Hintergrund - Nopegida-Demo in Freiburg: Wie werden Teilnehmer von Großdemos gezählt?

Erstveröffentlicht: 
03.02.2015

Es war wohl die größte Demo in Freiburgs Stadtgeschichte: der Protest gegen Pegida Ende Januar. Aber wie wurden die vielen Menschen überhaupt gezählt? Und: Wie genau kann das überhaupt sein?

 

20.000 Menschen kamen zur Anti-Pegida-Demo Ende Januar – sagt zumindest die Polizei. "Die Zahl wurde von sehr erfahrenen Einsatzkräften der Bereitschaftspolizei geschätzt", erklärt Polizeisprecherin Jenny Jahnz. Allerdings schränkt sie ein: "Es wurde aber nicht jeder Einzelne gezählt." Zur Anwendung kam Jahnz zufolge die sogenannte Reihenzählmethode. Dabei wird geschaut, wie viele Personen in einer engen Straße nebeneinander herlaufen. Danach werden die Reihen gezählt und beide Werte multipliziert.

 

"Mit dieser Methode kann man aber gar nicht auf eine nahezu stimmige Schätzung kommen", sagt der Leipziger Soziologe Stephan Poppe. Denn sie bringe einige Ungenauigkeiten mit sich: Erstens würden Demonstranten nicht in genau voneinander abgrenzbaren Reihen laufen. Und zweitens ließen sich bei einer Großdemonstration wie in Freiburg die Reihen nicht gut von vorne nach hinten durchzählen, so Poppe. Dazu sei die Lage einfach zu unübersichtlich.

 

Auch Polizeisprecherin Jahnz gibt zu: "Zu dieser Demo gab es mehrere Zuströmwege. Bis kurz vor 17 Uhr hatten sich etwa 2000 Menschen auf dem Augustinerplatz versammelt. Dann auf einmal ist die Menschenmenge explodiert – ich weiß gar nicht, wo die alle herkamen." Sie war selbst mitten im Gedränge. Und sei von allen Seiten daraufhin angesprochen worden, wie viele Teilnehmer wohl gekommen seien, erzählt sie. "Das war für die Leute das prickelndste Thema."

In den sozialen Netzwerken wie Facebook hatten rund 6000 Menschen ihr Kommen angekündigt. Das war auch die Zahl, auf die die Polizei sich eingestellt hatte – entsprechend viele Beamten hatten sie nach Freiburg beordert. Wie viele genau, gibt die Polizei aus einsatztaktischen Gründen nicht preis.

 

Ungenaue polizeiliche Schätzungen, wie viele Teilnehmer da waren, hält Poppe für problematisch. "Die Zahl wird zum gesamtgesellschaftlichen Narrativ. Die Polizei sagt, es waren soundsoviele Menschen da, und was die Polizei sagt, hat hohe Glaubwürdigkeit. Dann wird die Zahl überall publiziert und weitererzählt – gerade bei hochbrisanten Themen wie Pegida- und Anti-Pegida-Demos ist das ein Problem", sagt der Soziologe, der sich auf quantitative empirische Forschung spezialisiert hat. Er erhob auch die Zahlen der Leipziger Legida-Demonstration, wo die Polizei 15.000 Demonstranten zählte, er jedoch lediglich auf 4000 bis 6000 kam.
Seine Studenten leitet er zu folgender Zählweise an: Von einem Hochhaus aus machen sie ein Foto von der Menschenmenge, über das sie ein Raster legen. Das schachbrettartige Muster wird ausgewertet: Wie viele Menschen kommen im Schnitt auf ein Kästchen, wie viele Kästchen sind es insgesamt? Beide Zahlen werden multipliziert.

 

Zusätzlich bestimmen sogenannte teilnehmende Beobachter die Menschendichte: So besteht der Boden des Augustusplatzes in Leipzig aus 60 Zentimeter breiten Steinplatten. Die Soziologiestudenten zählen, wie viele Menschen auf einem Karree von drei mal drei Platten stehen. Das ist bei Demonstrationen im Schnitt eine Person. Bei anderen Veranstaltungen wie Rockkonzerten können es bis zu fünf Personen sein. Und genau da vermutet Poppe auch den Zählfehler der Polizei. "Wir denken, dass sie einen zu hohen Multiplikator nimmt, vielleicht drei statt eins."

Bereits im Vorfeld versucht die Polizei laut Jahnz zu ermitteln, wie viele Menschen zu einer Demonstration kommen werden. Dabei spiele eine große Rolle, ob die Kundgebung erwartungsgemäß friedlich verlaufen werde. Und für die Anti-Pegida-Demo hätten die Kollegen vom Staatsschutz, die die Szene kennen, einen friedlichen Verlauf vorausgesagt. Dass knapp viermal so viele Demonstranten kamen, sei daher unter Sicherheitsaspekten unproblematisch gewesen, sagt Jahnz.
Warum die Polizei höhere Angaben von Teilnehmerzahlen macht? Manche unterstellen auch ein einsatztaktisches Kalkül, so Poppe: "Möglicherweise will man damit das hohe Polizeiaufgebot rechtfertigen. Wobei, da muss ich die Polizei auch verteidigen: Wenn Sie zu wenig Polizei haben, brennt die halbe Stadt ab. Wenn Sie zu viel Polizei haben, haben Sie im Zweifelsfall einfach zu viel Steuergeld ausgegeben."