BLOCKUPARADE #18M

BLOCKUPARADE #18M
Erstveröffentlicht: 
20.03.2015

Matthias Steingass

Um 8 Uhr morgens ist alles vorbei, aber ein #18M-Tweet geht so: “Kaum 8 Uhr und Frankfurt versinkt bereits im Chaos.” Doch da ist wohl der Wunsch der Vater des Gedankens, denn jeder, der auf mehr Aktion hofft und wartet, wird enttäuscht. An diesem Tag geschieht nichts mehr. Ein paar Mülleimer brennen noch. An einigen Ecken in der Gegend Allerheiligentor schwelen malerisch ein paar Brände weiter. Man nutzt sie als Vordergrund für Schnappschüsse mit marschierenden Bereitschaftspolizisten in schwerer Kampfausrüstung. Kaputte Fensterscheiben bei einer Sparkasse. Ein paar Kästen mit Reklame müssen dran glauben. Das war’s dann. Keine Krawalle mehr. Langsam wird es wärmer. Sicher, vor 8 ist was los und die Berichterstattung kann reichlich Beute einfahren. Vom Sachsenhäuser Mainufer aus erscheint der EZB-Turm bei Sonnenaufgang vor einem bleichen, kalten Himmel und Rauschschwaden künden vom drohenden Untergang der Mainmetropole. An der Flößerbrücke noch mehr ins rechte Licht gerückt, erscheint der Kristallturm als apokalyptisches Menetekel. In Flammen und schwarze Rauchschwaden gehüllt. Linke Terrorkommandos beginnen die Stadt in Schutt und Asche zu legen. Die EZB verschwindet für nicht enden wollende Minuten im Brand der Barrikaden – vorausgesetzt man bewegt sich nicht aus dem kleinen Bereich, von dem aus man das so sehen will –, während die Polizei problemlos dazu ansetzt, der Lage wieder Herr zu werden. Wenig später schon kann am Ort der Untergangs ein findiger Entrepreneur den Revolutionären massenweise Brezeln und andere Backwaren verkaufen. Die Berichterstattung zieht weiter, um zu sehen, wo die Welt als nächstes untergeht. Aber eben: das war’s. Und für das brennende Polizeiauto hätte man das Büro auch gar nicht verlassen müssen. Das, was den deutschen Gasgeber am meisten schockt – sein Fetisch beim Burnout –,  hätte man nicht unbedingt extra noch mal auf der Zeil 33 fotografieren müssen. So oder so wird die Berichterstattung zur Show. Sicher, das ist nichts Neues. Only bad news are good news. Die Beschwörung der Gewalt und die Erregung des Voyeurs geht 100% Mainstream. Der Spiegel schreibt allen Ernstes Die Finanzkapitale brennt! Und weiter: Die Blockupy-Proteste in Frankfurt liefern Bilder, die an apokalyptische Hollywood-Blockbuster erinnern.  Mehr muss man am Abend des 18. Märzes 2015 nicht lesen in Deutschland, um über die Lage Bescheid zu wissen. Der Lage des Gemüts daheim im gutbürgerlichen Lager. Denn, wie gesagt, nach 8 in der Früh ist alles vorbei und man beschafft sich beim Brezelmann ein Frühstück. Das heisst dann bei der FAZ: Nur noch blinder Hass. Und bei der Jungen Freiheit liest es sich auch nicht anders: Vermummte und gewalttätige Linksextremisten aus dem In- und Ausland als Internationale der Gewalt legen die Frankfurter Innenstadt in Trümmer. Schließlich reiht sich auch der deutsche Innenminister ihn diesen Chor der Rechtgläubigen ein. Im parlamentarischen Theater am Tag danach verkündet er: Die Gewalttäter haben gestern eine Schneise der Verwüstung durch die Frankfurter Innenstadt gezogen.


Soll man darüber noch jammern? Muss man noch etwas darüber sagen, dass man, um das Geschehen zu spiegeln, HollywoodPhantasmen benötigt? Gibt es über die Berichterstattung noch etwas anderes zu sagen, als dass sie vorhersehbar und mit großer Präzision ein Event produziert, das Teil der ritualisierten Gewalt ist, die die Berichterstattung selbst gerne ausschliesslich bei “gewalttätigen Linksextremisten” sehen möchte? Muss man noch einmal darauf hinweisen, dass diese programmierten Abläufe einen Zusammenhang aufweisen, bei dem die Gewalt bis ins Parlament reicht und dass die moderne Demagogie eines Sprachrohres wie Maizière Teil einer strukturellen Gewalt ist, die ihren Ausdruck auch in einem brennenden Polizeiwagen findet? Nein. Jeder weiss es: “Die Internationale der Gewalt” ist wie die “Schneise der Verwüstung” eine Sprechblase, die ebenso austauschbar und beliebig einsetzbar ist wie die Kommentatoren, Politiker und sonstigen Verwaltungsbeamten dieses geistigen Elends. Jeder weiss es, dass zuverlässig mit der ritualisierten Gewalt, die sich zuletzt im parlamentarischen Theater exekutiert, ein Event produziert wird, das ein Ereignis verhindert. Zuverlässig verlängert diese Produktion des Immergleichen ein Sein ohne Ereignis, welches allein dafür sorgen kann, das alles so bleibt, wie eine Legislative der Finanzialisierung, ohne je ein Wort sagen zu müssen, es fordert. Ein grauer Schimmel, der sich über das Staatswesen legt. Mehr noch, Ausdruck dieser Gewalt ist auch das zynische Bekenntnis eines weit über dem parlamentarischen Theater angesiedelten Beamteten zur “Meinungsfreiheit als einer der Grundsteine der Demokratie”. So Anshu Jain – ein Oberster der Deutschen Bank – im Laufe des Vormittags am 18.3. Die EZB habe “Europa ohne Zweifel stabilisiert”. Genau. Das ist der Punkt. Die EZB sorgt inzwischen als legislatives Generalinstitut Europas, das die Sprache der Menschen längst nicht mehr sprechen muss, für die zuverlässige Fortdauer eines Seins ohne Ereignis. Stabilität ist das Stichwort und der Affekt, der sich in der Berichterstattung und im parlamentarischen Theater zeigt, ist zuverlässiger Indikator dafür, dass ein Ereignis unmöglich bleiben soll und es doch Angst gibt vor ihm. Einem nämlich, das ganz andere undenkbare Dinge denkbar machte und in die Existenz riefe.

 

Wie die Produktion des Events funktioniert, kann man aber, neben aller Theorie, in einer wunderbaren Koinzidenz zur manischen Medialisierung des #18M ganz praktisch sehen: vgl. #varoufake. Satire – die Simulation – ist nicht mehr unterscheidbar von Wirklichkeit. Muss man dann konsequenterweise fragen, ob Satire in Deutschland nun als solche gekennzeichnet werden muss, wie das in einem Interview in dieser Sache geschieht? Wohl kaum. Eine Markierung der Simulation wäre lediglich immer noch der Traum davon, dass das Reale erkennbar wäre. Dass die “Schneise der Verwüstung” unseres Innenministers keine Simulation wäre. Kein Event.

 

Damit ist man bei der entscheidenden Frage. Ist der Protest etwas anderes als ein weiteres Event? Oder wird er nicht viel mehr von den gleichen Algorithmen gesteuert, die auch die Talking Heads im Bundestag simulieren? Man müsste diese Frage ganz klar stellen: Ist der Protest nicht einfach einfach ein weiterer symbolischer Tausch? Die ritualisierten, regelhaften und leicht zu prognostizierenden Abläufe legen jedenfalls nicht nahe, dass sich hier irgendeine explosive Ereignishaftigkeit ankündigen würde. Dabei hätte man die Ereignislosigkeit selbst zum Ereignis machen können. Seit langem war klar, das die Eröffnungsfeier für die EZB kein Thema mehr war und dass man Blockupy einfach ins Leere laufen lassen würde, indem man das Gelände weiträumig absperrt und die Feier selbst zu einer kurzen, leeren Zeremonie macht. Im Zeitalter der asignifikativen Semiotiken nimmt man dem Protest einfach sein Symbol und er hat sich erledigt. Was bleibt ist das Theater, ein paar verqualmte Fotos und eine Architektur der Durchsichtigkeit, die noch am besten ausdrückt, um was es hier geht: Völlige Transparenz bei gleichzeitiger absoluter Unangreifbarkeit. Da ist die EZB um vieles weiter als Blockupy und auch der schwarze Block. Ein Ereignis wäre es gewesen, wenn niemand bei der EZB aufgetaucht wäre. Absolut niemand. Und schon gar nicht in Schwarz. Schwarz ist keine Farbe. Das Schwarz als Symbol ist eine Auffassung, die genauso einem Ritual verhaftet bleibt wie das marionettenhafte Auftreten seiner Gegner. Man müsste viel mehr aus der Irrelevanz selbst eine Demonstration machen. Aber das würde bedeuten, sich in der Tat dazu aufzuraffen, ein Ereignis zu erfinden. Ein völlig farbloses Ereignis. Sichtbarkeit ist kein Argument mehr. Das haben vermutlich die Leute, die die Zeil 33 angriffen, noch am besten begriffen. Als hätte das unsichtbare Komitee kurz mal auf die Tube gedrückt. Aber selbst das wird zum Event und nimmt teil an seiner Produktion. Die Frage ist offen, welche Form des Widerstandes überhaupt möglich ist, die nicht zu einer Farce verkommt?

 

Wahrscheinlich müsste man in dieser Hinsicht erstmal klären, ob etwas nach dem Affekt kommt, der viele Blockupyer zu tragen scheint. Wenn da nämlich nichts wäre, ließe sich dieser Affekt von denen leicht manipulieren, die etwas mehr von Psychologie, Rhetorik und schlichter Machtausübung verstehen als die Personen, die zwar eine schicke Rayban zur schwarzen Kluft tragen, aber nichts darüber wissen, wie das eigene Sein im Event zur Lachnummer wird. Die Intuition, die viele der sehr jungen Leute, die am 18. auf der Strasse waren, spüren lässt, was für eine verlogene Kultur das ist, in der schon ein Minister ohne Krawatte zum Thema wird – ganz zu schweigen von ein oder zwei Barrikaden, die vor dem Frühstück schon wieder abgeräumt sind –,  braucht ein breiteres Fundament als diesen bloßen Affekt. Darüber müsste man auch reden. Aber wenn Sahra Wagenknecht zum Beispiel bei ihrer Rede auf dem Römer die “Oligarchen” als Übel der Welt beschwört, dann bindet sie auch nur wieder diesen Affekt an einen Menschen. Es bleibt eine Personalisierung. Alles bleibt Reklame und das bunte, laute, schrille Fest, das sich die Organisatoren gewünscht haben, erfüllt genau den Zweck, den ihm die Architektur des Systems zuweist: Triebabfuhr. Und von der ist es nicht weit bis in die gutbürgerliche Küche einer schwarz-rot-grünen oder sonstwie ereignis- und folgenlosen Farbenkombination des parlamentarischen Theaters.

 

Davon abgesehen, im Laufe des Tages fragmentiert die Ereignislosigkeit zu lauter schillernden Splittern. Da ist für jeden was dabei. Während Unionsfraktionschef Volker Kauder in Berlin drehbuchgemäß in einen Schockzustand gerät und wenn nicht gleich den Notstand, so doch eine “vereinbarte Debatte” im parlamentarischen Theater veranlasst, macht sich in Frankfurt auf dem Paulsplatz Partystimmung breit. Ein zum Ghettoblaster umgebauter Laster übertönt den ständigen Hubschrauber. Die Ordnungsmacht überwacht das Treiben dezent aus den Seitenstraßen heraus, von den umliegenden Dächern, aus der Luft und vermutlich komplett, vollständig und zu 100%. Das ganze bekommt Volksfestcharakter. Vom Römer her klingen Ansprachen – ebenfalls mit einem hübschen musikalischen Rahmenprogramm unterlegt. Alles ist gut. Nur die Berichterstattung fehlt. Das hier gibt nichts mehr her. Ein Freund aus dem Ausland ruft an. Ob das in Frankfurt nicht etwas gefährlich sei im Moment? Ich beruhige ihn. Alles unter Kontrolle. Alles geht seinen geregelten Gang. Weit und breit seit Stunden keine Randale. Ich bekommen geschildert, was man im Fernsehen sieht. Da entgeht einem doch einiges, wenn man die entsprechenden Sender nicht in seiner Twitter-Timeline hat. Der abschließende Marsch hat was von einem fröhlichen Umzug. Viel Musik, Rock, Techno, Trommeln, Pfeifen, Sprechchöre. Der Hubschrauber und das ständig kreisende Flugzeug sind da nicht mehr zu hören. Die Polente bleibt dezent und begleitet nur ein oder zwei notorisch querulante Blocks, die partout nicht aufhören A – Anti – Anticapitalista zu deklamieren. Ein paar Böller krachen, ein paar Bengalos leuchten auf. Wir kaufen uns ein Bier zwischendurch. Am Opernplatz noch einmal eine Photo-Opportunity: Vor einem schönen blauen Abendhimmel steigt schwarzer Qualm auf, dahinter die Oper und links der Opernturm mit dem roten UBS-Signé. Wenn es jetzt noch ein wenig scheppert, bekommt die Berichterstattung vielleicht doch noch mehr für die Morgenausgabe. Doch nichts passiert. D’Inka und Konsorten müssen sich mit ihrem schön bebilderten GewaltPorno vom frühen Morgen begnügen. Die Phantasie an die Macht, das haben die längst verwirklicht.