup­pierun­gen von ukrainis­chen Kap­i­tal­is­ten. Zu den Wahlen und in der poli­tis­chen Auseinan­der­set­zung mobil­isierten zwei kap­i­tal­is­tis­che Frak­tio­nen ihre eige­nen Wäh­lerIn­nen, indem sie an prosow­jetis­che oder pro-​Nazi-​Gefühle appel­lierten. So ver­suchten sie jew­eils, an die Macht zu kom­men, das Par­la­ment zu beherrschen.

Die frühere ukrainis­che Regierung war eben­falls eine kap­i­tal­is­tis­che Regierung, das sind sie beide. Die frühere Regierung stützte sich vor allem auf die prosow­jetis­che Ukraine. Aber sie flirtete nicht nur mit Rus­s­land, son­dern auch mit der EU, mit den Nation­al­istIn­nen, den Kom­mu­nistIn­nen und ver­suchte so, ihre poli­tis­che Linie auszubalancieren.

Jahre­lang ver­han­delte sie mit der EU das Frei­han­delsabkom­men, aber im Novem­ber 2013 weigerte sie sich plöt­zlich, dieses Abkom­men zu unterze­ich­nen. Gle­ich am näch­sten Tag nach dieser Weigerung begann der Protest im Zen­trum von Kiew. Die Demon­stran­tInnen beze­ich­neten die Regierungsentschei­dung als einen Ver­rat an den west­lichen Werten, als einen Ver­rat am prow­est­lichen Kurs der Regierung. Sie forderten eine stärkere Annäherung an die EU und die Unterze­ich­nung des Freihandelsabkommens.

Dieser Protest am Maidan-​Platz wurde anfangs von mainstream-​JournalistInnen organ­isiert, die bei Pri­vat­sendern arbeit­eten. Er wurde unter­stützt von ver­schiede­nen NGOs, von denen die meis­ten vom Westen finanziert wer­den, sowie von ukrainis­chen Oli­garchen, denen diese Medien, die TV-​Stationen gehören.

Dieser Protest wurde ständig pro­motet, in allen TV-​Stationen wurde dazu aufgerufen, die US-​Botschaft und Botschaften von EU-​Ländern riefen zum Protest auf, und so wur­den bes­timmte Teile der Gesellschaft mobil­isiert. Vor allem waren das Ange­hörige der Mit­telk­lasse, Klei­n­un­ternehmerIn­nen, die über die Kor­rup­tion empört waren und Steuersenkun­gen sowie mehr Unter­stützung für pri­vate Unternehmen und Ini­tia­tiven forderten.

Als ihre Schlägertruppe mobil­isierten sie recht­sex­trem­istis­che Nation­al­is­ten, darunter auch paramil­itärische Nazi-​Organisationen. Und so hat­ten wir an der Front paramil­itärische Nazi-​Organisationen, hin­ter denen das Klei­n­un­ternehmer­tum, Oli­garchen, die mainstream-​Medien und ver­schiedene, vom Westen finanzierte NGOs standen.
Und jedes Mal, wenn der Protest abzubröck­eln begann, kam es zu neuen Pro­voka­tio­nen. Es gab Schießereien von Heck­en­schützen, sehr selt­same Ver­brechen, die bis heute nicht aufgek­lärt wur­den. Bis heute ist nicht bekannt, wer diese Pro­voka­tio­nen durchge­führt hat.

Die schlimm­ste Pro­voka­tion geschah let­zten Feb­ruar [2014], die soge­nan­nte Maidan-​Schießerei. Ein paar nicht iden­ti­fizierte Heck­en­schützen began­nen, von den Haus­däch­ern aus auf beide Seiten zu schießen: Auf der einen Seite auf die Demon­stran­tInnen, die Nazis, die NGOs, Mit­telk­las­se­leute, die Klei­n­un­ternehmerIn­nen und auf der anderen auf die Polizei. Sie erschossen zur sel­ben Zeit Polizis­ten und Demon­stran­tInnen. Die Urher­ber dieser Pro­voka­tion sind immer noch nicht identifiziert.

Die Medien, die US-​Botschaft unter­stützten sofort die Demon­stran­tInnen, sie kamen zu ihren Führern, boten Unter­stützung an. NATO-​Chefs besuchten die Führer vom Maidan, vor allem die Führer. Der Maidan war von Anfang an keine selb­stor­gan­isierte Struk­tur. Alles war gut dur­chor­gan­isiert. Der Kom­man­dant vom Maidan war ein ukrainis­cher Par­la­mentsab­ge­ord­neter, Andrij Paru­bij, der Grün­der der ukrainis­chen Sozial-​Nationalen Partei. Das ist eine Nazi-​Partei. Und so spielte die nazis­tis­che Struk­tur von Beginn an die Haup­trolle. Alle paramil­itärischen Ein­heiten am Maidan unter­standen diesem Kommandant.

Während einer Woche des Kampfes zwis­chen Polizei und diesen Nazi-​Sturmtruppen kamen Vertreter der US-​Botschaft und der EU und han­del­ten eine Art Abkom­men aus zwis­chen den paramil­itärischen Kräften am Maidan und der früheren Regierung. Aber die Kämpfe hiel­ten trotz­dem an. Und eines Tages floh der frühere Präsi­dent ein­fach aus dem Land. Gemein­sam mit seinem Gefolge.

Nach­dem der Präsi­dent weg war, began­nen die Nazi-​Truppen, die Kom­mu­nis­tis­che Partei anzu­greifen — Maidan war immer schon streng antikom­mu­nis­tisch. Ständig ver­bran­nten sie rote Fah­nen, Ham­mer und Sichel-​Symbole und andere Sym­bole und Büros der Kom­mu­nis­tis­chen Partei. Sie began­nen, Lenin-​Denkmäler zu zer­stören, sow­jetis­che Sym­bole. Inner­halb einer Woche kamen sie in andere Städte im Süden, im Zen­trum und in der Ostukraine. Über­all wur­den Denkmäler und Büros zerstört.

Diese gewalt­täti­gen Angriffe vor allem auf ein­fache Bürg­erIn­nen auf der Straße führten bei vie­len Men­schen in der Prov­inz zu großer Empörung. Sie gin­gen auf die Straße und protestierten gegen die neue Regierung. Dabei han­delte es sich eben­falls um tausende Menschen.

Für einige Wochen hat­ten wir in vie­len Städten in der Ukraine gewalt­tätige Massen­zusam­men­stöße auf den Straßen zwis­chen den jun­gen Unter­stützerIn­nen von Maidan und den jun­gen Unter­stützerIn­nen von Anti-​Maidan. Tausende kämpften gegen tausende, während es keine wirk­liche neue Macht gab. Die Anti-​Maidan-​Bewegung war unor­gan­isiert, sie ent­stand spon­tan. In vie­len Städten wur­den sie gewalt­sam unterdrückt.

Dabei wur­den bei diesen Auseinan­der­set­zun­gen Sym­bole aus dem Zweiten Weltkrieg benutzt. Der eine Teil, die Maidan-​Nationalisten, entwick­elte sich weiter nach rechts, zum Nazis­mus, sie bezo­gen sich auf die faschis­tis­che Bewe­gung des Zweiten Weltkriegs.
Die Anti-​Maidan-​Bewegung über­nahm die Sym­bole der Sow­je­tarmee, der sow­jetis­chen Par­ti­sa­nen in der Ukraine. Denn der Zweite Weltkrieg war in der Ukraine auch eine Art von Bürg­erkrieg. Hun­dert­tausende Ukrainer­In­nen kämpften für die deutschen Nazis, hun­dert­tausende kämpften für die sow­jetis­che Armee. Diese Trennlinie bleibt noch nach Gen­er­a­tio­nen aufrecht. Es gibt Clans, Fam­i­lien, die sich auf die Sow­je­tu­nion beziehen, und welche, die sich auf die Nazis beziehen. Sie ver­mis­chen sich nur sel­ten, ähn­lich wie in Spanien, wo die pro-​Franco und die pro-​republikanischen Clans eben­falls gen­er­a­tio­nen­lang existierten.

- Ich habe jetzt einige Fra­gen vor­bere­itet, die ich stellen möchte. Ich komme dazu, wie Borotba ent­standen ist und was die länger­fristi­gen Ziele von Borotba sind.

- Borotba ent­stand 2011. Wie bere­its gesagt, ver­steht sie sich als radikal marx­is­tis­che Organ­i­sa­tion. Sie ent­stand aus ver­schiede­nen Organ­i­sa­tio­nen und ist eine Art Assozi­a­tion; sie besteht aus einer Abspal­tung von der Kom­mu­nis­tis­chen Partei der Ukraine, vor allem der kom­mu­nis­tis­chen Jugend­be­we­gung, einer Abspal­tung der Marx­is­tis­chen Organ­i­sa­tion, aus eini­gen kleineren Organ­i­sa­tio­nen wie der Jugend gegen Kap­i­tal­is­mus, der Bewe­gung Che Gue­vara, aus Grup­pen, die von der Unter­stützung der lateinamerikanis­chen boli­varischen Bewe­gung, der Unter­stützung von Chavez inspiri­ert wur­den, und aus eini­gen Indi­viduen, Trotzk­istIn­nen, MaoistIn­nen, die indi­vidu­ell beige­treten sind.

Es ist also eine Assozi­a­tion von Men­schen mit ver­schiede­nen Sichtweisen der Linken. Deshalb gibt es auch kein ein­deutiges Pro­gramm, keine ein­deuti­gen Ziele. Wir haben vor­erst viele his­torische Fra­gen bei­seite gelassen, um keine Spal­tun­gen zu provozieren. Wir konzen­tri­eren uns haupt­säch­lich auf die gegen­wär­tige Sit­u­a­tion, auf die drin­gend­sten Fra­gen, auf den Wider­stand und den Kampf, der ger­ade jetzt stattfindet.

Unser all­ge­meines poli­tis­ches Pro­gramm ist der Kampf gegen Kap­i­tal­is­mus, der antifaschis­tis­che Kampf, der Kampf für Gen­der­gle­ich­heit. Die kurzfristi­gen Ziele sind sicher der Wider­stand die extreme Rechte und gegen die Ein­führung des neolib­eralen Kap­i­tal­is­mus in der Ukraine, gegen Spar­maß­nah­men, neolib­erale Refor­men, mit denen die neue Regierung sehr rasch begonnen hat. Und langfristig geht es um den Kampf für eine sozial­is­tis­che Ukraine als Teil einer sozial­is­tis­chen Welt.

- Meine näch­ste Frage ist die nach den Gefan­genen in diesem Krieg, nach den Teilen der Bevölkerung und Mit­gliedern der ver­schiede­nen Bewe­gun­gen, die inhaftiert wer­den. Wie viele Per­so­nen sind seit dem Putsch gekid­napped, ver­haftet, umge­bracht wor­den? Welche Meth­o­den wen­den die staatlichen Kräfte gegen die Men­schen an, um sie zu unterdrücken?

- Das größere Prob­lem zur Zeit ist, dass diesen nazis­tis­chen Kräften völ­lige (Straf-)Freiheit gewährt wurde, wenn sie gegen jegliche Oppo­si­tion vorge­hen. Die Anzahl der Opfer ist schwer festzustellen. Leute ver­schwinden ein­fach. Leute ver­suchen sich zu ver­stecken, fliehen aus dem Land. Deshalb ken­nen wir nicht ein­mal die genaue Zahl derer, die im Bürg­erkrieg gefallen sind.

Aber wir ken­nen viele Fälle, wie das Mas­saker von Odessa, bei dem rund 50 Men­schen von Faschis­ten ermordet wor­den sind. Das Mas­saker von Odessa war erst der Beginn des Bürg­erkriegs, danach began­nen Teile der Armee und einige Polizeiabteilun­gen gegen die neue Regierung zu rebel­lieren, ver­sagten ihr die Loy­al­ität. Und Schießereien, kid­nap­pings und so weiter gab es jeden einzel­nen Tag.
Die offizielle Anzahl der Opfer der Auseinan­der­set­zun­gen in diesem Bürg­erkrieg beträgt bis heute etwa 6.000 Getötete. Das sind aber nur diejeni­gen Per­so­nen, die iden­ti­fiziert wer­den kon­nten. Was die Gefan­genen bet­rifft, so gibt die neue Regierung allein für die Stadt Charkiw — in der es zu hefti­gen Auseinan­der­set­zun­gen zwis­chen pro– und anti-​Maidan-​Kräften mit tausenden Beteiligten gekom­men ist, wobei immer wieder Regierungs­ge­bäude besetzt und von der Polizei geräumt wur­den — an, dass 700 soge­nan­nte Ter­ror­istIn­nen ver­haftet wor­den sind. Das ist nur diese eine Stadt Charkiw.

Wobei die Regierung nicht nur diejeni­gen als Ter­ror­istIn­nen beze­ich­net, die bewaffnet kämpfen, son­dern auch diejeni­gen, die öffentlich zu Antikriegsprotesten aufrufen, die öffentlich die Regierungspoli­tik kri­tisieren. Sie alle wer­den als Ter­ror­is­ten beze­ich­net.
Die Hauptschläge der paramil­itärischen Kräfte genauso wie der Regierung und des Staatss­chutzes wur­den gegen Kom­mu­nistIn­nen geführt, gegen linke Grup­pen und Funk­tionäre der Kom­mu­nis­tis­chen Partei, die ver­haftet und des Ter­ror­is­mus angeklagt wur­den. Oder sie wur­den gekid­napped. Erst vor zwei Tagen ist der Führer der Liga der Kom­mu­nis­tis­chen Jugend in der Wes­tukraine gekid­napped wor­den, von Faschis­ten vom Rechten Sek­tor. Einen Tag später tauchte er beim Staatss­chutz auf, wo er ver­hört wurde.

- Wie sieht die Rolle Rus­s­lands, der USA und der EU in der ukrainis­chen Krise aus?

- Sicher ver­fol­gen alle diese Kräfte, und es sind alles kap­i­tal­is­tis­che Kräfte, ihre eige­nen ökonomis­chen und poli­tis­chen Ziele in dieser Krise. Aber dieses Tri­an­gel hat unter­schiedliche Inter­essen.
Rus­s­land möchte vor allem seine Gren­zen sich­ern, gegen die Ein­beziehung der Ukraine in dieNATO. Es möchte seinen Flot­ten­stützpunkt auf der Krim absich­ern. Rus­s­land möchte keine NATO-​Basen in der Ukraine zulassen, weil das zu nahe an Rus­s­land ist. Wenn die NATO sich raushält, hat Rus­s­land keine weit­eren Inter­essen an diesem Konflikt.

Auch Rus­s­land durch­läuft eine ökonomis­che Krise, und in der Ukraine ist es zu schw­eren Zer­störun­gen der Infra­struk­tur gekom­men, eine teure Angele­gen­heit. Aber in Rus­s­land selbst machen die ein­fachen rus­sis­chen Wäh­lerIn­nen Druck auf die Regierung, mehr Anstren­gun­gen zur Vertei­di­gung der Rebellen im Don­bass zu unternehmen, der prosow­jetis­chen Ukrainer­In­nen.
Die rus­sis­che Regierung ver­sucht also ein­er­seits, ihre ökonomis­chen Beziehun­gen zum Westen aufrecht zu erhal­ten, und ander­er­seits nicht das Ver­trauen der Mehrheit ihrer Wäh­lerIn­nen zu verlieren.

Was die Rolle der EU bet­rifft: Wie ich gesagt habe, es begann mit dem Frei­han­delsabkom­men mit der EU, begleitet von einem Abkom­men mit dem Inter­na­tionalen Währungs­fonds, der Preis­er­höhun­gen und Pri­vatisierung der Indus­trie, von Kraftwerken und Fab­riken forderte. Die EU wollte den ukrainis­chen Markt öff­nen, um solche ökonomis­chen Maß­nah­men durch­set­zen zu kön­nen, die höchst­wahrschein­lich zur völ­li­gen Zer­störung der ukrainis­chen indus­triellen Pro­duk­tion geführt hätten.

Die EU ist aber keine ein­heitliche Kraft, sie ist nicht so vere­int wie die USA oder Rus­s­land, sie besteht aus ver­schiede­nen Regierun­gen. Während die Neuen, die osteu­ropäis­chen Län­der inner­halb der EU zumeist pro-​USA ori­en­tiert sind, ver­suchen wes­teu­ropäis­che Län­der wie Deutsch­land, Frankre­ich oder Ital­ien eine eigen­ständige Poli­tik betreiben möchten.

Die Kraft, die den Kon­flikt in der Ukraine ständig eskaliert, die das Feuer schürt, ist die US-​Regierung. Ihre Poli­tik zielt darauf ab, die ökonomis­chen Beziehun­gen zwis­chen Rus­s­land und derEU zu zer­stören, zwis­chen ihnen Missstim­mungen zu erzeu­gen. Das bet­rifft vor allem den Öl– und Gas­trans­port, der haupt­säch­lich über die Ukraine abgewick­elt wird. Das würde beide, die EU und Rus­s­land, in eini­gen ökonomis­chen Fra­gen abhängiger von den USA machen.
Uns scheint, dass die EU weniger an einer Eskala­tion des Bürg­erkriegs in der Ukraine inter­essiert ist, während aber pro-​amerikanische Kräfte inner­halb der EU sehr stark daran arbeiten.

- Wie bew­ertet Borotba die inter­na­tionale linke, rev­o­lu­tionäre Bewe­gung bezüglich der Unter­stützung in diesem Kon­flikt in der Ukraine? Wie sieht die Unter­stützung seit­ens der linken Bewe­gung aus?

- Also die mainstream-​Medien stellen den Kon­flikt in der Ukraine vielfach verz­errt dar. Oft han­delt es sich um reine Erfind­un­gen in der Berichter­stat­tung. Das führt viele Men­schen in die Irre. Die Linke ist deshalb oft ges­pal­ten über die Ein­schätzung der Sit­u­a­tion in der Ukraine, weil sie davon abhängt, welcher Infor­ma­tion sie meint trauen zu kön­nen.
Auf der anderen Seite tendiert die lib­eralere Linke, die eher sozialdemokratis­che Linke dazu, weniger aktiv zu sein in dieser Frage und sich nicht zu positionieren.

Mod­er­a­tion: Danke sehr. Wir haben bewusst Fra­gen offen gelassen und bit­ten um möglichst kurze Fra­gen, damit wir nicht zu viel Zeit damit verlieren.

Frage (1): Ich möchte noch eine Frage zur Entste­hung von Borotba stellen. Du hast da eine Art Syriza-​Erzählung präsen­tiert, mit den Abspal­tun­gen, aus denen Borotba ent­standen ist. Das gilt für Syriza auch, aber dazu muss man wis­sen, dass 80% von Syriza eine Abspal­tung von der Partei, die Berlinguer nah­e­s­tand, dem Toten­gräber des ital­ienis­chen Kom­mu­nis­mus. Meine Frage lautet, wer ist die dominierende Kraft bei Borotba? Und gestern haben wir schon kurz darüber gesprochen, dass es in der Ukraine eigentlich vier ver­schiedene Grup­pen von Faschis­ten gibt, auf ukrainis­cher und auf rus­sis­cher Seite. Kannst du dazu etwas sagen?

- Borotba war teil­weise bee­in­flusst vom Fall Syriza, das ist vielle­icht wirk­lich ein Beispiel. Aber der wichtig­ste Teil von Borotba ist ver­mut­lich die Liga der jun­gen Kom­mu­nistIn­nen, der radikalere Teil der Jugend der Kom­mu­nis­tis­chen Partei der Ukraine. Die sind am stärk­sten bee­in­flusst von den Kämpfen in Lateinamerika.

Zu den Spal­tun­gen inner­halb der rechten Kräfte in der Ukraine: die ukrainis­chen Rechten sind jetzt vere­int, sowohl die kon­ser­v­a­tive als auch die neon­azis­tis­che Tra­di­tion unter­stützt entweder die Regierung, oder sie kri­tisieren sie von der recht­sex­tremen Seite her, dass sie nicht gewalt­tätig genug ist. Dass sie die Oppo­si­tion nicht völ­lig zer­schlägt. Also die ukrainis­chen Rechten sind vere­int. Sie kom­men als Frei­willige in die Batail­lone und bekämpfen entweder den Don­bas oder sie zer­schla­gen die Oppo­si­tion in anderen ukrainis­chen Städten.

Wenn wir über die rus­sis­che Rechte sprechen: Die ist ges­pal­ten über die Ukraine-​Frage. Die Agenda der rus­sis­chen Neon­azis ist White Power, ein vere­intes weißes Europa. Sie unter­stützen die Kräfte in Kiew. Sie kämpfen als Frei­willige in den pro-​Kiew-​Kräften.
Dann gibt es rus­sis­che Rechte, die aus einer kon­ser­v­a­tiven Tra­di­tion kom­men, aus der ortho­doxen Reli­gion, der kon­ser­v­a­tiven Regierung. Sie tendieren dazu, die Rebellen im Don­bas zu unter­stützen. Das hängt davon ab, welche Agenda die jew­eilige Rechte ver­folgt. Entweder ein vere­intes, weißes Europa, ein ras­sisch weißes Europa, oder sie sind kon­ser­v­a­tiv, religiös-​orthodox. Die Russen sind da gespalten.

Frage (2): Welche Posi­tion nimmt Borotba im Kon­flikt Westukraine-​Ostukraine ein? Soweit ich weiß, hat es zu Beginn in der Ostukraine schon eher eine Massen­be­we­gung gegeben, mit Ansätzen von Basisor­gan­isierung. Das hat sich aber ziem­lich geän­dert mit der Kriegssituation.

- Für uns ist das nicht so sehr ein Kon­flikt zwis­chen der Ost– und der Wes­tukraine. Viele Leute aus der Wes­tukraine kom­men in den Osten, um den Don­bas zu unter­stützen. Und es gibt Leute aus dem Don­bas, die in den Nazi-​Bataillonen kämpfen. Die meis­ten Leute im Rechten Sek­tor, den pro-​Kiew-​Nazis, sprechen rus­sisch. Ander­er­seits sind im Don­bas viele Ukrainer, aber sie sind pro-​sowjetisch.
Die Nazis haben im Westen ihre ersten Erfolge gehabt. Aber wir sind gegen diese falsche Sichtweise von West– und Ostukraine. Wir betra­chten die Wes­tukraine nicht als völ­lig faschis­tisch. Das ist nicht der Fall. Viele Leute sind dort entweder im Unter­grund, oder sie betreiben Sab­o­tage in der Wes­tukraine, gegen die Regierung.

Die Poli­tik der neuen Regierung, die Poli­tik der extremen Rechten desin­te­gri­ert die Ukraine. Der Ver­such, ihre Agenda — die Agenda einer Min­der­heit, die unpop­ulär ist — ver­schiede­nen Regio­nen, Men­schen aufzuzwin­gen treibt die Men­schen weg von ihnen. Sie desin­te­gri­eren und zer­stören das Land.

Wir betra­chten die Ukraine als ein vere­intes Land, mit allen Men­schen, die hier leben: RussIn­nen, Moldaw­ierIn­nen, GriechIn­nen, RumänIn­nen, mit ihrer eige­nen Kul­tur, Sprache, ihren regionalen Rechten wie dem Recht, ihre eige­nen Region­al­regierun­gen zu wählen, ihre Wirtschaft, ihre Kul­tur selbst zu bes­tim­men. Wir meinen, die Ukraine kann nur als mul­ti­kul­turelles Land existieren. In dem die ökonomis­che und kul­turelle Poli­tik nicht gewalt­sam den Men­schen aufgezwun­gen wird.

Frage (3): Gibt es eine fem­i­nis­tis­che Organ­i­sa­tion in der Ukraine? Und wie sieht diese aus?

Borotba: Unsere fem­i­nis­tis­che Umge­bung, ebenso wie die grü­nen Organ­i­sa­tio­nen sind haupt­säch­lich von bes­timmten poli­tis­chen Parteien geschaf­fen wor­den. Es han­delt sich um eine Art von kleinen NGOs. Jede Partei hat ihre eigene Frauenor­gan­i­sa­tion. Die kom­mu­nis­tis­che Partei, kap­i­tal­is­tis­che Parteien haben ihre eige­nen Frauenor­gan­i­sa­tio­nen.
Aber fem­i­nis­tis­che Organ­i­sa­tio­nen in der Form von west­lichen solchen Organ­i­sa­tio­nen gibt es nur in Form von kleinen NGOs, mit vielle­icht 5 — 10 Mit­gliedern. Das sind dann Zweig­stellen von inter­na­tionalen Organisationen.

Das Haupt­prob­lem dabei, den Fem­i­nis­mus auszudehnen — das gilt auch für andere Bewe­gun­gen um Gle­ich­berech­ti­gung — besteht darin, dass diese paar Leute nicht daran inter­essiert sind, die Bewe­gung zu ver­größern. Denn es gibt nur Jobs für 5 oder 6 Leute, und deshalb sind die nicht daran inter­essiert, dass die Gruppe größer wird. Und ihnen die Jobs in der NGO stre­itig machen.
Wir bräuchten fem­i­nis­tis­che Organ­i­sa­tio­nen in Form von Basisor­gan­i­sa­tio­nen, die auf Ini­tia­tive der Frauen selbst zus­tande kom­men, von unten. Und nicht Zweig­stellen von inter­na­tionalen NGOs.

Frage (4): Ich habe gele­sen, es gab so eine Anti-​Macho-​Pride in der Ukraine, ich glaube, die war mit anar­chis­tis­chen Grup­pen ver­bun­den. Gibt es da Verbindun­gen, oder sind die alle voneinan­der gespalten?

Borotba: Soweit ich weiß, hat es eine solche — nicht NGO, son­dern die Fem­i­nis­tis­che Offen­sive gegeben. Das waren wiederum 56 Leute und ein Zweig einer anderen Frauenor­gan­i­sa­tion. Wir sehen so etwas wirk­lich oft, auch bei den Gew­erkschaften, Frauenor­gan­i­sa­tio­nen, ökol­o­gis­chen Organ­i­sa­tio­nen: Sie sind bloß Platzhal­ter für irgen­deine andere, große poli­tis­che Partei. Und ihre Posi­tio­nen ändern sich entsprechend denen der entsprechen­den Partei in diesem Kon­flikt.
Die Inter­essen solcher Grup­pen liegen nicht bei der Umwelt, der Frauen­frage oder den Rechten von irgend­je­mand, son­dern das sind Lib­erale, die einzig in die EU rein möchten, als eine Art von Paradies.

Frage (5): Aber gibt es fem­i­nis­tis­che Organ­isierun­gen inner­halb von Borotba oder bei anderen anti­im­pe­ri­al­is­tis­chen Kräften?

- Borotba hat eine eigene Frauenor­gan­i­sa­tion rund um pro-​sowjetische Frauen, die Ukrainis­chen Sozial­is­tis­chen Frauen. Es gibt die Frauenor­gan­i­sa­tion der Kom­mu­nis­tis­chen Partei. Und es gibt die Russ­sis­chen Frauen, eine kon­ser­v­a­tive Frauenor­gan­i­sa­tion. Keine Fem­i­nistIn­nen. Also es gibt Pro­jekte von fem­i­nis­tis­cher Organ­isierung, aber die sind immer verknüpft mit der einen oder anderen poli­tis­chen Partei. Üblicher­weise sind sie nicht unabhängig.

Jede Partei hat ihre Frauenor­gan­i­sa­tion, auch die kap­i­tal­is­tis­chen. Aber ich kön­nte nicht sagen, dass es eine unab­hängige fem­i­nis­tis­che Organ­i­sa­tion gäbe. Und in all diesen Fällen sprechen wir von Grup­pen von ganz weni­gen Per­so­nen. Über eine fem­i­nis­tis­che Bewe­gung zu sprechen fällt schwer, denn tat­säch­lich gibt es keine.

Frage (6): Wie schätzt Borotba die poli­tis­chen Machtver­hält­nisse im Don­bas, also in Donezk und Lugansk ein? Haben die Arbei­t­erIn­nen bei den Auf­stän­den irgendwelche poli­tis­chen Posi­tio­nen erkämpfen kön­nen, z.B. in Form von Arbei­t­erIn­nenkomi­tees, Gew­erkschafts­grup­pen? Oder ist das eurer Mei­n­ung nach ein­fach die Herrschaft des Großkap­i­tals? Von Oligarchen?

- Das Spez­i­fis­che am Don­bas ist, dass er sehr dicht besiedelt ist, eine Region der Schw­erindus­trie, mit Fab­riken, Minen, Fab­riken … und 90% der Bevölkerung des Don­bas sind Indus­triear­bei­t­erIn­nen. Und begonnen hat es damit, dass Arbeiter ihre Arbei­t­erIn­nen­städte vertei­digt haben, gegen die Angriffe der extremen Rechten. Selbst die lokale Polizei hat sie dabei unter­stützt.
Sie fordern die Nation­al­isierung der Indus­trie. Sie sind stark gegen Pri­vatun­ternehmer­tum eingestellt. Kleine und mit­tlere UnternehmerIn­nen waren dann auch die ersten, die aus der Donbas-​Republik geflo­hen sind.

Aber jetzt haben wir einen wirk­lichen Krieg im Don­bas, mit Panz­ern, Flugzeu­gen, Artillerie. Die Mehrheit der Fab­riken, der Minen, der Kraftwerke sind zer­stört. Das Para­dox ist: Die Arbeiter im Don­bas haben einen bewaffneten Wider­stand begonnen, damit ihre Jobs und ihre Indus­trie nicht zer­stört wer­den durch das Abkom­men mit der EU. Aber jetzt sind sie auf andere Weise zer­stört wor­den.
Tat­sache ist, dass große Teile der Arbei­t­erIn­nen­schaft aus dem Land geflo­hen sind, die meis­ten nach Rus­s­land. Der andere Teil, der Wider­stand leis­tet, hat sich in Sol­daten ver­wan­delt. Der Krieg dauert jetzt schon fast 10 Monate, aber diese Repub­liken existieren immer noch haupt­säch­lich per Dekla­ra­tion. Es gibt die Volk­sre­pub­lik Don­bas, die Volk­sre­pub­lik Lugansk, die Repub­lik Neu­rus­s­land als eine Art Konföderation.

Dazu kom­men wider­sprüch­liche Dekla­ra­tio­nen von ver­schiede­nen Bürg­er­meis­tern ver­schiedener Städte. Sie wider­sprechen einan­der. In manchen Städten gibt es eine Art von Dop­pel­herrschaft. Tat­säch­lich ist das immer noch keine funk­tion­ierende staatliche Struk­tur. Eher eine Ansamm­lung von einer Menge mil­itärischer Ein­heiten, die Krieg führen und ihr Ter­ri­to­rium vertei­di­gen. Aber es ist unmöglich, staatliche Struk­turen zu entwick­eln angesichts dieses Krieges.

Auf der einen Seite gibt es Druck seit­ens Rus­s­land, weil die Ukraine lässt kein­er­lei Unter­stützung durch, keine Medika­mente, nichts. Die Indus­trie im Don­bas ist zer­stört. Deshalb kann sich die Repub­lik nur auf human­itäre Hilfe von Rus­s­land stützen, Lebens­mit­telver­sorgung, Medika­mente und so weiter.

Und Rus­s­land nutzt diese Unter­stützung als eine Art Hebel. Der fällt auf pro-​sowjetische, anti-​oligarchische, anti-​kapitalistische Vorstel­lun­gen in diesen Repub­liken. Das macht die human­itäre Hilfe zu einer Art Verpflich­tung für die Repub­lik. Denn die würde sonst kein gutes Beispiel für die Arbei­t­erIn­nen in Rus­s­land abgeben.

Ein Beispiel. In Donezk gibt es immer noch ein paar Minen, die funk­tion­ieren. So die Mine Zas­jadko, die dem ukrainis­chen Oli­garch Juchim Zwjahilski gehörte. Der wiederum gehört zum Clan des früheren Präsi­den­ten Janukow­itsch, der vom Maidan ver­trieben wor­den ist. Aber er wurde in das neue Par­la­ment gewählt, und ihm gehörte diese Mine.

Let­zte Woche gab es einen tragis­chen Vor­fall in dieser Mine. Es gab drin­nen eine Gas­ex­plo­sion, und einige Kumpel star­ben bei diesem Unfall. Und unmit­tel­bar danach nation­al­isierten die Behör­den der Donezker Repub­lik diese Mine. Sie steck­ten den Direk­tor ins Gefäng­nis. Und als der ukrainis­che Oli­garch Swjahilski nach Donezk kam, um gegen die Ver­staatlichung seiner Mine zu protestieren, steck­ten sie auch ihn ins Gefängnis.

Frage (7): Ich denke an diesen let­zten Vor­fall, Debalzewo, wo die ukrainis­che Armee eine völ­lige Nieder­lage erlit­ten hat, ein echtes Debakel, und ich möchte nach den Auswirkun­gen fra­gen, auf die bewaffneten Kräfte der Ukraine. Sowohl auf die Armee als auch auf die Nazi-​Bataillone. Denn ich kann mir nicht vorstellen, wer unter diesen Umstän­den gegen einen völ­lig über­lege­nen Feind kämpfen möchte.

- Der Punkt ist: Der Krieg wird weit­erge­hen. Wir sehen jetzt diese neue Mobil­isierungswelle, Rekru­tierungswelle. Es müssen neue Kräfte in den Don­bas geschickt wer­den. Und wir erwarten bald eine neue Welle der Eskala­tion des Kriegs, in ein paar Wochen wird das geschehen. Für unsere Regierung ist der Kriegszu­s­tand inzwis­chen über­leben­snotwendig. Sie kann nur an der Macht bleiben, solange der Krieg anhält.

Sie müssen nicht in die Donbas-​Republiken ein­drin­gen, sie müssen den Krieg am Leben hal­ten. Denn der Krieg ist jetzt der Vor­wand, unter dem große Anlei­hen bei west­lichen Län­dern aufgenom­men wer­den. Ihr bezahlt für diesen Krieg. Und diese Anlei­henauf­nah­men wur­den von der Oli­garchie auch so geplant.

Der Krieg ist der Vor­wand, unter dem jegliche Oppo­si­tion, jegliche Kri­tik an der Regierung unter­drückt wird. Wenn wir einen ökonomis­chen Zusam­men­bruch haben, wird die öffentliche Empörung in diesen Krieg gelenkt. Die Regierung braucht also diesen Krieg.
Zur Zeit wird regel­recht Jagd gemacht nach neuen Sol­daten. Die Rekru­tierungs­büros im ganzen Land sind auf der Jagd nach neuen Sol­daten. Die Regierung ersucht die USA und die EU um neue Waf­fen­liefer­un­gen, um neue Gel­dan­lei­hen. Solange jemand der ukrainis­che Regierung Kred­ite gibt, damit sie diesen Krieg führen kann, wird er weit­erge­hen. Er ist eine Möglichkeit, große Prof­ite zu erzielen.

Es sollte auch fest­ge­hal­ten wer­den, dass die ukrainis­che Regierung eben­falls uneinig ist. Sie besteht aus zwei Oligarchen-​Gruppen, die inner­halb der Regierung gegeneinan­der arbeiten. Mit den Nazi-​Paramilitärs haben sie sich eine Form von Pri­vatarmee geschaf­fen, die nicht nur gegen die Donbas-​Rebellen, gegen die Kom­mu­nistIn­nen kämpft, son­dern auch gegen die jew­eils andere Gruppe inner­halb der Regierung, inner­halb der Kiewer Oli­garchie. Sie lassen einan­der gegen­seitig ihre pri­vaten Fab­riken beschlagnah­men. Es gibt also auch einen Kampf inner­halb der Regierung.
Die Neonazi-​Bataillone agieren als Werkzeuge zur poli­tis­chen Unter­drück­ung, gegen Rebellen, gegen Bergar­bei­t­erIn­nen, gegen Kom­mu­nistIn­nen, aber im Kampf inner­halb der Kiewer Oli­garchie treten sie als Stoßtrup­pen der jew­eili­gen Konkur­renz auf.

Frage (8): Und was ist mit der Krim?

Borotba: Erst­mal hat dieser Staatsstre­ich in der Ukraine, die Ver­let­zung der Ver­fas­sung­sor­d­nung, die Voraus­set­zun­gen zur Desin­te­gra­tion des Lan­des geschaf­fen. Für uns ist das Ziel in diesem Kampf nicht bloß die Befreiung von Lugansk oder Donezk, son­dern die Befreiung von dieser ille­galen Herrschaft der Faschis­ten und Lib­eralen in der gesamten Ukraine.

Ist diese Regierung erst beseit­igt, und gibt es eine Regierung, die zumin­d­est akzep­tiert, dass alle Men­schen, alle poli­tis­chen Strö­mungen — mit Aus­nahme der Nazis — in allen Regio­nen der Ukraine die gle­ichen Rechte haben, dann kön­nte die Ukraine wieder vere­inigt wer­den.
Denn dann wären die Gründe, die zur Sezes­sion des Don­bas und anderer Gebi­ete geführt haben, beseit­igt. Erst vor zwei Jahren stand noch nicht ein­mal die Frage der Autonomie des Don­bas, der Krim und anderer Regio­nen auf der Tage­sor­d­nung. Diese Frage stellte sich gar nicht.

Was die Krim bet­rifft: Es gab einen bes­timmten Tag, einen bes­timmten Vor­fall, der zur Abspal­tung der Krim geführt hat. Nach dem Rück­tritt von Janukow­itsch kamen die pro-​Janukowitsch-​Abgeordneten der Krim aus der Ukraine zurück auf die Krim. Das war im let­zten Feb­ruar. Am Rück­weg wur­den sie von neon­azis­tis­chen Paramil­itärs ange­grif­fen. Ihre Busse wur­den gestoppt, sie wur­den ange­grif­fen, geschla­gen, viele von ihnen wur­den mit­ten auf der Straße umge­bracht, die Busse abgefackelt.

Am näch­sten Tag mobil­isierten diejeni­gen unter ihnen, denen es gelun­gen war, zurück in die Krim zu gelan­gen, die öffentliche Unter­stützung zur Abspal­tung von der Ukraine. Dieser völ­lig unnötige, bru­tale und mörderische Angriff auf die Krim-​Abgeordneten war also der Grund für dieses Phänomen, für die Sezes­sion der Krim. Auf der Krim sind min­destens 80% der Bevölkerung tat­säch­lich für die Sezes­sion, unab­hängig vom Ref­er­en­dum. Sie zurück in die Ukraine zu brin­gen — wären auf der Krim keine rus­sis­chen Trup­pen -, wäre nur mit Waf­fenge­walt, mit Bom­bardierun­gen wie im Don­bas durchzuset­zen. Die Mehrheit auf der Krim möchte wirk­lich nicht mehr Teil der Ukraine sein.

Wir kön­nen das ablehnen, weil es die Schaf­fung neuer Gren­zen bedeutet, aber ander­er­seits kön­nen wir sie nicht gewalt­sam zwin­gen, bei uns zu bleiben. Wenn dein Gatte, deine Gat­tin nicht mehr mit dir zusam­men­leben möchte, kannst du ihn/​sie auch nicht gewalt­sam dazu zwingen.

Frage (9): Wie steht es mit dem Engage­ment aus­ländis­cher Sol­daten in der Ukraine? Medi­en­berichten ent­nehmen wir, dass Söld­ner­grup­pen aktiv sind. Und dann hast du gesagt, dass Rus­s­land keine ökonomis­chen Inter­essen in der Ukraine hat. Dass es Rus­s­land bloß darum geht, kein NATO-​Land an seinen Gren­zen zu haben. Die drei baltischen Staaten sind aber NATO-​Länder, ohne dass es zu einem direk­ten Kon­flikt gekom­men ist. Gibt es also nicht doch ökonomis­che Gründe für Rus­s­land in der Ukraine?

- Zur Anwe­sen­heit aus­ländis­cher Söld­ner und Frei­williger: Die gibt es tat­säch­lich, und zwar auf bei­den Seiten des Kon­flikts. Es gibt rus­sis­che, europäis­che, tschetschenis­che Kämpfer. Tataren kom­men als Frei­willige, um auf bei­den Seiten zu kämpfen. Auf bei­den Seiten gibt es deutsche, spanis­che, rus­sis­che Kämpfer. Aber die Mehrheit, 80% — 85% aller Kämpfer in der Donbas-​Republik sind lokale Ein­wohner­In­nen oder Leute aus anderen Teilen der Ukraine, aus Charkiw, aus Odessa, aus Kiew, die in den Don­bas kom­men.
Dort gibt es auch mil­itärische Spezial­is­ten als eine Art Berater, aber es gibt nach wie vor keine Beweise dafür, dass organ­isierte rus­sis­che Trup­pen involviert sind. Es gibt rus­sis­che Frei­willige, aber keine rus­sis­chen Sol­daten. Es gibt rus­sis­che Hilfe, rus­sis­che Mil­itär­spezial­is­ten, aber die rus­sis­che Hal­tung ist zweideutig.

Sie wollen nicht, dass die Repub­liken größer wer­den. Als let­zten Som­mer beispiel­sweise die Rebellen sich in die Stadt Mar­i­upol vorkämpften, wurde berichtet, dass Rus­s­land stark gegen diesen Vor­marsch war. Auf der anderen Seite möchte Rus­s­land nicht, dass die Repub­liken völ­lig aufgerieben wer­den.
Ander­er­seits haben die Rebellen mehrmals berichtet, dass sie US-​Militärausrüstung, US-​Waffen beschlagnahmt haben, dass sie Berater aus NATO-​Ländern getötet oder gefan­gen genom­men haben, einige Amerikaner, einige Leute aus dem Baltikum — vor allem Scharf­schützen — und aus Polen.

Es sind also dur­chaus aus­ländis­che Mächte beteiligt, die ihre eige­nen Ziele ver­fol­gen, aber in einem beschränk­ten Aus­maß. 80% — 90% der Waf­fen, die einge­setzt wer­den, stam­men aus der Ukraine. Unlängst gab es einen Bericht von ARES — das ist eine unab­hängige aus­tralis­che Unter­suchungskom­mis­sion — zur Frage der Waf­fen in der Ukraine. Dieser Bericht wurde auch in der New York Times und so weiter abgedruckt.

Nach diesem Bericht stammt die Mehrheit der Waf­fen, die in der Ukraine von bei­den Seiten einge­setzt wer­den, immer noch aus der Ukraine selbst. Denn es gibt große Waf­fen­lager, die vor allem im Don­bas konzen­tri­ert sind. Im Don­bas befinden sich die größten Waf­fe­narse­nale von Osteu­ropa, und zwar seit der Zeit der Sow­je­tu­nion. Die wer­den immer noch einge­setzt.
Und dieser Bericht kommt zum Schluss, dass es keinen direk­ten Beweis dafür gibt, dass irgen­dein Staat organ­isiert in diesen Kon­flikt ein­greift — aber es gibt die Frei­willi­gen, es gibt einige mil­itärische Berater, die sind sehr wohl anwesend.

Wenn Rus­s­land Inter­essen in der Ukraine hat, dann bet­rifft das nicht den Don­bas. Denn der Don­bas ist jetzt eine völ­lig zer­störte Region, durch Bom­bardierun­gen zer­stört. Es benötigt große Investi­tio­nen, um die Infra­struk­tur wieder herzustellen, begin­nend bei der Stromver­sorgung, Häusern, Kraftwerken. Er muss von Grund auf wieder­aufge­baut wer­den. Flughäfen, Straßen sind zer­stört. 
Rus­s­land möchte sich keine der­ar­ti­gen finanziellen Prob­leme aufladen. Wenn Rus­s­land ökonomis­che Inter­essen hat, dann nicht im Don­bas, son­dern in der ganzen Ukraine — als Trans­portroute für Gas und Öl nach Europa.

Frage (10): In linken Medien haben wir gele­sen, dass Borotba sich nach dem Euro-​Maidan über das ganze Land ver­bre­itet hat, trotz der starken Repres­sion. Meine Frage lautet: Wie habt ihr das als Organ­i­sa­tion geschafft?

- Tat­säch­lich haben wir nach dem Euro-​Maidan eine große Aus­dehnung erfahren. Die Pro­voka­tio­nen der extremen Rechten haben natür­lich zu Reak­tio­nen geführt, bei ganz nor­malen Leuten. Und die Leute, die über das Erstarken der Neon­azis empört waren, haben nach einer linken Organ­i­sa­tion gesucht, der sie sich anschließen konnten.

Ein anderer Aspekt ist, wir waren fast die einzige Organ­i­sa­tion, die nicht diesen lib­eralen Zugang hat, son­dern die sich völ­lig der Unter­stützung der Arbei­t­erIn­nen verpflichtet, der Indus­triear­bei­t­erIn­nen und der unteren Klassen.
Denn andere, kleinere linkslib­erale Grup­pen näh­ern sich meist den Mit­telk­lassen an, ori­en­tieren sich etwa an Occupy in den USA: die 99% gegen 1%. Aber in Wirk­lichkeit haben wir eine Arbei­t­erIn­nen­klasse und eine Bour­goisklasse, inklu­sive Klein­bürg­er­tum. Die lib­erale Linke unter­stützt eben nicht die Arbei­t­erIn­nen­klasse, wenn diese mit riots gegen das Klein­bürg­er­tum beginnt.

Es ist aber fast unmöglich, anfangs die Arbei­t­erIn­nen­klasse gegen das Großbürg­er­tum in Stel­lung zu brin­gen. Für die Arbei­t­erIn­nen ist die Großbour­geoisie, sind die Oli­garchen etwas Abstrak­tes. Im echten Leben bekom­men sie die nie zu Gesicht. Was sie im echten Leben sehen, ist die Klein­bour­geoisie, sind die Mit­telk­lassen. Und die begreifen sie als ihre Feinde, als eine ihnen gegenüber­ste­hende Kraft. Und so begin­nen sie, diejeni­gen anzu­greifen, die ihnen vom echten Leben her bekannt sind. Und fast keine linke Kraft unter­stützt solche spon­ta­nen Kämpfe der unteren Klassen.


Mod­er­a­tion: Danke für deinen Besuch hier und für diese inter­es­sante Diskussion.


„Ini­tia­tive gegen Mil­i­taris­mus und Krieg“