Anonyme verteidigen Krawalle von Zürich

Erstveröffentlicht: 
30.12.2014

Knapp drei Wochen nach der Krawallnacht nehmen die Verantwortlichen Stellung. Sie verteilen Pamphlete gegen die «Zürcher Schlafghettos» und liefern weitere Vorschläge zum Kampf gegen die Stadtaufwertung.

Die Spuren der Zerstörung sind in Zürich grösstenteils beseitigt, doch die Erinnerungen an die Ereignisse des 12. Dezembers bleiben präsent: Unter dem Motto Reclaim the Streets wurde gegen die «fortschreitende Stadtaufwertung» protestiert. Unter den knapp 200 Demonstranten befanden sich laut Polizeiangaben nebst friedlichen Vertretern mehrheitlich gewalttätige, vermummte Personen. Der Sachschaden des Verwüstungszugs in den Kreisen 3 und 4 belief sich letztlich auf weit über eine Million Franken.

 

Bis heute ist unklar, von wem die gewalttätige Aktion orchestriert wurde. Vorkommnisse, wie etwa die kurzzeitige Unterbrechung des Strassenlichts an der Langstrasse, deuten aber auf eine Planung von langer Hand hin. Weder aus der Szene der Hausbesetzer noch von linksradikalen Gruppierungen wie dem Revolutionären Aufbau kamen Bekennungsschreiben.

 

Achtseitiges Schreiben rechtfertigt Gewalt


Fast drei Wochen nach der Strassenschlacht, sorgt nun ein Pamphlet für Aufsehen. Das achtseitige Schreiben mit dem Titel «Gegen die Stadt der Reichen» flatterte am Dienstagmorgen in diverse Briefkästen der Innenstadt. Der anonyme Absender vermerkt eine Auflage von 10'000 Exemplaren. Ob die Zahl stimmt, ist unklar. Die Polizei hat das Schreiben zur Kenntnis genommen: «Wir verurteilen dessen Inhalt, weil er zur Gewalt aufruft», sagt Polizeisprecher Marco Bisa. Aus diesem Grund möchte die Polizei das Dokument nicht weiter kommunizieren, geschweige denn, dem Inhalt «eine Plattform bieten».

 

Das Pamphlet prangert in erster Linie die «Luxusprojekte» und «wuchernden Schlafghettos» in der Limmatstadt an. Immer mehr Leute würden sich «als Fremde in einem toten Raum» wiederfinden, der «ausschliesslich der kapitalistischen Verwertung gewidmet» sei. Die Verfasser heissen die Gewalt, durch die sieben Polizisten verletzt wurden, ausdrücklich gut. «Natürlich» nehme man auch «Körperverletzungen in Kauf.» Die Polizei würde mit jedem Schuss Gummischrot, jeder abgefeuerten Tränengaspatrone und mit den Wasserwerfern «dasselbe» tun.

 

Im Pamphlet werden die Krawalle detailgetreu nachgezeichnet: «Am Rande dieser Szenerie wurden zwei Weihnachtsbäume einem symbolträchtigen Feuer übergeben...was für ein Fest der Freude!» Die Verfasser beschreiben die Aktion als Sieg, der auch dem angeblichen Unvermögen der Polizei zu verdanken sei: «In der Ferne waren zwar die Bullen zu sehen und zu hören, doch, unfähig, sich selbst und das Eigentum zu schützen, wagten sie sich nicht mehr in die Nähe der revoltierenden Menge.»

 

Anleitung zur Sabotage


Die Verfasser schöpfen offensichtlich Mut aus den Ereignissen vom 12. Dezember: «Keine Täter waren identifizierbar. Ein Beispiel davon, was möglich ist – und noch wäre!» Im zweiten Teil liefert das Schreiben konkrete Vorschläge zur Bekämpfung der «städtischen Umstrukturierungsprozesse in Zürich». Aktionen wie die sabotierte Strassenbeleuchtung werden als effektives Mittel im Kampf gegen die Ordnungshüter hervorgehoben: «Mit einer vertieften Recherche würden sich mit Sicherheit zahlreiche Möglichkeiten finden, um dem hektischen Wuchern der kapitalistischen Projekte Zeit und Raum zu entreissen.»

 

Als weitere Mittel gegen erhöhte Mieten und neue Bauprojekte betrachten die Schreibenden die Besetzung von Baustellen und leeren Häusern. Solche Massnahmen seien allerdings von beschränkter Wirkung, weshalb der «Kampf» besser koordiniert werden müsse. Den Schreibenden schwebt Grösseres vor, wofür sie sich von der Geschichte inspirieren lassen: Den Mieterstreik von 1932, als mehrere Hundert Menschen ihre Mieten nicht mehr bezahlten und so erfolgreich eine Mietzinsreduktion erzwangen, bezeichnen sie als bisher «markanteste Bewegung gegen die kapitalistische Stadtentwicklung in Zürich».

 

Kochareal-Besetzer unter Verdacht


Der Absender des Schreibens bleibt anonym. Auch aus den Besetzerkreisen des Kochareals, die nach den Randalen in den Fokus der Öffentlichkeit gelangten, ist nichts Offizielles zu vernehmen. Ein regelmässiger Areal-Besucher zeigt sich gegenüber Tagesanzeiger.ch/Newsnet überrascht: Es gebe Bewohner, die solches Gedankengut vertreten, doch viele der Besetzer seien vom 12. Dezember «enttäuscht» und würden die explizite Gewalt als «kontraproduktiv» kritisieren.